Auf der Website radiohongkong.de berichten der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) und die NGO Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) über den Verlauf des WTO Gipfels. Neben Videoclips produziert radiohongkong.de auch einen Newsletter, dem die folgenden Analysen entnommen sind. (epo Redaktion)

Das so genannte "Entwicklungspaket"

Besondere Sorgen bereitet das so genannte "Entwicklungspaket". Tatsächlich haben Entwicklungsrunde und Entwicklungspaket eines gemeinsam: was drauf steht, ist nicht drin. Denn an die Vorteile des "Entwicklungspakets" kämen nur am wenigsten entwickelte Länder, keineswegs alle Entwicklungsländer. Und es sind nicht die wichtigsten Entwicklungsanliegen in den großen Verhandlungsbereichen NAMA, GATS und TRIPs, sondern eher ein paar kleine Gefälligkeiten, die die Industrieländer praktisch nichts kosten. Was genau das Paket umfassen wird, ist heute noch nicht klar. Vermutlich gehört dazu aber:

  • bereits beschlossene Änderung des TRIPs-Abkommens zu grenzüberschreitenden Zwangslizenzen, die aller Voraussicht nach keine einzigen armen AIDS-Kranken zu bezahlbaren Medikamenten verhelfen wird.
  • Entwicklungshilfe ('aid for trade'), um die Exportfähigkeit der Wirtschaft der ärmsten Länder zu stärken (was ein merkwürdiger Ausgleich für ungerechte Handelsbedingungen darstellt). Zudem würden diese Mittel aus der üblichen Entwicklungshilfe kommen - fehlten also woanders.
  • zoll- und quotenfreier Marktzugang für die ärmsten Entwicklungsländer (der allerdings von EU und USA bereits weitgehend gewährt wird).

Sorgen macht das Entwicklungspaket auch deshalb, weil im Gegenzug die ärmsten Länder den wirklich harten Punkten zustimmen sollen. Diese würden sie jedoch dann sofort treffen, wenn es ihnen gelingen sollte, aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder aufzusteigen (Mehr Informationen unter 2.5)

Dienstleistungen

Ein ganz heißes Eisen könnten in Hongkong auch die GATS-Verhandlungen werden: Die EU macht erheblichen politischen Druck für weitere Marktöffnungen auf, alle Entwicklungsländer wehren sich. Ansatzpunkt der EU sind die Verhandlungsmethoden:

Während nach dem jetzigen request-offer-Verfahren jedem WTO-Mitglied grundsätzlich selbst überlassen bleibt, seine Märkte zu öffnen, soll damit nach Hongkong Schluss sein. Dann sollen sich alle WTO-Mitglieder zu einem Mindestmaß an Marktöffnung und zur Beteiligung an plurilateralen Verhandlungen verpflichten, sobald sie mit plurilateralen (also von mehreren Staaten zugleich formulierten) Marktöffnungsforderungen konfrontiert sind (Mehr Informationen unter 2.5).

Marktzugang für nicht-agrarische Produkte (NAMA)

Im Bereich nichtagrarischer Marktzugang (NAMA) liegen die Positionen nach wie vor weit auseinander: Die Industrieländer wollen drastische Zollsenkungen durchsetzen, wobei höhere Zölle sehr viel stärker reduziert werden sollen als niedrige. Dies würde insbesondere die Entwicklungsländer treffen, die über sehr viel höhere Zölle verfügen als die Industrieländer. Könnten diese sich durchsetzen, würden viele Entwicklungsländer erhebliche Einnahmeverluste zu verkraften haben. Schlimmer noch: ihre ohnehin nicht sonderlich zahlreichen einheimischen Industrie würden ihre Schutzschilde verlieren und wären so auf den heimischen Märkten dem direkten Konkurrenzkampf mit den Konzernen der Industrieländer ausgesetzt. Einer entwicklungsfördernden Wirtschaftspolitik wären die Grundlagen entzogen.

