marshallplan afrikaBerlin. - Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat am Mittwoch im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) des deutschen Bundestages Eckpunkte für einen "Marshallplan mit Afrika" vorgestellt. "Reformorientierte Partnerländer" sollten stärker als bisher unterstützt werden, kündigte der Entwicklungsminister an. Müller warb zudem für mehr Investitionen deutscher Unternehmen in Afrika. Nur die Wirtschaft könne die benötigten Arbeitsplätze schaffen.

"Wir brauchen eine völlig neue Dimension der Zusammenarbeit mit Afrika", sagte Entwicklungsminister Gerd Müller. "Wir wollen Reformpartnerschaften mit Reformchampions eingehen. Wer Korruption bekämpft, Steuersysteme aufbaut, in Bildung investiert und auf die Gleichberechtigung der Geschlechter setzt, kann mit mehr Unterstützung von uns rechnen. Entwicklungspolitik allein ist aber nicht die Lösung. Afrika braucht Jobs, die nur die Wirtschaft schaffen kann. Wertschöpfung vor Ort statt Ausbeutung. Die Chancen in Afrika sind riesig, gerade auch für die deutsche Wirtschaft."

Die Eckpunkte für einen Marshallplan mit Afrika setzten den Beginn einer Diskussion über die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Kontinent, erklärte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die afrikanischen und europäischen Partner der deutschen Entwicklungspolitik, aber auch Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen und Politik seien eingeladen, die in den Eckpunkten aufgezeigten Vorschläge und Lösungsansätze zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Das BMZ werde dazu eine Vielzahl an Veranstaltungen anbieten und lade alle Interessierten zu einem Online-Dialog ein.

Zur Umsetzung des Paradigmenwechsels der deutsch-afrikanischen Zusammenarbeit werde das Entwicklungsministerium reformorientierte Partnerländer stärker als bisher unterstützen, kündigte Müller an. 20 Prozent der deutschen Entwicklungsgelder für Afrika wolle das Ministerium zusätzlich in die Entwicklung dieser Länder investieren. Die deutsche Entwicklungspolitik setze so Anreize für eine eigenverantwortlich gestaltete nachhaltige Entwicklung.

2017 wird aus der Sicht des BMZ entscheidende Weichen in der Afrikapolitik stellen. Die Europäische Union arbeite an einem neuen Afrikakonzept. Afrika sei Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft. Dabei gehe es auch um illegale Finanzströme. Durch diese entgingen den Entwicklungsländern jährlich bis zu 100 Milliarden US-Dollar.

ONE: HILFE MIT FRAGILEN STAATEN AUSBAUEN

Die entwicklungspolitische Lobbyorganisation ONE bewertete den Ansatz, ein integriertes Gesamtkonzept der Europäischen und der Afrikanischen Union unter Einbeziehung der G20-Staaten und der interessierten Öffentlichkeit zu entwickeln, als positiv. Es sei auch erfreulich, dass das Papier die zentrale Rolle der Stärkung von Mädchen und Frauen herausstelle und die Bedeutung von illegalen Finanzabflüssen als Entwicklungshemmnis klar benannt werde, auch wenn hier noch Nachbesserungsbedarf bestehe.

Eine Ausweitung der Kooperation mit reformbereiten afrikanischen Staaten dürfe aber unter keinen Umständen weniger Hilfe bedeuten für Menschen in Ländern, deren Regierungen sich weniger kooperativ zeigen, erklärte ONE. Die deutsche Bundesregierung sollte ihre Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen und am wenigsten entwickelten Ländern ausbauen und verstärkt in Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft und die Stärkung der Steuersysteme investieren. Es dürfe zudem nicht passieren, dass Entwicklungsgelder hauptsächlich zur Förderung von Privatinvestitionen eingesetzt werden.

"Der Marshall Plan ist ein positives Signal, dass die Bundesregierung die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika auf eine neue Grundlage stellen will", sagte Stephan Exo-Kreischer, Deutschland-Direktor von ONE. Die Notwendigkeit, ressortübergreifend und insbesondere in Partnerschaft mit der Afrikanischen Union zu handeln, wird klar benannt. Entscheidend wird letztlich sein, wie viel politische Unterstützung der Vorstoß erfahren wird. Ich begrüße, dass das Papier nun einem offenen Konsultationsprozess unterzogen wird und die Ergebnisse in den G20-Prozess aufgenommen werden sollen. Im Hinblick auf die geplanten Compacts with Africa ist es zentral, nicht nur solche Länder in den Blick zu nehmen, die für Investoren ohnehin schon attraktiv sind, sondern auch dafür zu sorgen, dass die am wenigsten entwickelten Länder nicht noch weiter zurückfallen."

