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Berlin. - Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg waren 2014 laut UNHCR ca. 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Die geschlossenen Grenzen Europas zwangen 170.000 von ihnen, den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer zu nehmen. Doch statt eine zivile Seenotrettung zu etablieren und legale Zugangswege zu öffnen, diskutiert Europa darüber, die Flüchtlingsfrage auszulagern und Asylverfahren künftig schon in Nord- und Westafrika durchzuführen. Europa schützt seine Grenzen, aber nicht die Flüchtlinge. Ebenso ergeht es tausenden von Menschen in Südostasien, die auf Flüchtlingsbooten von den Regierungen unter anderem in Australien, Indonesien, Malaysia und Thailand abgewiesen werden. Flüchtlingsorganisationen haben den internationalen Gedenktag für Flüchtlinge (20. Juni) dazu genutzt um die aktuelle Flüchtlingspolitik zu kritisieren.

Amnesty fordert die Weltgemeinschaft auf, den Flüchtlingsschutz wiederzubeleben und veröffentlichte einen Bericht zur globalen Flüchtlingskrise. Darin wird das Schicksal von ca. 3.500 Menschen dokumentiert, die bei der Flucht über das Mittelmeer 2014 ertranken. 2015 liegt die Zahl bisher bereits bei 1.865. Weitere 300 Menschen sind in den ersten drei Monaten diesen Jahres im Admanischen Meer verhungert, verdurstet oder wurden getötet.

"Wir erleben die schlimmste Flüchtlingskrise unserer Zeit. Millionen von Frauen, Männern und Kindern kämpfen um ihr Überleben. Schuld daran sind brutale Kriege, skrupellose Menschenschmuggler und Regierungen, die egoistische nationale Interessen über jedes menschliches Mitgefühl stellen", sagte Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International.

"Die Flüchtlingskrise ist die grösste Herausforderung des 21. Jahrhunderts, aber die Internationale Gemeinschaft hat skandalös versagt. Wir brauchen eine radikale Veränderung in Politik und Praxis, um eine kohärente und verständliche globale Strategie zu entwickeln."

Konkret fordert die Menschenrechtsorganisation von den Regierungen, sich zu verpflichten, innerhalb der nächsten vier Jahre die Million Flüchtlinge, die dringend auf rasche Neuansiedlung angewiesen sind, kollektiv aufzunehmen. Außerdem soll ein internationaler Globaler Fond eingerichtet werden, der die Kriterien für humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen erfüllt, um die Länder zu unterstützen, die die meisten Flüchtlinge bei sich aufgenommen haben. Wichtig sei außerdem, faire nationale Verfahren zu etablieren, um die Rechte von Flüchtlingen zu garantieren und sicherzustellen, dass Flüchtlinge ihre grundlegenden Rechte wie das Recht auf Gesundheitsversorgung und Bildung wahrnehmen können.

Speziell Europa sowie Deutschland stehe in der Pflicht, Konsequenzen aus den weltweit ansteigenden Flüchtlingszahlen zu ziehen und deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen, statt weiter auf Abschottung zu setzen.

"Die aktuellen Zahlen zu Flüchtlingen weltweit dürfen die Staats- und Regierungschefs nicht nur erschüttern und betroffen machen: Europa muss sich endlich zum Flüchtlingsschutz bekennen und aktiv deutlich mehr Menschen aufnehmen", sagte Selmin Çalışkan, die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.

"Es nützt nichts, in dieser Situation den Kopf in den Sand zu stecken. Europa darf die Augen nicht vor der Realität verschließen: Angesichts von Verfolgung, Krisen und zunehmenden bewaffneten Konflikten werden auch nach Europa mehr Flüchtlinge kommen. Die Nachbarländer allein können den Schutz der Menschen nicht leisten. Das gegenwärtige Gezerre um die Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb der EU ist eines Friedensnobelpreisträgers unwürdig. Statt Aufregung brauchen wir echte Solidarität in Europa. Statt der tödlichen Abschottungspolitik brauchen wir endlich mehr legale und sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa.“

Als eine Maßnahme fordert Amnesty von der EU, deutlich mehr Flüchtlinge in sogenannten Resettlement-Programmen aufzunehmen. "Wenn einer von 122 Menschen weltweit vertrieben oder auf der Flucht ist, dann ist es an der Zeit, Resettlement- und humanitäre Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge erheblich auszubauen, den Familiennachzug zu hier lebenden Flüchtlingen zu erleichtern und die Visapolitik zu liberalisieren. […] Die europäische Untätigkeit angesichts der weltweiten Flüchtlingskrise ist tödlich."