Landwirtschaft

Die Agrarverhandlungen stocken ebenfalls. USA und G-20 (ein Zusammenschluss von Entwicklungsländern wie Brasilien, Argentinien und Indien) fordern von der EU stärkeren Marktzugang, den diese nicht bereit ist zu geben. Hinter diesem Konflikt verschwindet das eigentliche Entwicklungsproblem: der Schutz von kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Entwicklungsländern. Während die EU die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ihrer Bauern durch ein ausgeklügeltes Subventionssystem kompensiert, drohen die Kleinbauern in Entwicklungsländern ohne ausreichenden Zollschutz ihre Existenzgrundlage zu verlieren - was für die Ernährungssicherung verheerende Folgen hätte.

(Autor: Michael Frein)


Gut verpackt in Entwicklungsrhetorik:
Aggressive Schritte in den Dienstleistungsverhandlungen
In Hong Kong stehen vor allem die Themen Entwicklung und Dienstleistung auf der Agenda

Erst morgen beginnt die WTO-Ministerkonferenz offiziell. Dennoch: die Weichen werden selbstverständlich schon im Vorfeld gestellt. So gibt es mittlerweile bereits mehrere überarbeitete Entwürfe für die Abschlusserklärung der Ministerkonferenz. Dieser lässt darauf schließen, was in den nächsten Tagen die Hauptkonfliktthemen sein werden. Dabei dreht sich zunächst alles um das Thema "Entwicklungspaket", während die heiße Phase am Ende der Konferenz durch das Zerren um ein neues GATS-Abkommen geprägt sein wird. Schon jetzt zeigt sich: Die kühnsten Konzernträume sind im Verlauf der letzten Monaten nacheinander geplatzt, da in vielen zentralen Konfliktpunkten keine Einigung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gefunden werden. Das betrifft vor allem die Verhandlungen um Landwirtschaft und Zollabbau bei Industriegütern. Im Endspurt setzten die mächtigsten Länder nun alles daran, ihre ureigensten Interessen in den GATS-Verhandlungen mit viel Entwicklungsrhetorik zu verpacken - und so doch noch einige Konzernträume umzusetzen. Der Ausgang ist noch unklar.

Viel heiße Luft: Das Entwicklungspaket

"Das Schlimmste, was uns in Hong Kong passieren könnte, wäre, dass die afrikanischen Länder einfach die Konferenz verlassen", so fasste erst kürzlich Adrian van Hoven von der WTO-Arbeitsgruppe des Brüsseler Dachverband der Arbeitgeberverbände UNICE seine Erwartungen an Hong Kong zusammen. Dann würde die Welt wieder denken "die armen Afrikaner", und die EU wären wieder "die Bösen" - so seine Befürchtungen. Ganz unrecht hat er nicht. Denn tatsächlich erwarten viele Entwicklungsländer in den WTO-Verhandlungen Zugeständnisse bei zentralen Entwicklungsthemen. Und das hat auch die EU erkannt. Sie wird deswegen in den nächsten zwei Tagen alles daran setzen, ein so genanntes "Development Package" für die ärmsten Entwicklungsländer in der EU zu schnüren. Allerdings wird es sich bei diesem Paket um nicht mehr als eine Propaganda-Aktion der mächtigen Länder innerhalb der WTO handeln. Denn die Stoßrichtung ist klar: Alles, was z.B. die EU in den letzten Jahren und Monaten an Zugeständnissen gegenüber den Entwicklungsländern gemacht hat - oder zumindest so genannt hat - wird zusammengefasst und innerhalb der WTO-Verhandlungen als Zugeständnisse verkauft. In der Substanz enthält das Entwicklungspaket allerdings kaum etwas.

