ai orgBerlin. - Amnesty International, der Deutsche Anwaltverein (DAV) und PRO ASYL sehen durch das am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossene Asylpaket II die Menschenrechte von Flüchtlingen in Gefahr. Die deutsche Regierung setze mit dem geplanten Verfahren auf "eine Politik von Härte und Unverhältnismäßigkeit gegenüber Menschen auf der Flucht", kritisierten die Organisationen.

"Die neuen beschleunigten Verfahren gefährden massiv die Menschenrechte von Flüchtlingen", sagte Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "Anstatt zu gewährleisten, dass Asylanträge einfach schneller bearbeitet werden, was gerade für die Betroffenen wichtig ist, werden die Verfahren verschlechtert. Der Zeitdruck auf die Sachbearbeiter wird erhöht, und die individuellen Gründe für Flucht und Asyl können kaum noch geprüft werden."

Bei den Schnellverfahren seien extrem kurze Fristen geplant, so die NGOs. Insbesondere Flüchtlinge ohne Papiere würden diesen Verfahren unterworfen, weil ihnen eine mangelnde Mitwirkungsbereitschaft im Asylverfahren unterstellt werde. Damit werde das Schnellverfahren zum Standardverfahren. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt warnte: "Es darf keine rechtsschutzfreien Räume geben, Schnell-Ablehnungen dürfen nicht zum Standard werden."

In den besonderen Aufnahmezentren sie keine kostenlose Rechtsberatung vorgesehen. Faire Asylverfahren und die Korrektur von Fehlentscheidungen durch die Arbeit von Rechtsanwälten sowie Gerichten würden kaum noch möglich sein. "Um der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu entsprechen, ist es erforderlich, dass jeder Flüchtling in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit hat, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen", sagte Rechtsanwältin Gisela Seidler, Vorsitzende des Ausschusses Ausländer- und Asylrecht des Deutschen Anwaltvereins. "Deshalb ist es erforderlich, neue Modelle der Finanzierung der anwaltlichen Beratung zu finden." Wegen des jüngst eingeführten Sachleistungsprinzips verfügten viele Asylsuchende gar nicht über die finanziellen Mittel, um einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

Selbst Menschen, die krank oder durch Erlebnisse in ihrem Herkunftsland schwer traumatisiert sind, könnten mit dem neuen Gesetz leichter abgeschoben werden, so die NGOs. Der Gesetzentwurf sehe vor, dass von Gesetzes wegen eine Vermutung bestehe, "dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen". Reichten Kranke ein ärztliches Attest nicht unverzüglich ein, bleibe dieses unberücksichtigt. Atteste von Psychotherapeuten sollten nicht ausreichen, obwohl hier eine besondere Expertise in der Traumabehandlung und -diagnose bestehe. "Die Regierung gefährdet so das Leben und die Gesundheit der Betroffenen", kritisierte Burkhardt.

Laut Gesetzentwurf solle der Familiennachzug für subsidiär Geschützte, zum Beispiel Menschen aus Kriegsgebieten, für zwei Jahre ausgesetzt werden. In der Praxis würde dies mit dem Asylverfahren und der Bearbeitungszeit für den Antrag auf Zusammenführung eine mehrjährige Trennung von Familien bedeuten. Die drohende Aussetzung des Familiennachzugs werde den derzeitigen Trend verstärken, dass Kleinkinder, Kinder und Frauen sich auf die lebensgefährliche Fluchtroute und in die Hände von Schleusern begeben. "Mit dieser Politik unterläuft die Bundesregierung ihren selbstgestellten Anspruch auf eine zügige Integration in Deutschland", sagte Çalışkan. "Die Zusammenführung mit ihrer Familie und das Wissen um ihre Sicherheit sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Geflüchtete Perspektiven für das Leben in einem neuen Land entwickeln und Traumata von Krieg und Flucht verarbeiten können."

Der Vorschlag, Tunesien, Algerien und Marokko zu "sicheren" Herkunftsstaaten zu erklären, stößt auf massive Kritik. Çalışkan: "Das Konzept der 'sicheren Herkunftsländer' ist nicht mit dem Recht auf ein individuelles Asylverfahren vereinbar. In Bezug auf die Maghreb-Staaten scheint die dortige Menschenrechtssituation bei den Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt zu haben." In Marokko und Tunesien habe Amnesty seit Jahren Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte dokumentiert. In beiden Ländern seien Homosexuelle wegen ihrer sexuellen Orientierung vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt worden. In Tunesien, aber auch in Algerien, werde das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt.

Die Organisationen werfen der Bundesregierung vor, Menschenrechtsverletzungen in diesen Staaten zu ignorieren und stattdessen "Persil-Scheine auszustellen, die dazu führen, dass in den Eilverfahren die Fluchtgründe praktisch nicht mehr geprüft werden".

Quelle: www.amnesty.de 


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