rogBerlin. - Reporter ohne Grenzen (ROG) bittet Bundeskanzlerin Angela Merkel eindringlich, bei ihrem am heutigen Samstag beginnenden Besuch in China eine Freilassung aller in der Volksrepublik inhaftierten Journalisten und Blogger sowie ein Ende der Zensur anzumahnen. Bundeskanzlerin Merkel werde bei ihrer viertägigen Reise auch Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang treffen. Dabei werde sie von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, zu der unter anderem die Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser (Siemens), Martin Winterkorn (VW), Thomas Enders (Airbus), Jürgen Fitschen (Deutsche Bank) und Carsten Spohr (Lufthansa) gehören.

Seit Xi Jinpings Amtsantritt als Staats- und Parteichef gingen Chinas Behörden mit neuer Härte gegen Kritiker vor. Im Vorfeld des 25. Jahrestages der Niederschlagung der Pekinger Studierendenproteste auf dem Tiananmen Platz seien Journalisten und Blogger von den Behörden - zum Teil vorübergehend - eingesperrt worden. Diese Verhaftungen zeigten, dass die chinesische Regierung trotz der wirtschaftlichen Öffnung des Landes weiter gegen Kritiker und unabhängige Reporter vorgehe.

„Bei den anstehenden Gesprächen mit der Staats- und Parteiführung darf es deswegen nicht nur um eine engere, wirtschaftliche Zusammenarbeit und weitere Aufträge für die deutsche Industrie gehen", forderte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin.. "Wir fordern die Kanzlerin vielmehr dazu auf, auch die Freilassung der inhaftierten Journalisten und Bürgerrechtler ausdrücklich einzufordern.“

In China sitzen laut ROG derzeit rund 30 Journalisten und 70 Blogger hinter Gittern, so viele, wie in keinem anderen Land der Welt. Erst vor wenigen Tagen, am 21. Juni sei der Investigativjournalist Yin Yusheng in die Haftanstalt Zengzou in der Provinz Henan eingeliefert worden, weil er im Februar an einer Gedenkveranstaltung für den ehemaligen Premierminister Zhao Ziyang teilgenommen hatte. Zhao Ziyang war 1989 wegen seiner verständnisvollen Haltung gegenüber den Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens all seiner Posten enthoben worden und hatte bis zu seinem Tod im Jahr 2005 in Peking unter Hausarrest gestanden.

Am 25. Juni sei der freie Journalist Jiang Lijun offiziell verhaftet und angeklagt worden. Die Behörden würfen ihm vor, Chinas kommunistische Partei in den sozialen Netzwerken mit kritischen Äußerungen diffarmiert und Unruhe gestiftet zu haben. Jiang Lijin sei jedoch bereits Mitte Mai von den Behörden abgeholt worden. Bislang werde er ohne Anklageerhebung festgehalten. Der Netzaktivist war schon einmal im Jahr 2003 in China angeklagt worden.

Die Journalistin Gao Yu, die regelmäßig für die Deutsche Welle arbeitet, sei wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen seit Ende April in Haft. Sie soll im August vergangenen Jahres den Inhalt eines angeblich streng geheimen, parteiinternen Dokuments über das Internet an ausländische Webseiten weitergeleitet haben. Reporter ohne Grenzen gehe jedoch von aus, dass ihre Festnahme mit einem geplanten Besuch einer Veranstaltung im Gedenken an den 4. Juni 1989 gestanden hat. Gao Yu gelte in China als gut vernetzt, auch zu Dissidenten und Bürgerrechtlern. Anfang Mai sei die 70-Jährige im chinesischen Staatsfernsehen CCTV offenbar zur Abschreckung vorgeführt worden. In eine Gefängnisjacke gekleidet, habe sie öffentlich ein Schuldeingeständnis ablegen müssen.

Der Blogger und Bürgerrechtler Xu Zhiyong sei bereits seit vergangenem Jahr im Gefängnis. Im Januar dieses Jahres sei er wegen Störung der öffentlichen Ordnung zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Als Mitbegründer der reformorientierten Gruppierung 'Bewegung neuer Bürger' gelte Xu Zhiyong als einer der wichtigsten Menschenrechtsaktivisten des Landes. Xu Zhiyong und seine Mitstreiter hätten wiederholt soziale Reformen angemahnt. Zur Bekämpfung der Korruption hätten sie im vergangenen Jahr bei Protestaktionen gefordert, dass Chinas staatliche Funktionäre ihre Vermögensverhältnisse offenlegen sollen.

Chinas Medien würden mit strengen Gesetzen überwacht und kontrolliert. Vor kurzem erst seien Pläne bekannt geworden, denen zufolge Redaktionen und einzelne Journalisten künftig nur noch über Themen und Regionen berichten dürfen, die in ihren definierten Zuständigkeitsbereich fallen. Verboten werden solle zudem, dass Journalisten auf eigenen Blogs oder Webseiten Nachrichten posten.

Das Propagandaministerium verschicke täglich Direktiven, die die Berichterstattung gezielt steuerten. Die mehr als 300.000 chinesischen Redakteure und Reporter seien seit vergangenem Jahr zum Besuch von Schulungen in marxistischer Ideologie verpflichtet. Facebook, YouTube und Twitter sind seit 2009 blockiert. Schon im September vergangenen Jahres hätten die Behörden die Aktivitäten beim chinesischen Twitterklon Weibo erschwert. Seither könnten Nutzer mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, wenn sie bei Weibo sogenannte Gerüchte verbreiten und diese mindestens 500 Mal weitergeleitet werden. Was unter einem Gerücht zu verstehen ist, hätten die Behörden jedoch nicht klar definiert.

Auch Veröffentlichungen über die lukrativen Geschäfte der Pekinger Polit-Elite in internationalen Finanzoasen – die sogenannten China Leaks – würden zensiert. Reporter ohne Grenzen macht sie über seine Webseite 'We Fight Censorship' zugänglich. Im Rahmen seiner Nothilfearbeit habe Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr für den Blogger Liu Dejun ein Stipendium beim deutschen PEN-Zentrum vermittelt. Der Aktivist sei in China wegen seiner Menschenrechtsarbeit mehrmals inhaftiert und gefoltert worden. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt die Volksrepublik Platz 175 von 180 Ländern.

www.reporter-ohne-grenzen.de


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