Das zeigt zum Beispiel die "Aid for Trade"-Initiative - zu deutsch: Handelsliberalisierung im Gegenzug zu Entwicklungshilfe. Schon auf dem G8-Gipfel in Schottland im Sommer diesen Jahres wurde viel von Aid for Trade geredet. Nun, am Vorabend der WTO-Ministerkonferenz, wird es konkreter: Der US-amerikanische Handelsminister Portman sagte am 3. Dezember, dass die G7-Minister 4 Milliarden jährlich für Entwicklungshilfe im Bereich Handel ausgeben und dem Ausbau der Infrastruktur in Afrika Priorität einräumen würden. Und - so wird es immer wieder gesagt - das wirkliche Mittel zur Bekämpfung von Armut sei Marktöffnung. Diese Versprechen finden sich auch im Entwurf der Ministererklärung für Hong Kong wieder: "Aid for Trade ist kein Ersatz für Entwicklungsgewinne in der Doha-Runde, insbesondere in Bezug auf Markzugang". Stattdessen ist es vielmehr eine Ergänzung der Doha-Agenda. Denn Hilfe wird darin, "wo nötig an Bedingungen geknüpft". Hilfe, die an Bedingungen geknüpft, kennen viele Entwicklungsländer nur zu gut. Denn auch IWF und Weltbank verknüpfen ihre Kreditvergabe an Liberalisierungsauflagen. So soll auch das "Aid for Trade"-Programm in Gemeinschaft mit den Organisationen der Reichen ausgehandelt, IWF, Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken.

Die Aid for Trade Initiative hat viele Hintergründe: 1) Es ist offensichtlich, dass in vielen Ländern Handelsliberalisierung zu einer Erhöhung der Armut beigetragen hat. Deswegen sucht die EU nach neuen Wegen. Dazu gehört, die entsprechenden Länder nicht weniger Handelsliberalisierung zu gewähren, sondern - ganz im Gegenteil - es soll dabei unterstützt werden, ihre Ökonomien weiter dem internationalen Wettbewerb auszusetzen. 2) Die EU redet noch immer gerne von der Doha-Entwicklungs-Runde. Auch wenn es offensichtlich ist, dass die Doha-Runde auch zu ihrem Abschluss noch immer keinerlei Entwicklungsthemen behandelt hat - und dies auch letztlich nie ihr Ziel, so muss die EU dennoch die Entwicklungsrhetorik bedienen.

Doch einfach nur mit den Geldscheinen zu winken, bedeutet nicht, einen Beitrag zu Entwicklung zu leisten. Vor allem nicht, wenn dies im Rahmen einer Organisation wie der WTO passiert. Es kommt darauf an, wie das Geld verteilt und eingesetzt wird. Entwicklungshilfe im Rahmen der WTO heißt lediglich, kleine finanzielle Versprechungen zu leisten, um ein spezifisches wirtschaftliches Modell mit allen Mitteln durchzusetzen. Entwicklungshilfe ist kein Ersatz für wirksame Maßnahmen, um z.B. Dumping billiger Produkte auf die Märkte des Südens zu verhindern - und schon gar nicht, wenn sie damit verbunden ist, Liberalisierung weiter voranzutreiben. Insgesamt erweist sich die "Aid for Trade"-Agenda als ein Ablenkungsmanöver, um von aggressiven Liberalisierungsthemen abzulenken - und vor allem auch, um die wirklich bedeutenden entwicklungspolitischen Forderungen im Bereich Agrar, NAMA und GATS von der Agenda zu schieben. Außerdem dient sie dazu, die Zustimmung vieler Entwicklungsländer z.B. Bereich der Dienstleistungsverhandlungen durchzusetzen. Was nützt eine Zahlung an ein Entwicklungsland, wenn ihm gleichzeitig alle Möglichkeiten genommen werden, seine Wirtschaftspolitik im Interesse einer eigenen wirtschaftlichen Entwicklungsstrategie zu gestalten?

Alle Macht dem GATS? - Dienstleistungen als Hauptstreitpunkt

"Wenn die WTO-Verhandlungen an einem Thema scheitern, dann sollte es GATS sein. Denn dann merken die WTO-Mitglieder endlich, wie wichtig uns dieses Thema ist" - so Pascal Kerneis vom European Services Forum (ESF), einer der einflussreichsten GATS-Lobbyverbände in Brüssel. Tatsächlich wird GATS neben dem Entwicklungspaket das zentrale Thema der WTO-Ministerkonferenz werden. Während in dem letzten Entwurf für die Abschlusserklärung der Ministerkonferenz für die Bereiche Landwirtschaft und nicht-agrarischer Marktzugang (NAMA) bislang lediglich Bestandsaufnahmen enthalten sind, die die brisanten Konfliktpunkte aussparen, enthält der Entwurf reichlich Sprengstoff im Bereich Dienstleistungen.

