maerz1848 berlin

Berlin. - Es ist ein mediales Besäufnis. 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer feiern die Deutschen das "Freiheitsbegehren" der Ostdeutschen, das angeblich in eine "friedliche Revolution" mündete. Dabei wollte die Mehrheit nur den Trabi loswerden, Urlaub im Westen machen und "Wohlstand". Die Mauern und Stacheldrähte wurden an die EU-Außengrenzen verlagert. Und in anderen Teilen der Welt wurden neue Mauern und Zäune errichtet.

"Zum Zusammenbruch des Regimes der DDR hat geführt, dass das Freiheitsbegehren einer kleinen, fast avantgardistisch agierenden Gruppe und das Wohlstandsbegehren einer großen Mehrheit zusammengekommen sind", zitiert die "Neue Osnabrücker Zeitung" den Politologen Herfried Münkler, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt. "Aus der Sicht der herrschenden Eliten hat das Wohlstandsbegehren womöglich den größeren Druck entfaltet. Das Freiheitsbegehren wäre noch zu unterdrücken gewesen, aber die Eigenständigkeit der DDR wäre nur aufrecht zu halten gewesen, wenn das Regime der DDR den Wohlstand der Bevölkerung um 20 bis 30 Prozent gesenkt hätte. Das war einfach nicht durchzusetzen."

mut zur freiheit 720

Den Freiheits-Mythos feiert der RBB mit einem "25-stündigen Medienereignis" und einem "Livestream worldwide", während das Zentrum für Politische Schönheit in einer vorbildlichen Aktion den ersten europäischen Mauerfall inszeniert.

"DEUTSCHES GEDENKKARTELL"

"Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart – und reißen die EU-Außenmauern ein. Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!", sagt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit. "Während sich Politiker aller Parteien am 9. November in den Armen liegen und das Ende der mörderischen innerdeutschen Mauer feiern, haben Sie die viel mörderischeren Außenmauern Europas finanziert. Diesem Verrat nimmt sich das Zentrum für Politische Schönheit an. Rücken wir den illegalen Mauerbauten in der Europäischen Union zu Leibe."

Die Politkünstler attackierten am Sonntag die neuen Stacheldrahtmauern Bulgariens, die "rechtswidrig unter Bruch des internationalen Völkerrechts" errichtet wurden. "Damit sich das Unrecht nicht festsetzt, ist es wichtig, es jetzt wieder abzureißen! Nicht durch die Politik, sondern durch den Druck einer mutigen Zivilgesellschaft wurde die innerdeutsche Mauer porös, die 28 Jahre lang als unüberwindlich galt."

mauerfall europa zfps

Mit einem Bus entflohen die Politaktivisten dem "deutschen Gedenkkartell" und reisten als "Vorhut einer zweiten Friedlichen Revolution" an die europäische Außenmauer. Dort begannen sie zum 25. Jahrestag des Mauerfalls mit dem Abbau der europäischen Grenzanlagen. "Ein Akt politischer Schönheit und die einzige Form, in der sich das Jubiläum würdig 'feiern' lässt." Diejenigen, die sich einen der 55 Busplätze ergattern konnten, erhielten "die erforderlichen Werkzeuge zum Abbau der EU-Außenmauern sowie zur Aushebelung der neusten europäischen Sicherheits- und Überwachungstechnik".

MORE WALLS TO FALL

Das ehemalige Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL erinnerte am Rande des Mauerfall-Medienspektakels immerhin mit einer Fotostrecke daran, dass anderswo alte Mauern weiterbestehen und neue errichtet wurden, um potentiellen Migranten die Reisefreiheit auszutreiben.

In Nordirland werden mittels Mauern Katholiken und Protestanten, auf Zypern Griechen und Türken, in Kaschmir Inder und Pakistanis, im Westjordanland Israelis und Palästinenser, in Korea Koreaner, in Melilla Afrikaner und Europäer, zwischen den USA und Mexiko Amerikaner getrennt.

Die "menschlichen Kosten der Festung Europa" sind ungeheuerlich. Der italienische Journalist Gabriele Del Grande wertet ständig Pressemeldungen aus. Demnach sind seit 1988 mindestens 21.439 Menschen entlang der europäischen Grenzen gestorben. Migranten sterben in nordafrikanischen Auffanglagern. Sie versinken im Mittelmeer auf dem Weg nach Italien oder Griechenland oder im Atlantik auf dem Weg nach Spanien. Sie verdursten in der Sahara.

muenkler herfriedMünkler bilanziert indes die menschlichen Kosten in Deutschland: "Die besser gebildeten Frauen aus Vorpommern sind weggegangen, etwa nach Bayern und Baden-Württemberg. Dort konnten und können sie ein Vielfaches verdienen. Es ist eine andere Frage, ob sie im Süden und Südwesten Deutschlands glücklich geworden sind. In der Regel haben sie dort nicht geheiratet und keine Kinder bekommen. In Mecklenburg-Vorpommern jedoch sind frustrierte junge Männer zurückgeblieben, die eine starke Neigung nach rechts haben, teilweise zu fremdenfeindlichen und rassistischen Gruppierungen. Bei diesen Männern muss nicht von vornherein rechtsradikales Gedankengut vorhanden gewesen sein. Aber sie fühlen sich zurückgelassen und alleingelassen. Das ist auch nicht mehr reparabel. Die quantitative Disparität zwischen Männern und Frauen ist in der arabischen Welt, in Indien und China ein großes Problem. Wir können dieses Bild in Deutschland unter Laborbedingungen studieren und etwas begreifen, was in anderen Weltgegenden gerade geschieht."

Foto ©: Die Märzrevolution 1848 in Berlin | www.bundesregierung.de  (Mut zur Freiheit) | Zentrum für politische Schönheit (Logo) | Humboldt-Universität Berlin (Münkler)


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