WELTHUNGERHILFE: FAILED STATES NICHT AUSGRENZEN

Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, sagte: "Die Welthungerhilfe arbeitet in vielen Ländern, wo wir wissen, das Wirtschaftsförderung allein nicht zur Überwindung von Hunger und Ungleichheit ausreicht. Ohne den gleichzeitigen Aufbau von sozialen Sicherungssystemen wird die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas gerade für arme Menschen ins Leere laufen. Dazu gehört auch, dass Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen werden, wo die meisten Hungernden leben und die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen sehr hoch ist. Besonders vermissen wir Aussagen, wie die Bundesregierung mit den sogenannten failed states umgehen will. Eine Ausgrenzung dieser Länder würde sie weiter destabilisieren und ginge zu Lasten der Ärmsten. Gerade sie brauchen weiterhin eine stabile finanzielle Unterstützung."

MISEREOR: AFRIKAS ZIVILGESELLSCHAFT EINBINDEN

"Die drei Säulen des Plans - 'Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte', 'Frieden und Sicherheit', 'Wirtschaft, Handel und Beschäftigung' sehen auch wir als Fundament für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung", sagte MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel. "Bedenklich wäre es allerdings, wenn der Fokus zu stark auf die Förderung der Wirtschaft gelegt würde. "Der Staat darf sich nicht darauf beschränken, der Wirtschaft gute Investitionsbedingungen zu schaffen. Es geht auch um ordnungspolitische Rahmenbedingungen, die sicherstellen, dass Investitionen wirksam werden im Sinne von Armutsbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung."

"Gleichzeitig haben wir angemahnt, diesem Plan nun auch schnell wirksame Taten folgen zu lassen", mahnte Spiegel. "Sonst bleibt Müllers Konzept eines von vielen Papieren, die nach der nächsten Wahl vergessen sind." Zu den Taten, die folgen müssten, gehöre insbesondere eine konsequente und kohärente Ausrichtung aller Politikbereiche in Deutschland und Europa - wie zum Beispiel der Landwirtschaftspolitik, der Handels- oder der Energiepolitik - an einem Ziel: Einen maßgeblichen Beitrag zu einem nachhaltigen afrikanischem Entwicklungsmodell zu leisten, um den ungerechten Handels- und Wirtschaftsbeziehungen ein Ende zu setzen. "Funktionieren wird all dies aber auch nur dann, wenn die Zivilgesellschaft in Afrika viel stärker eingebunden wird, als das bisher der Fall ist", so Spiegel. "Und dieser Tatsache wird auch in Minister Müllers Plan nicht genügend Rechnung getragen."

VENRO: MÜLLER MUSS LIEFERN

"Entscheidend ist jetzt, ob die Analysen und schönen Versprechen von Bundesminister Müller zu besserem und kohärenterem politischem Handeln führen", erklärte der Vorstandsvorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik (VENRO), Bernd Bornhorst. "In einer ernstgemeinten Zusammenarbeit muss Deutschland die Interessen der afrikanischen Staaten berücksichtigen und an Bedingungen wie Guter Regierungsführung und dem Schutz von Menschenrechten festhalten. Es ist mehr als überfällig, dass wir die Menschen und die Staaten auf dem afrikanischen Kontinent als gleichberechtigte Partner behandeln. Wenn Minister Müller nicht zum Ankündigungsminister werden will, muss er jetzt auch liefern: Als federführendes Ministerium sollte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Entwürfe der Wirtschaftsabkommen stoppen und Änderungen vorschlagen, um in Afrika die Menschenrechte oder die lokalen Wertschöpfungsketten tatsächlich zu stärken."

Als Regierungsmitglied müsse Müller zudem deutlich dafür eintreten, "dass endlich die Exportausrichtung der deutschen Landwirtschaftspolitik mit ihren verheerenden Folgen für die afrikanischen Bäuerinnen und Bauern beendet wird", betonte Bornhorst. "Zu einer glaubwürdigen Zusammenarbeit mit Afrika gehört darüber hinaus, dass Deutschland die Menschenrechte von Flüchtenden sowie Migrantinnen und Migranten schützt, statt gemeinsam mit autoritären Regimen in Afrika noch mehr Mauern und Zäune zu errichten. Um die Entwicklung in Afrika voranzutreiben, müssen schließlich der Zivilgesellschaft die Sicherheit und die Möglichkeiten garantiert werden, sich aktiv zu beteiligen – denn ohne die Menschen dort wird eine nachhaltiges Entwicklung Afrikas nicht gelingen."