Die GATS-Verhandlungen stocken schon seit Jahren - zum Leidwesen nicht nur der größten Dienstleistungskonzerne sondern auch der EU, die das GATS wiederholt zu ihrem Hauptinteresse in der aktuellen WTO-Runde erklärt hat. Die GATS-Verhandlungen funktionieren über ein sogenanntes Request-Offer-Verfahren, das allen WTO-Mitgliedern formal ermöglicht, nur die Verpflichtungen einzugehen, die sie eingehen möchten. Folglich zögern gerade sehr viele Entwicklungsländer, Liberalisierungsverpflichtungen in den GATS-Verhandlungen einzugehen. Die EU versucht nun, neuen Druck aufzubauen, um diese "Flexibilität" der GATS-Verhandlungen aufzubrechen. Mit ihrem Versuch, Mindeststandards für Liberalisierungsverpflichtungen verbindend in das GATS-Abkommen zu integrieren, stieß sie auf scharfen Widerstand. Sogar das European Services Forum, der einflussreichste GATS-Lobbyverband in Brüssel, musste feststellen, dass die EU mit diesem Vorschlag keinen Erfolg haben wird. Doch die EU schlug zudem vor, Liberalisierung im Rahmen des GATS, auch auf plurilateraler Ebene zu verhandeln. Denn damit hatten die Industrieländer in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Sowohl das Finanzdienstleistungs- wie auch das Telekommunikationsabkommen wurden plurilateral ausgehandelt und stellten sich im Nachhinein als eine massive Liberalisierungsoffensive dar. Tatsächlich laufen in Genf bereits plurilaterale Dienstleistungsverhandlungen - jedoch nur auf informeller Ebene. In so sogenannten "Friends Groups" verhandeln derzeit diejenigen Länder, die ein besonderes Interesse an einem Sektor haben, z.B. Sektoren wie Umweltdienstleistungen (inklusive Wasserversorgung), Finanzdienstleistungen oder Vertriebsdienstleistungen (inklusive Einzelhandel). Wird sich die EU mit ihrem Vorschlag zu plurilateralen Abkommen durchsetzen, werden damit diese Friends Groups formell in das WTO-Regime integriert und so institutionalisiert.

Plurilateral bedeutet, dass nicht alle WTO-Mitglieder automatisch die vereinbarten Liberalisierungsverpflichtungen eingehen müssen. Dennoch bleiben die Länder, die sich den Verpflichtungen aus guten Gründen entziehen wollen, nicht unberührt. Die könnten auf zweierlei Weise betroffen sein. Zum einen drängt die EU auf verpflichtende plurilaterale Abkommen. Das bedeutet, dass diejenigen Länder, die auf einen bestimmten Markt drängen, dieses Land dazu verpflichten können, an plurilateralen Verhandlungen teilzunehmen. Zum zweiten geraten auch die Länder unter Druck, die gar nicht an den plurilateralen Verhandlungen teilnehmen. Denn ist ein plurilaterales Abkommen zum Beispiel im Bereich Umweltdienstleistungen einmal in die WTO integriert, wird es nicht nur für die Unterzeichner verbindlich in Recht gegossen. Es wird vor allem auch als Maßstab für alle anderen Länder dienen - sei es für Investor, die Druck auf ein bestimmten Landes ausüben wollen und z.B. mit Abwanderung drohen. Oder auf Kreditgeber, die ihrer Kredite mit Liberalisierungsauflagen verbinden werden. In Hong Kong bahnt sich also eine dramatische Erweiterung des GATS an.

Fazit

Die WTO kann sich ein weiteres Scheitern nicht leisten. Deswegen setzen nun die mächtigen Länder alles daran, ihre Anliegen in Entwicklungsrhetorik zu umhüllen. Auch das ist nicht neu. Denn schon in Doha wurde viel von Entwicklung geredet, ohne wirkliche Substanz zu schaffen. In den nächsten Tagen gilt es deswegen verstärkt, die "Entwicklungsrhetorik" der EU bloßzustellen. Sichtbar werden sollte vor allem die aggressive Agenda der EU in den Dienstleistungsverhandlungen.

(Autorin: Christina Deckwirth)

Quelle: www.radiohongkong.de


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