kamerun hochzeit einl150Douala. - Der "schwarze Kontinent" ist in der westlichen Lesart ein Krisenkontinent. Kriege und Konflikte dominieren das Bild, das sich Mainstream-Medien gemeinhin von Afrika machen. Doch Afrika hat der Menschheit Wesentliches gegeben. Die ältesten Überreste von Hominiden wurden hier gefunden. Es gab imposante Städte und riesige Königreiche, als Europa noch im "finsteren Mittelalter" lebte. Die gesamte Popmusik unserer Tage, vom Jazz über den Rock bis zu Hip-Hop und Rap, wäre ohne die aus Afrika verschleppten Sklaven Süd- und Nordamerikas undenkbar. Erst allmählich wird Afrika auch als "Chancenkontinent" gesehen - weil der Globalisierung die Länder auszugehen drohen, deren Rohstoffe noch nicht komplett geplündert wurden und deren "workforce" noch nicht in Gänze der "globalen Wertschöpfungskette" unterworfen ist. Von Klaus Boldt, z.Zt. Douala.

Teil 1: Das "Herz der Finsternis"? Ein Herz für Kinder!

Das eiserne Hoftor bei Glawdys und Olivier ist noch feucht vom neuen, graublauen Anstrich, aber es steht nie still. Auf und zu geht das Tor, ständig tauchen neue Verwandte und Freunde auf, um die Hochzeit der beiden vorzubereiten. Der 32-jährige Mitarbeiter eines Fotolabors in Douala, der Wirtschaftsmetropole Kameruns, wird am Samstag mit seiner Glawdys verehelicht. Er ist ein Duala, in Douala aufgewachsen, sie stammt aus einer anderen Ethnie im Westen des Landes.

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Auch wenn Glawdys und Olivier schon länger zusammenleben und eine süße, dreijährige Tochter namens Inaya haben: Es wird eine traditionelle Hochzeit geben, ein bißchen an westliche Gepflogenheiten wie das weiße Brautkleid angepasst. Die Eltern der Braut geleiten Glawdys zu Fuß zum Haus von Oliviers Familie und übergeben sie dem Bräutigam. In der Woche vor der Hochzeit geben sich Eltern, Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten die Klinke in die Hand. Alles will sorgfältig vorbereitet sein.

Oliviers Cousinen haben Glawdys unter die Lupe genommen, ihr spielerisch Fehler und Unzulänglichkeiten vorgeworfen. Würde die Braut ihnen nicht gefallen, könnten sie eine andere Frau für Olivier suchen. Glawdys mögen sie, doch das Ritual verlangt nach einem kleinen Opfer. Zur symbolischen Strafe für ihre "Charakterschwächen" muss die Braut bis zur Heirat ein weißes Häubchen auf dem Kopf tragen, eine Art Mini-Heiligenschein. Und sie muss tagaus, tagein dasselbe Kleid anziehen. Bühnenreif hat Glawdys den Cousinen Oliviers mitgeteilt, dass sie trotzdem am Heiratsplan festhält: "Ich pass auf meine Sachen auf!" hat sie selbstbewusst geantwortet und Olivier damit zu ihrem liebsten Besitz erklärt, von dem sie sich unter keinen Umständen mehr trennen will.

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Glawdys arbeitet im Flughafen von Douala, das während der deutschen Kolonialzeit die erste Hauptstadt war und das heute noch einer der wichtigsten Wirtschaftsmetropolen Westafrikas ist. Das Klima ist jetzt im Juli, während der Regenzeit, schwül-heiß. Wenn der Regen auf Dächer und Straßen prasselt, scheint das Leben für eine Weile stillzustehen, selbst auf dem zentralen Marktplatz, wo Motorradtaxis im Verein mit Geländewagen sonst unentwegt Fußgänger von den engen Gassen scheuchen.

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Im Haus und Hof von Olivier hingegen herrscht von morgens bis abends emsige Betriebsamkeit. Wir Berliner Zaungäste sehen erstaunt, wie sozial Menschen in den sogenannten "Entwicklungsländern" noch miteinander umgehen können. Die Kinder dominieren das Geschehen, jeder kümmert sich liebevoll um sie. Erst allmählich können wir sie den Brüdern Oliviers zuordnen, denn eigentlich gehört ihre unbekümmerte Lebensfreude allen. Der siebenjährige Meki ist der Hahn im Korb von vier kleinen Mädchen, bis der Nachbarjunge herüberkommt und sich ganz selbstverständlich in das lärmende und vor Vergnügen kreischende Kinderknäuel einreiht.

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Auf der Terrasse ist immer Leben. Fotos © epo.de


IM WESTEN NICHTS NEUES? VOM SÜDEN LERNEN!

Während ich das fröhliche Treiben betrachte, denke ich an Moabit, das Berliner Viertel, in dem mein Redaktionsbüro beheimatet ist. Die herumtollende Kinderschar hätte dort wohl längst einen missmutigen Nachbarn zu einer Anzeige wegen Ruhestörung motiviert. In Moabit sind 59 Prozent der Bewohner Singles. Fast täglich werden neue Straßen verkehrsberuhigt, Wohnungen dementer Rentner geräumt und langjährige Mieter aus ihren billigen Wohnungen vertrieben, weil ihnen als Hartz-IV-Ehepaar nur noch eine Zwei-Zimmer-Wohnung zusteht. Viele Bewohner der Hauptstadt der reichen Bundesrepublik plündern bei Tag und Nacht die Müllbehälter und bedanken sich bei Jürgen Trittin für das Dosenpfand, die wichtigste Gesetzesreform der rotgrünen Bundesregierung.

Moabit wird gerade "entwickelt". Jahrelang leerstehende Läden werden von potenten Investoren renoviert und mit einem schönen Preisaufschlag an Yuppies vermietet. Immobilienmakler, Politiker und Mafia haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Viertel nahe des Hauptbahnhofs in den nächsten Jahren boomen wird. Neben anderen "Zivilisationskrankheiten" wie der Gewinnsucht grassieren Depressionen. Bei den Kindern wird das "Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom" (ADS) diagnostiziert, für die Älteren gibt es Pillen und Spritzen gegen Einsamkeit, Alzheimer und Demenz.

"Im Herz der Finsternis" hatte Joseph Conrad seinen im Kongobecken spielenden Bestseller getauft. Im heutigen Afrika gibt es sicher auch Finsternis, aber viel mehr Herz als im "Alten Europa".

-> Teil 2: Kontrollitis: Privates Glück in einer totalitär überwachten Welt +++ Ein Afrika-Flug nach 13 Jahren +++ Kaffee und andere Drogen +++


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