nigera 150Berlin. - In Nigeria kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen der überwiegend christlichen Bevölkerung im Süden und den mehrheitlich muslimischen Einwohnern des Nordens. Viele Konflikte in dem westafrikanischen Land haben in erster Linie wirtschaftliche und ethnische Ursachen und reichen in die Kolonialzeit zurück. Die Entführung von 200 Schulmädchen im April und der Anschlag während des Public Viewings während der Fußball-Weltmeisterschaft sind nur zwei Beispiele für die weiterhin unsichere und instabile Situation in dem Land. Am Montag hat Nigerias Präsident Goodluck Jonathan der pakistanischen Aktivistin Malala Yousafzai versprochen, dass die Schülerinnen bald nach Hause zurückkehren könnten. Wie er dies bewerkstelligen will, verriet er nicht. Denn eine rein militärische Lösung gibt es nicht.

Malala ist eine Kinderrechtsaktivistin aus dem Swat-Tal in Pakistan. Sie war 2013 die bisher jüngste Kandidatin für den Friedensnobelpreis. Sie wurde weltweit bekannt, nachdem islamistische Extremisten unter den Taliban sie in den Kopf geschossen hatten, weil sie sich für die Bildung von Mädchen engagiert hatte. In Nigeria unterstützte die 17-jährige Malala eine internationale Kampagne für die Schülerinnen, die von der Boko Haram-Sekte Mitte April entführt und verschleppt worden waren.

Auch in Nigeria haben religiös begründete Spannungen in Konflikte gemündet. Christen und Muslime stellen in Nigeria in etwa gleich große Bevölkerungsanteile. Während im Südwesten die Bevölkerung konfessionell gemischt und der Südosten christlich geprägt ist, ist der Norden des Landes mehrheitlich muslimisch. Ethnisch, sprachlich und auch in ihren staatlichen Traditionen weisen diese drei Großräume Nigerias erhebliche Unterschiede auf.

Diese Auftteilung von Nord und Süd hat ihren Ursprung in der Kolonialzeit. Weil Afrika von der Küste her kolonisiert wurde, wurde vor allem der Süden Nigerias wirtschaftlich und kultuturell - zuerst von der portugiesischen und dann der britischen Herrschaft - dominiert. Auch die Unabhängigkeit 1960 führte nicht zu einer Einigung unter den Volksgruppen. Bis 1999 wurde das Land von verschiedenen Militärdiktaturen regiert, die jedoch die Spannungen innerhalb der Bevölkerung nur unterdrückten und nicht lösten.

Seit der Kolonialzeit ist der Süden weiter entwickelt und bietet mehr Perspektiven als der Norden. Die Kluft zwischen dem ärmeren Norden und dem reicheren Süden wird dadurch noch verstärkt. Bei dem Konflikt geht es insbesondere um die Verteilung von Land und Ressourcen, die Besetzung politischer Ämter, Rechtstaatlichkeit und soziale Ungerechtigkeit. Auch die Verteilung der Gewinne aus der Erdölförderung spielt angesichts hoher Arbeitslosigkeit und geringer Perspektiven immer wieder eine Rolle.

saro-wiwa ken 1994Doch der relative Reichtum im Süden des Landes hat Schattenseiten. Ausgerechnet die Bewohner des Nigerdeltas, in dem das meiste Öl gefördert wird, profitieren kaum von den Erlösen ihrer Ressourcen. Der Bürgerrechtler, Schriftsteller und TV-Producer Ken Saro-Wiwa hatte deshalb 1989 die Organisation "Movement for the Survival of the Ogoni People" (MOSOP) gegründet, um die von der Umweltzerstörung durch die Ölförderung im Nigerdelta betroffenen Ogoni zu unterstützen. Saro-Wiwa, der selbst aus dem Ogoni-Volk stammte, wurde mehrmals durch die nigerianische Militärregierung verhaftet und häufig ohne Prozess monatelang festgehalten. Im Mai 1994 wurde er mit acht MOSOP-Mitgliedern mit der Begründung festgenommen, sie seien der Anstiftung zum Mord an vier Stammesältesten der Ogoni schuldig. In einem Schauprozess wurde Saro-Wiwa verurteilt und im Nobember 1995 hingerichtet. Angebliche Zeugen gaben später zu, von der nigerianischen Regierung bestochen worden zu sein. (-> Ölkonzern Shell am Pranger).

Schon seit einigen Jahrzenten werden Christen und Muslime politisiert. Der Norden fordert die Einführung der Scharia in ganz Nigeria und die christliche Mehrheit im Süden des westafrikanischen Landes versucht im Norden Bekehrungskampagnen durchzuführen, um die vemeintliche Islamisierung des Landes zu verhindern.

Seit 2001 haben zwölf nordnigerianische Bundesstaaten die Scharia, das islamische Recht, als oberstes Recht eingeführt. Dem damaligen Staatspräsidenten Olesegun Obasanjo wurde vorgeworfen, nicht entschieden genug gegen die Einführung des islamischen Gesetzes vorgegangen zu sein. Die Empörung insbesondere auf christlicher Seite war sehr groß. So kam es in einigen Landesteilen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um lokale Posten, die vornehmlich mit Muslimen besetzt worden waren. Seitdem kommt es immer wieder zu Angriffen von beiden Seiten auf Angehörige anderer Religionen.

Innerhalb der letzten vier Jahre führte der Aufstand der muslimischen Boko Haram zu mehr als 4.000 Toten, der Vertreibung einer halben Millionen Menschen, der Zerstörung von hunderten Schulen und Regierungsgebäuden und der Destabilisierung des Nordosten Nigerias.

Der Anschlag bei einem Public Viewing der Fußball Weltmeisterschaft in der nordnigerianischen Stadt Damaturu hatte 21 Menschen das Leben gekostet; 27 weitere wurden schwer verletzt. Die Entführung von 200 Schülerinnen aus einer Schule in der Stadt Chibok im April hatte weltweit Empörung hervorgerufen. Seitdem wurden weitere Schülerinnen und Schüler im Norden des Landes verschleppt. Die Regierung steht den Taten weitestgehend machtlos gegenüber.

Viele Nigerianer sind heute ärmer als bei der Unabhängigkeit 1960. In den meisten Teilen des Landes ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit, Wasser, Gesundheit, Elektrizität und Bildung zu sorgen. Die Situation ist im Norden besonders angespannt. Frustration treibt viele Menschen dazu sich Gruppen anzuschliessen, die der Regierung ablehnend gegenüberstehen.

Nach Angaben des Hochkommissariats für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR) sind innerhalb Nigerias etwa 650.000 Menschen aus den Bundesstaaten Adamawa, Yobe und Borno vertrieben worden, wo Angriffe von bewaffneten Gruppierungen am häufigsten vorkommen. Mit der Befürchtung, dass weitere Familien ihre Häuser verlassen und die Grenze nach Kamerun überqueren müssen, bereiten sich das Welternährungsprogram der Vereinten Nationen (WFP) und dessen Nothilfe-Partner in Kamerun darauf vor, dort bis zum Ende des Jahres bis zu 50.000 Menschen helfen zu müssen.

Die International Crisis Group warnte davor (PDF), dass der Konflikt auf Kamerun und Niger übergreifen könnte. Beide Nachbarstaaten Nigerias seien dem Kampf gegen eine bewaffnete radikal-islamistische Gruppe nicht gewachsen.

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