Reporter - ein Gesellschaftsspiel. Foto: Klaus Boldt

Berlin. - "Flüchtlingsunglücke auf dem Mittelmeer: Was kann Europa tun?" (SPON) -- "Flüchtlingskatastrophe: Was die EU gegen das Massensterben im Mittelmeer tun muss" (Süddeutsche Zeitung) - Europas Politiker und ihre Leitmedien, allen voran die deutschen, vergießen nach dem Tod von vermutlich 700 Flüchtlingen, die von Libyen nach Lampedusa unterwegs waren, mal wieder Krokodilstränen. Doch die Rezepte gegen das "Massensterben" sind immer die gleichen - die falschen. Ein Kommentar von epo.de Herausgeber Klaus Boldt.

"Flüchtlingsunglücke auf dem Mittelmeer: Was kann Europa tun?", fragt Fabian Reinbold (SPIEGEL Online) Er zitiert lediglich die Politik: eine europäische Seenotrettungsoperation, Frontex ausbauen und Schleuser ausschalten, "Asylzentren" in den nordafrikanischen Ländern einrichten und denen das Problem aufhalsen.

"Migration ist kein Saison-Artikel, sondern ein Dauerphänomen", schreibt Stefan Kornelius auf SZ Online. "Und für die Ertrinkungs-Katastrophen gibt es die immer gleichen, unmittelbaren Gründe: Zu viele Menschen werden von Geschäftemachern auf zu kleine und untaugliche Schiffe gepfercht, die es nicht bis nach Italien schaffen."

"Europa und die Einwanderung: Legalize it!", fordert dagegen der Italien-Korrespondent des SPIEGEL, Hans-Jürgen Schlamp. Er plädiert für eine bedarfs-gesteuerte Einwanderungspolitik: Wen man aufgrund seiner Ausbildung und Fähigkeiten gebrauchen kann, soll man nach Europa lassen. Und natürlich die politisch Verfolgten wie die Syrien-Flüchtlinge, denen der Bürgerkrieg die Überlebensgrundlagen raubt.

Heribert Prantl, Innenpolitik-Chef der SZ, wies in der Jauch-Talkshow vom Sonntag in einem Nebensatz immerhin auf eine Ursache der "Katastrophe" hin: Das Leerfischen afrikanischer Küstengewässer durch europäische Fischfangflotten. Und er schrieb in der Süddeutschen: "Diese Union tötet". (Später umgetauft in: "Wie die EU Flüchtlinge tötet").

Richtig: Die Europäische Union tötet afrikanische Flüchtlinge, indem sie mittels Frontex die Grenzen abschottet, Europa zur Festung erklärt und die Rettung von Menschen aus Seenot - die Italien eine Zeit lang mit der Operation "Mare Nostrum" im Alleingang bewältigte und damit 100.000 Menschen rettete - verweigert. Die Seenotrettung ist ein jahrhundertealtes Prinzip, das besagt, dass jeder, der in Seenot gerät, gerettet werden muss - selbst in Kriegszeiten. Es blieb den Bürokraten der hochtechnisierten Europäischen Union des 21. Jahrhunderts vorbehalten, dieses humanistische Prinzip zu beenden.

PERVERS: DER LOVER EINER MIGRANTIN PLÄDIERT FÜR DIE FESTUNG EUROPA

Das verbrecherische Kalkül lautet: Abschreckung durch Ersaufenlassen. In Reinform predigt es Roger Köppel, Chefredaktor und Verleger der schweizerischen Weltwoche, der privat gern mit seiner Ehefrau Tien und den Kindern posiert. Sie ist eine "Ökonomin, die als Vierjährige zusammen mit ihrer Familie aus Vietnam nach Lachen SZ am Zürichsee geflüchtet ist".

Der ignorante oder unfähige Günther Jauch, einer der Talkmaster der Nation, ist nicht in der Lage, ihn nach diesem Widerspruch zu fragen: Privates Glück mit einer Migrantin, beruflich dafür plädieren, die Schotten dicht zu machen? Geht's noch?

Es geht. Wir werden von unfähigen Politikern und geldgierigen Finanzhaien regiert. Deren unsortiertes Geschwätz wird tagtäglich von massenmedialen Lakaien multimedial über den Globus verbreitet. Wir verdienen es nicht besser. Wer sich mit billigen Konsumgütern, Fußballweltmeisterschaften und trivialen Fernsehserien ruhigstellen lässt und nichts dagegen hat, bei diesen banalen Machenschaften auch noch rund um die Uhr und überall von Geheimdiensten ausgespäht zu werden, hat genau diese Regierung und diese Mainstream-Medien verdient.

WAS MUSS MAN TUN?

Abseits dieser Massenphänomene gibt es Leute, denen das SOS-Signal nicht egal ist und die einfach mal anpacken: Wie Harald Höppner, der mit seiner Familien einen Fischkutter kaufte und damit Flüchtlinge aus Seenot retten will. Oder die rund 100 Freiwilligen, die die Berliner Initiative "Neue Nachbarschaft // Moabit" tragen und sich seit August 2013 für die Notunterkunft in der Levetzowstraße in Berlin-Moabit einsetzen. Sie organisieren Mal- und Bastelkurse für die Kinder, bieten Deutschkurse an, sammeln Geld mit einem Trödelmarkt. Nachdem sie bei der Heimleitung und dem privaten Heimbetreiber Missstände im Heim anprangerte, bekam die Initiative Hausverbot. Es stellte sich heraus, dass das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) mit dem Heimbetreiber keinerlei schriftliche Verträge über die vereinbarten Standards im Heim geschlossen hatte und dass in den Flüchtlingsheimen keine Kontrollen durchgeführt wurden. Die Initiative sorgte dafür, dass mittlerweile für alle Flüchtlingsunterkünfte in Berlin schriftliche Verträge vorhanden sind, in denen die Vereinbarungen fixiert werden und damit öffentlich überprüfbar sind.

Was fehlt, ist der politische Druck, an den Wurzeln ("radikal") anzupacken. Niemand flieht freiwillig aus Afrika an einen Ort, wo das Wetter und die Menschen kalt sind. Das sind (einige) der Fluchtursachen, die beseitigt werden müssen:

Europa muss seinen Status des US-Vasallen beenden und sich auf seine humanistische Tradition besinnen. Ein Glück, dass die europäischen Auswanderer im 19. Jahrhundert - mehrheitlich "Armutsflüchtlinge" - in Nord- und Südamerika, in Australien und anderswo nicht auf europäische Politiker stießen. Sie hätten wohl keine Chance gehabt, sich ein Leben in Würde aufzubauen. So wie mein Onkel Alfred, der 1929, inmitten der Weltwirtschaftskrise, nach Argentinien auswanderte, dort mit offenen Armen aufgenommen wurde und fortan Alfredo hieß.

Nehmen wir die Politiker unserer Regierung beim Wort, egal ob Christ- oder Sozialdemokraten. Wer keine christliche und soziale Politik praktiziert, repräsentiert uns nicht und soll aus Partei und Regierung austreten. Wir tauschen sie gerne gegen nette Afrikanerinnen und Afrikaner ein.

=> Seenotrettung jetzt! 
=> http://fortresseurope.blogspot.de

Klaus Boldt ist Gründer und Herausgeber von Entwicklungspolitik Online.


Back to Top

Wir nutzen ausschließlich technisch notwendige Cookies auf unserer Website.