StudieBerlin (epo.de). - Die Zahl kulturell bedingter Konflikte hat in den vergangenen 25 Jahren sprunghaft zugenommen. Kulturelle Konflikte seien "besonders anfällig in ihrer Eskalation zu Gewalt", aber weitgehend "innerstaatliche Phänomene ohne zwischenstaatliche Dimensionen", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten empirischen Studie der Bertelsmann Stiftung über die Ursache von Konflikten. Samuel Huntingtons These vom "Clash of Civilisations", in dem Kultur die Triebfeder neuer internationaler Spannungen wird, sehen Konfliktforscher der Universität Heidelberg nicht bestätigt.

Die Heidelberger Forscher werteten in ihrer Untersuchung "Kultur und Konflikt in globaler Perspektive. Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945 - 2007" alle seit dem Jahre 1945 weltweit registrierten Konflikte aus und bewerteten ihre Ursachen und ihre Intensität. Danach hat die Anzahl der kulturell bedingten Konflikte seit Mitte der 1980er Jahr drastisch zugenommen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum (1945 bis 2007) sind der Studie zufolge 44 Prozent aller erfassten Konflikte kultureller Natur. Seit Mitte der 1980er Jahre übersteigt die Zahl der Kulturkonflikte sogar die Summe der nichtkulturellen Konflikte.

Gegensätzliche Werte oder kulturelle Gegensätze in Sprache, Religion oder durch unterschiedliche historische Erfahrungen sind nach den Ergebnissen der Heidelberger Konfliktforscher um Professor Aurel Croissant aber nicht die alleinige oder wichtigste Ursache von Konflikten. Insbesondere ein sehr hoher Anteil an männlichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder in einem Land im Vergleich zur Gesamtbevölkerung ("Youth Bulge") erhöhe durchgängig die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Andere Faktoren seien das Maß an Unterentwicklung, ein geringes Wirtschaftswachstum, die zur Verfügung stehende Agrarfläche oder das Niveau der Demokratisierung in einer Gesellschaft. Keinen eindeutigen Einfluss habe der Zustrom von Migranten.

INNERSTAATLICHES PHÄNOMEN

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion haben vor allem religiöse und ethnisch-historisch thematisierte Konflikte auf innerstaatlicher Ebene wie etwa im ehemaligen Jugoslawien, im südlichen Kaukasus oder auf Sri Lanka erheblich zugenommen. Während bei nichtkulturellen Konflikten die Zahl der Auseinandersetzungen und das gemessene Konfliktniveau abnehmen, zeigen nach den Ergebnissen der Studie kulturelle Konflikte ein umgekehrtes Muster. Sie werden häufiger, eher gewaltsam und auch auf den höheren Intensitätsstufen ausgetragen.

Dabei zeige sich aber auch, dass kulturelle Konflikte vor allem innerhalb von Staaten auftreten und nur selten zwischen verschiedenen Staaten zu beobachten sind, so die Forscher. So seien vier von fünf kulturellen Konflikten ausschließlich innerstaatliche Phänomene.

"Den von vielen prognostizierten 'Zusammenprall der Kulturen' wie der des Westens mit dem Islam können wir somit auf internationaler Ebene nicht erkennen", erklärte Malte Boecker von der Bertelsmann Stiftung. "Dennoch müssen kulturelle Faktoren und Strukturen als verschärfende Faktoren von Konflikten ernster wahrgenommen werden als dies besonders bei dialogorientierten Akteuren bislang der Fall war. Aber kulturelle Faktoren sind keine Mastervariablen, die im Alleingang das weltweite Konfliktgeschehen erklären können."

Als eine "besonders kritische Konstellation" sieht die Studie einen hohen Anteil männlicher Jugendlicher und die sprachliche Zersplitterung in einem Land. Sind beide Faktoren hoch ausgeprägt, erhöhe dies insbesondere die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von besonders gewaltintensiven kulturellen Konflikten. Nicht bestätigen konnte die Studie dagegen die Annahme, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Grad der religiösen Zersplitterung und der Anzahl von Konflikten gibt. Hier zeigten sich die besonders fragmentierten wie auch die religiös sehr homogenen Gesellschaften relativ konfliktarm.

KONFLIKTE SIND KEIN SCHICKSAL

Trotz der deutlichen Zunahme an kulturellen Konflikten kommen die Autoren der Studie nicht zu einer pessimistischen Prognose. "Gemessen an der Zahl der potenziellen Konfliktlinien kann die Anzahl der tatsächlichen gewaltsamen Konflikte insgesamt als verschwindend gering bezeichnet werden", sagte Prof. Aurel Croissant von der Universität Heidelberg zu den Befunden der Studie. Außerdem sei aus dem Vergleich unterschiedlicher Gesellschaften kein Automatismus zwischen kultureller Fragmentierung, Konflikten und Gewalt erkennbar: "Keine einzige vorstellbare kulturelle Zusammensetzung einer Gesellschaft muss zwangsläufig zum Konflikt oder gar zur Gewalt führen. Kulturelle Prägung mag Schicksal sein, kulturelle Konflikte sind es nicht."

Die Konfliktstudie entstand in Zusammenarbeit der Bertelsmann Stiftung mit dem Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg unter der Leitung von Prof. Aurel Croissant und Prof. Uwe Wagschal. Sie fußt auf der Auswertung der Konfliktdatenbank CONIS, die weltweit das Konfliktgeschehen seit 1945 erfasst. Die Studie untersucht dabei empirisch, in welchen Konflikten kulturelle Faktoren eine Rolle spielen und inwieweit sie das Konfliktgeschehen hinsichtlich der Gewaltintensität beeinflussen. Die aus ihr folgenden Erklärungen sollten "einen Beitrag leisten zur Weiterentwicklung des Kulturdialogs für ein friedliches Miteinander in einer globalisierten Welt", erklärte die Bertelsmann Stiftung.

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)
Kultur und Konflikt in globaler Perspektive
Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945 - 2007
1. Auflage 2009, ca. 100 Seiten
September 2009
Broschur - ISBN 978-3-86793-037-6
www.bertelsmann-stiftung.de

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