SPD: WENIG NEUE IDEEN

Stefan Rebmann, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD, und Christoph Strässer, zuständiger SPD-Berichterstatter, erklärten zum "Marshallplan mit Afrika": "Es lassen sich viele SPD-Positionen finden, aber leider auch viel Lyrik." Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtspolitik hätten einen erhöhten Stellenwert in Müllers Plan. Die Handlungsvorschläge seien jedoch "sehr mager formuliert".

Minister Müller beschreibe Maßnahmen, "die er nicht sofort mit seiner eigenen Fraktion beschließen könnte", kritisierten die SPD-Abgeordneten. "So möchte er den 'G20/OECD-Aktionsplan gegen Gewinnkürzung/-verlagerung multinationaler Unternehmen' umsetzen. Das wollen wir auch, denn auf diesem Wege gehen Afrika jährlich geschätzte 30 Milliarden US-Dollar verloren. Doch gerade die Verhandlungen mit der Union zu einem im Dezember hierzu verabschiedeten Gesetz haben gezeigt, dass die Union nur zögerlich bereit ist, mit uns die, unter Schwarz-Gelb geschaffenen, Steuerschlupflöcher zu schließen – und zwar, obwohl genau dies die geplanten Maßnahmen der OECD fordern."

"Unser Fazit: Ein guter Sachstand, große Überschriften, wenig neue Ideen und davon viele mit seiner eigenen Fraktion nicht schnell umsetzbar", so die SPD-Politiker. "Wir werden den Minister im Sinne einer zielführenden und zu mehr Eigenverantwortung führenden Entwicklung Afrikas unterstützen. Wir erwarten nun zügig einen konkreten Maßnahmenkatalog, damit wir die ersten Schritte noch vor der Wahl im Herbst umsetzen können."

GRÜNE: ANEINANDERREIHUNG VON WORTHÜLSEN

Der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen, Uwe Kekeritz, nannte das Papier "eine Aneinanderreihung von Worthülsen entwicklungspolitischer Selbstverständlichkeiten". "Hinzu kommt ein bunter Mix unausgereifter Forderungen. So fordert Müller einen EU-Kommissar für Afrika, einen ständigen Sitz Afrikas im UN-Sicherheitsrat und den Ausbau der Mittelmeerunion. Dass ausgerechnet der Minister, der auf afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme setzt, mit derartigen Vorschlägen vorprescht, ist verwunderlich."

Insgesamt werde das Papier den selbstgesteckten Anforderungen nicht gerecht, kritisierte Kekeritz. "Müller macht zwar strukturpolitische Vorschläge, erklärt jedoch nicht, wie er seine Ideen umsetzen will. Konkrete Maßnahmen, finden sich in Müllers Papier nicht wieder. Dabei hätte der Minister durchaus Einfluss: er hätte sich auf der Finanzierungskonferenz von Addis Abeba für eine faire internationale Besteuerung von multinationalen Unternehmen einsetzen können. Müller könnte in Brüssel für eine Neuordnung der Agrarpolitik streiten und die kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern anstatt die Industrialisierung der Landwirtschaft voranzutreiben. Er könnte im Bundessicherheitsrat gegen Waffenexporte in Krisengebiete stimmen und verbindliche Standards für die Lieferketten gesetzlich verankern, anstatt sein wirkungsloses Textilbündnis voranzutreiben. Natürlich könnte er als federführender Minister den Handel gerechter gestalten, anstatt die entwicklungsschädlichen EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu unterstützen. Allerdings tut er all das nicht."

LINKE: LEHRERHAFTE POSE

Niema Movassat, Obmann für die Fraktion DIE LINKE im AWZ, kritisierte: "Der Plan enthält keinen einzigen Cent neuer Finanzzusagen und ignoriert zentrale Probleme wie die große Ungleichheit in Afrika. Zudem ist er nicht im Dialog mit afrikanischen Ländern entstanden, sondern in Müllers Büros. Die Zeiten, in denen Europäer den Afrikanern in lehrerhafter Pose sagen, wo es lang geht, sollten aber ein für alle Mal vorbei sein. Wirtschaftswachstum und die Förderung des Privatsektors sind die zentralen Eckpfeiler, mit denen Müller Afrika in eine glänzende Zukunft führen möchte. Dabei ignoriert er, dass viele afrikanische Länder seit langem ein starkes Wirtschaftswachstum aufweisen, dieses Wachstum jedoch nicht der Gesellschaft zugutekommt, Armut und Hunger bestehen bleiben."

=> www.marshallplan-mit-afrika.de 

Quellen: www.bmz.de  | www.one.org  | www.spdfraktion.de  | www.gruene-bundestag.de | www.welthungerhilfe.de | www.venro.org  www.misereor.de  | www.linksfraktion.de 


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