Berlin. - Erstmals hat das Deutsche Institut für Menschenrechte einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vorgestellt. Er umfasst den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 30. Juni 2016. "Dieser Bericht und die künftigen sollen dazu beitragen, dass die Menschenrechte aller Menschen in Deutschland tatsächlich geachtet und verwirklicht werden", sagte die Direktorin des Instituts, Beate Rudolf, am Mittwoch in Berlin. Der Bundestag könne die Erkenntnisse des Berichts nun aufgreifen und politisch nutzen.

Das Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte von 2015 sieht vor, dass das Institut dem Deutschen Bundestag jährlich einen Bericht über die Menschenrechtssituation in Deutschland vorlegt.

"Der Bericht betrifft eine außergewöhnliche Zeit, denn allein 2015 flüchteten rund 890.000 Menschen nach Deutschland", sagte Rudolf. Deshalb sei der größte Teil des rund 160-seitigen Berichts dem Thema Flucht gewidmet. "Wir haben untersucht, wie Deutschland die Menschenrechte der Schutzsuchenden bei ihrer Ankunft, ihrer Unterbringung und ihrem Aufenthalt umgesetzt hat."

"Im Spätsommer 2015 versagte das europäische Asylsystem. In dieser Situation wurde Deutschland mit der Entscheidung zur Aufnahme von Flüchtlingen seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen gerecht", lobte Rudolf die Bundesregierung. Die Aufnahme habe eine „enorme Kraftanstrengung“ für Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Unternehmen bedeutet, und die Herausforderungen hielten noch an. Rudolf kritisierte, dass etliche Gesetzesänderungen, wie die beiden Asylpakete und das Integrationsgesetz, menschenrechtlich problematisch seien, beispielsweise die Einschränkung des Familiennachzugs, Wohnsitzauflagen oder die Einstufung von weiteren Ländern als "sichere Herkunftsstaaten". "Recht und Praxis der beschleunigten Asylverfahren werfen darüber hinaus Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit und Fairness der Verfahren auf“, so Rudolf weiter. In einigen Bereichen gebe es jedoch auch positive Veränderungen, wie zum Beispiel den Bürokratieabbau beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Besorgt zeigte sich die Direktorin mit Blick auf den wachsenden Rassismus und die steigende Gewalt gegen Flüchtlinge: „Ich finde es empörend, dass Menschen das Dach über dem Kopf angezündet wird, die gerade ihre zerbombten Häuser verlassen mussten. Für Hass und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung.“ Angriffe auf Unterkünfte und Asylsuchende sowie Aufstachelung zu Hass und Gewalt müssten deshalb konsequent strafrechtlich geahndet werden. Rudolf forderte die Bundesregierung und alle Politiker auf, sich immer wieder klar gegen rassistische Äußerungen und Taten auszusprechen.

"Weil im öffentlichen Diskurs zunehmend rassistische Einstellungen zu Tage treten, müssen Aufklärung und Bildung gezielt gestärkt werden", forderte Rudolf. "Unsere Analyse der Bildungspläne der Länder zeigt: Das Thema Flucht wird dort zumeist nicht unter der Perspektive der Menschenrechte aufgegriffen." Das Institut hat geflüchtete Kinder befragt, wie sie ihre schulische Situation empfinden und sich ihr Alltag in Gemeinschaftsunterkünften gestaltet. "Es zeigt sich: Geflüchtete Kinder wollen möglichst schnell in die Regelschule gehen, Deutsch lernen und Teil der Gesellschaft werden", so die Institutsdirektorin.

Mit Blick auf 2017 sagte Rudolf, die Vorschläge für Abkommen mit immer neuen Staaten nach dem Muster des EU-Türkei-Abkommens seien Anlass für große Sorge. "Solche Abkommen drohen den individuellen Rechtsanspruch auf Asyl in der Europäischen Union zu untergraben und können zu menschenrechtswidrige Inhaftierungen und Zurückschiebungen führen."

Darüber hinaus greift der Bericht zwei weitere Themen auf. Zum einen den Ausschluss von 84.500 Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht. Damit können sie eines der zentralen Rechte einer Demokratie nicht ausüben. "Alle Deutschen, ob mit oder ohne Behinderungen, haben das gleiche Recht zu wählen", betonte Rudolf.

Zum anderen behandelt der Bericht den immer noch nicht abgeschlossenen Prozess der Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) für Deutschland. „Beim Aktionsplan geht es um die Frage, was die Bundesregierung von deutschen Unternehmen bei ihren Geschäften im In- und Ausland erwartet, damit diese ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht werden und mögliche negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten vermeiden“, so Michael Windfuhr , Stellvertretender Direktor des Instituts. "Der Entwurf des NAP vermeidet eine rechtliche Verpflichtung für die Unternehmen, formuliert aber wenigstens eine klare Erwartung, dass sie ihre menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung starten."

=> Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland 2015/2016

Quelle: institut-fuer-menschenrechte.de


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