Aktuell zeige sich auf EU-Ebene eine besorgniserregende Zunahme von nationalen Egoismen in der Flüchtlingspolitik. Dabei wäre ein solidarisches Handeln in der aktuellen Situation dringend erforderlich, forderte die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL. Die Situation für Flüchtlinge in mehreren Ländern der EU sei unerträglich. Asylsuchende würden in Ländern wie Griechenland, Italien, Ungarn und Bulgarien zu Obdachlosen gemacht oder misshandelt. Vielfach würden sie völkerrechtswidrig inhaftiert.

FREIZÜGIGKEIT FÜR FLÜCHTLINGE

Für einen Systemwechsel sprechen aus Sicht von Flüchtlingsorganisationen mehrere Gesichtspunkte: Das Prinzip der freien Wahl bewirke, dass Asylsuchende dort hingehen könnten, wo sie die Unterstützung ihrer Familien oder Communities erhiellten. Damit würden erstmals die Interessen der Asylsuchenden berücksichtigt. Dies führe dazu, dass sie sich von Beginn an besser integrieren und zurechtfinden können. Dies sei im bisherigen Dublin-System nicht vorgesehen. Außerdem könnten Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen vermieden werden, wenn diese nicht länger zum Aufenthalt in Ländern gezwungen werden, die weder ein ordentliches Asylsystem noch ein Mindestmaß an menschenwürdiger Behandlung für sie bereithalten.

TRAUMATISIERTE SCHLECHT VERSORGT

Unterstützung durch Familien und Communities ist auch im Zusammenhang mit traumatisierenden Erlebnissen durch die Flucht entscheidenend. Die Bundes Psychotherapeuten Kammer (BPtK) macht auf die unzureichende Behandlung psychisch kranker Flüchtlinge aufmerksam. Rund 40 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland leiden aufgrund extrem belastender Erlebnisse in ihren Heimatländern und auf der Flucht unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Von den rund 200.000 Menschen, die 2014 in Deutschland Asyl suchten, benötigen deshalb rund 80.000 eine Behandlung. Von ihnen erhalten jedoch tatsächlich nur etwa fünf Prozent eine Psychotherapie. "Die Versorgung von psychisch kranken Flüchtlingen muss sich umgehend verbessern", kritisierte Dr. Dietrich Munz, Präsident der BPtK anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni 2015. "Flüchtlinge sind besonders schutzbedürftig. Sie dürfen nicht wie Patienten zweiter Klasse behandelt werden."

UNHCR: FLÜCHTLINGE SIND MENSCHEN WIE DU UND ICH, DIE SCHWIERIGE ZEITEN ERLEBEN

Jeder Flüchtling hat eine eigene Geschichte, Geschichten von Gewalt und Verlust, aber auch von Mut und Hoffnung. António Guterres, UNO-Flüchtlingshochkommissar sagte dazu: "Überall auf der Welt fliehen Familien vor Gewalt. Die Zahlen sind gewaltig, aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Menschen Mütter und Väter, Töchter und Söhne sind, Menschen wie Du und ich – bevor der Krieg sie zur Flucht gezwungen hat. Am Weltflüchtlingstag sollten sich alle daran erinnern, was uns verbindet: unsere gemeinsame Menschlichkeit."

Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni startet UNHCR daher eine Kampagne, die die Erlebnisse von Flüchtlingen in den Mittelpunkt rückt. Dazu bieten Interviews, Fotostrecken und Kurzfilme einen Einblick in das Leben von Flüchtlingen.

"FLUCHT UND ASYL" IM FOKUS AUF DEM PORTAL GLOBALES LERNEN

Flüchtlinge hier in Deutschland werden immer wieder mit Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert. Um diesen entgegenzuwirken und frühzeitig vorzubeugen, ist schulische und außerschulische Bildungsarbeit zum Thema "Flucht und Asyl" wichtig.

Zum Weltflüchtlingstag konzentriert sich das Portal "Globales Lernen"  mit zahlreichen Bildungsmaterialien, Filme, Dokus und Spots, Hintergrundinfos, Portale, Initiativen und Aktionen mit genau diesem Thema. Das Vermitteln von sachlichen Informationen über Fluchtursachen, Fluchtbiografien, Fluchtwege und Fluchthindernisse, lässt Schüler Stereotype und Vorurteile hinterfragen, ermöglicht Empathie und Anteilnahme und läd dazu ein, persönliches Engagement zu entwickeln und für Flüchtlinge vor Ort einzutreten.

=> Amnesty-Bericht "The global refugee crisis: a conspiracy of neglect

=> UNHCR- Kampagne Weltflüchtlingstag

Grafik: © UNHCR

Quellen: proasyl.de | amnesty.de | unhcr.deglobaleslernen.de | bptk.de


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