Willem Dafoe, Bianca Jagger, Ralf Schmerberg

Berlin (epo.de). - Sie sei aufgeregt, sogar ein wenig beklommen, sagt Dedi Baron, Regisseurin und Theaterdirektorin aus Tel Aviv, angesichts des Medieninteresses, das den Start einer neuen Internet-Plattform namens "dropping knowledge" begleitet. Sie ist eine von jenen 112 Wissenschaftlern, Unternehmern, Schrifstellern, Philosophen, Künstlern und Aktivisten aus aller Welt, die am Samstag (9. September) auf dem Bebelplatz in Berlin "100 drängende Fragen unserer Zeit" beantworten sollen. Die Antworten der 112 Menschen am "Table of Free Voices" markieren gleichzeitig die Geburtsstunde eines ehrgeizigen, weltumspannenden Internet-Projektes, bei dem es um den Austausch und die Generierung von Wissen geht, vor allem aber um Kommunikation, um Lösungsansätze, um soziales Denken über Grenzen, Lager und Kulturen hinweg.

"dropping knowledge" soll (vorerst nur auf Englisch) die größte jemals zusammengestellte Datenbank für soziale Themen werden, eine Möglichkeit Fragen zu stellen, Antworten zu geben, sich künstlerisch auszudrücken, Filme einzustellen, was auch immer. Jeder eben nach seinen Möglichkeiten. Die Plattform soll einen "offenen Dialog und freien Meinungsaustausch möglich" machen. Es werde keinerlei Zensur von oben geben, stellte Regisseur Ralf Schmerberg, einer der drei Mitbegründer der Plattform, bei der Pressekonferenz am Donnerstag klar, nichts werde gelöscht. Damit die Teilnehmer nicht in der Masse der Informationen ertrinken, organisiert das System das gesammelte Wissen ständig neu. Doch dazu später. 

Begonnen hat alles 2003, in gewissem Sinne angeregt durch George Bush und den Beginn des Irakkrieges, als sich die Künstlerin Cindy Gantz, die Philantropin Jackie Wallace und der Regisseur Ralf Schmerberg in New York trafen. Ihr gemeinsames Thema: "Warum werden die Proteste in der Weltpresse nicht angemessen abgebildet", wo doch Millionen Menschen - ebenso wie sie - ihre Stimme dagegen erheben? Cindy Gantz: "droping knowledge entstand durch die Fragen, die wir uns selbst stellten."

Es fanden sich Mitstreiter, Sponsoren und auch technische Helfer, unter anderem in Person von Professor Hans Uszkoreit, Leiter des Forschungsbereiches Sprachtechnologie am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Ihn begeisterte die Idee ebenso wie das Projekt als Gegenstand der Forschung. Am Institut wurden neuartige Sprach-Komponenten entwickelt, eine "semantische Webtechnologie", die es möglich macht, die Inhalte beständig neu zu organisieren. Durch die Themenzuordnung der Nutzer "lernt" das System gewissermaßen immer neue Zusammenhänge. Je öfter Nutzer einen Beitrag anschauen, je mehr weiterführende Links zugeordnet werden, je besser der Inhalt bewertet wird, desto prominenter erscheint das Thema. Die Gemeinschaft soll also die Prioritäten bestimmen. Einziges Korrektiv, so Professor Uszkoreit, sei ein "Knopf" auf der Benutzeroberfläche, auf den ein Nutzer klicken kann, wenn er den Eindruck hat, auf Missbrauch gestoßen zu sein. Auf diese Weise kontrolliere sich die Gemeinschaft selbst.

Basis der "dropping knowledge" Plattform ist nach Angaben der Initiatoren eine Datenbank. Sie enthalte "jedes Thema, das nichtstaatliche Organisationen in den vergangenen 20 Jahren behandelt haben: Insgesamt 23.000 Themen werden als dreidimensionale Topographie abgebildet, 600 Oberthemen (zum Beispiel Klimawandel) unterteilen sich wiederum in 24 Kategorien."

Die gesammelten Daten werden demnach in Form einer "virtuellen Landkarte" dargestellt, jeder Eintrag kann durch neue Antworten, Kommentare, Dialoge und weiterführende Links ergänzt werden. Besucher der Plattform können per Volltextsuche oder über eine optische Navigation einsteigen, auch auf ausformulierte Fragen liefert das System Ergebnisse. Am Ende soll ein Netzwerk entstehen, in dem sich Einzelpersonen und Initiativen, Stiftungen, Firmen und Aktivisten finden, eines mit unzähligen Verästelungen und Verweisen, "ähnlich dem menschlichen Nervensystem"; eine Internetplattform, für "alle Zeiten frei zugänglich", geführt als öffentliches Eigentum "für den weltweiten Austausch von Ansichten, Ideen und nachhaltigen Lösungen".

Am Anfang aller Antworten stehen jedoch Fragen. Rund 50.000 davon sammelte "dropping knowledge" laut eigenem Bekunden im Rahmen der weltweiten Kampagne "ask yourself". 100 wurden schließlich ausgewählt - über Klimawandel, Kriege, Menschenrechte, aber "auch über weniger bekannte Themen von globalem Interesse". Sie sollen nun am Samstag in Berlin "frei von jeglicher Zensur" beantwortet werden. Mit dabei sind unter anderem der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor, der Regisseur Wim Wenders, der Unternehmensberater Roland Berger, die Aktivistin Bianca Jagger und die Vizepräsidentin von Attac France, Susan George. Als Moderatoren führen die nigerianische Menschenrechtsaktivistin Hafsat Abiola und der US-amerikanische Schauspieler Willem Dafoe durch die Veranstaltung. Schauplatz ist eine riesiger runder Tisch, der einem Frisbee von der Größe einer Arena gleicht. Schirmherr der Initiative ist Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Selbstredend richten sich am Tag der Pressekonferenz viele Augen, Kameras und Mikrophone auf die Stars: Willem Dafoe ("ich höre zu", "in mir hat ein innerer Dialog begonnen") und Bianca Jagger ("den Menschen eine Stimme geben, die keine haben"). Auf dem Podium sitzen außerden Frank Ahnefeld und Professor Ceasar McDowell ("eines der gefährlichsten Dinge ist es, Fragen zu stellen"), Professor am Massachusetts Institute of Technology.

Tiefen Eindruck hinterlässt die Nigerianerin Hafsat Abiola, Gründerin der Kudriat Initiative for Democracy, als sie ganz einfach von den Yoruba berichtet, ihrem Stamm, dessen Menschen es geschafft haben, sich ihre kulturelle Identität zu bewahren - auch fern von der Heimat, als Sklaven. Ihre Begründung: "Wir sprechen miteinander." Sie erzählt von ihrem neun Wochen alten Baby, schildert, wie die Menschen der Yoruba für Neugeborene ein Lied singen, zusammen sitzen. Daher, sagt sie, komme diese Stärke. "Es ist einfach aufregend und wunderschön zusammen zu reden und zusammen zu träumen."

"Wer nichts versucht, bewegt auch nichts", meint Dedi Baron, die Theater-Regisseurin aus Israel, in fließendem Deutsch. Sie habe sich einfach auf das Projekt dropping knowledge eingelassen, fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. Und lächelt.

[Fotos: Dedi Baron, Direktorin des Habima National Theatre Tel-Aviv, Israel; Auf dem Podium von links: Frank Ahnefeld, Hans Uszkoreit, Hafsat Abiola, Willem Dafoe, Ralf Schmerberg, Bianca Jagger, Ceasar McDowell. Copyright ? by epo.de/peg]

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