WSISTunis/Berlin (epo). - In Tunis hat der Weltgipfel über die Informationsgesellschaft begonnen. Delegierte aus 175 Ländern beraten vom 16.-18. November in der tunesischen Hauptstadt über Wege, den "digitalen Graben" zwschen Industriestaaten und Entwicklungsländern zu überbrücken. Das eigentliche Gipfelthema - die ärmeren Länder des Südens bei der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationsmittel technisch und finanziell zu unterstützen - wird überschattet von Bestrebungen der US-Regierung, ihr Monopol bei der Internet-Aufsicht zu behalten, und repressiven Maßnahmen der tunesischen Behörden gegenüber kritischen Stimmen in der Zivilgesellschaft und den Medien.

Hinsichtlich der umstrittenen Frage, wer die Aufsicht über die Vergabe der IP-Adressen und das Domains Name System ausüben solle, zeichnet sich Beobachtern zufolge ein Kompromiss ab. Unter Leitung der kanadischen Delegation hatten sich die Verhandlungsführer bereits am Sonntag darauf verständigt, ein Forum zur Netzpolitik zur Diskussion von Fragen über die Internet-Aufsicht einzurichten.

Ein am Dienstag offensichtlich verabschiedetes Papier sieht vor, den Einfluss von  Regierungen zu begrenzen - "gerade für die Menschen in totalitären Systemen wäre das verheerend gewesen", so Markus Beckedahl, ein deutscher Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen in Tunis. Negativ sei aber zu vermerken, dass die USA immer noch die Kontrolle über die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) haben. Die EU setzte sich jedoch mit ihrem Vorschlag durch, ein Forum rund um die Frage des "Internet Governance" zu schaffen.

Die Aufsicht über ICANN wird von der National Telecommunications and Information Administration (NTIA) der USA ausgeübt. Vertreter der Zivilgesellschaft und von Staaten wie Brasilien und China sehen dies als eine Lösung, deren Wohl und Wehe von den Vereinigten Staaten abhängt und die der weiteren Kommerzialisierung und marktwirtschaftlichen Verwertung durch Großkonzerne Vorschub leistet. Autoritäte Länder wie China, Iran und Saudi-Arabien strebten eine stärke Rolle der Regierungen an.

"Das Internet und die neuen Kommunikationstechnologien bieten große Chancen im Kampf gegen die Armut. Aber wir müssen etwas investieren, um aus Potenzialen Realitäten zu machen", sagte die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul anlässlich der Eröffnung des Weltinformationsgipfels. Sie kündigte an, die Bundesregierung werde der Development Gateway Stiftung, deren Gründungsmitglied Deutschland ist, in den nächsten drei Jahren fünf Millionen US-Dollar (rund 4,3 Mio. Euro) zur Verfügung stellen. Die Stiftung leiste wichtige Dienste, um das Internet für die Entwicklungsländer nutzbar zu machen. "Der digitale Graben zwischen Nord und Süd darf nicht noch tiefer werden", sagte Wieczorek-Zeul.

Die von der Weltbank 2001 initiierte Development Gateway Stiftung unterstützt Aktivitäten in 60 Ländern. Die Stiftung bringt im Internet hunderte öffentliche und private Partner zusammen, um einen einfachen und schnellen Zugang zu entwicklungsrelevantem Wissen zu ermöglichen.

Der entwicklungspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Thilo Hoppe, erklärte zu den laufenden Verhandlungen, die Delegationen müssten sich über konkrete Maßnahmen zur Überwindung der digitalen Spaltung zwischen den Ländern des Südens und des Nordens verständigen. "Auf keinen Fall darf es einen Rückschritt von den 2003 in Genf getroffenen Vereinbarungen geben. Dieser Weltgipfel birgt die immense Chance, einige Schritte weiterzugehen auf dem Weg hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft an der alle teilhaben können."

Hoppe forderte zusätzliche Mittel für informationsbezogene Zukunftsinvestitionen in den Ländern des Südens. Die Speisung des freiwilligen digitalen Solidaritätsfonds, der arme Länder bei der Nutzung von Internet und anderen modernen Kommunikationstechnologien finanziell unterstützen soll, müsse "als globalgesellschaftliche Verpflichtung begriffen" werden. "Die Überwindung der digitalen Spaltung bedeutet die Teilhabe aller am weltweiten Informations- und Kommunikationsfluss. Sie gibt den Entwicklungsländern die Chance, in ihrer sozialen, wirtschaftlichen aber vor allem auch demokratischen Entwicklung voranzukommen", sagte Hoppe.

Hoppe begrüßte die Einrichtung eines Internet Governance Forums, an dem Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beteiligt sein und allgemeine Fragen des Internet diskutieren sollen. "Auch bei der ICANN brauchen wir jedoch noch Reformen", betonte Hoppe. "Hier müssen andere Staaten, Betreiber und Nutzerinnen und Nutzer mehr Mitspracherecht bekommen. Die vorrangige Abhängigkeit von der amerikanischen Regierung kann auf Dauer nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir hoffen, dass der Reformprozess, auf den man sich geeinigt hat, zügig vorankommt."

Das voraussichtliche Ergebnis der zweiten Phase des Weltinformationsgipfels - die erste hatte im Dezember 2003 in Genf stattgefunden - ist bereits als PDF-Datei online abrufbar.

Aktuelle Berichte aus Tunis
Live-Übertragung des Gipfels
Development Gateway
Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN


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