logo attac kongress 2009Berlin (epo.de). - Die Experten auf dem Attac-Kongress “Kapitalismus am Ende?” sind sich einig: Die Finanzkrise trifft Entwicklungsländer besonders hart, als "externer Schock", der das Wirtschaftswachstum in vielen Ländern zum ersten Mal seit Jahrzehnten zum Erliegen bringt. Rohstofferlöse und Agrarexporte brechen auf breiter Front ein, die Industriestaaten ziehen massiv Kapital aus dem Süden ab, der Kreditmarkt trocknet aus, die Überweisungen von Migranten sinken. Auch an den Börsen in Südamerika, Asien und Afrika brechen die Kurse ein, obwohl sich nur wenige Banken in Entwicklungsländern mit “giftigen Papieren” aus den USA und Europa “angesteckt” haben. “Die Armen zahlen die Zeche”, lautet die vielfach geäußerte Überzeugung.

Jayati Gosh, Professorin am Center for Economic Studies and Planning an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi, beklagt, die Entwicklungsländern kämen heute kaum noch an ausländisches Privatkapital heran. Die Terms of Trade, das Verhältnis zwischen dem Preisniveau von exportierten und den importierten Gütern, verschlechtere sich drastisch. “The boom was not inclusive, the crisis is very inclusive”, konstatiert die Wissenschaftlerin. Letztlich hätten die Entwicklungsländer die Eskapaden der USA an der Börse und im Irak finanziert, indem sie massenhaft US-Staatsanleihen zeichneten.

Die Zukunftsaussichten malt Gosh nicht rosig: China könne die Rolle der USA als Motor der Weltwirtschaft nicht übernehmen. Auch die Reformbestrebungen im Rahmen des am 2. April in London stattfindenden Gipfeltreffens der 20 reichsten Industrie- und Schwellenländer (G20) sieht sie mit Skepsis. Die indische Regierung werde ihre eigenen, nicht die Interessen der Gesamtheit der Entwicklungsländer vertreten. “Wir brauchen einen globalen Rahmen”, sagt sie.

Die Wiener Entwicklungsökonomin Karin Küblböck sieht besonders die Länder mit Leistungsbilanz-Defiziten in der Krise. Dazu gehören auch osteuropäische Staaten wie Bulgarien (22%) und Rumänien (14%), die die kritische Marke eines Defizits von 5% bei weitem überschreiten.  Ursachen sind nach den Worten der Wissenschaftlerin die "Neokolonialisierung" durch westeuropäische Banken und die einseitige Exportorientierung.

Die Folgen sind dieselben wie in den Entwicklungsländern: Die lokale Währung muss drastisch abgewertet werden, Kredite werden teurer, ein "Abwertungs- und Lohnsenkungs-Wettlauf" beginnt.

KRISE EINES PARADIGMAS

"Wir erleben die Krise eines Paradigmas, eines ganzen Systems und seiner Wachstumsstrategien", sagt Pedro Morazán, Ökonom beim SÜDWIND-Institut in Siegburg. "Was danach kommt, sollte uns Sorgen machen." Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) betrachte die Situation in vielen afrikanischen Ländern und in Staaten wie Bolivien, Honduras und Nicaragua als "dramatisch".

Morazán verweist auf den in den letzten Monaten zu beobachtenden Verfall der Rohstoffpreise (um 50%), der Ölexporteinnahmen (-70%) und der Preise auf dem Agrarmarkt (-30%), die die Exporterlöse des Südens einbrechen lassen. Die Defizite der ärmeren Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, sieht er bei 150 Milliarden US-Dollar.

"Die Party fand woanders statt", kommentiert Pedro Morazán die Ursachen der Krise. "Es wäre ein Fehler, wenn die Entwicklungsländer jetzt zu der Party eingeladen und für die Kosten zur Kasse gebeten würden." Die von der deutschen Bundesregierung für den Infrastrukturfonds der Weltbank bereit gestellten 100 Millionen Euro seien "einfach zu wenig, um der eigenen Verantwortung nachzukommen".

Jayati Gosh warnt auch vor den Plänen der Industriestaaten, die Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO zu einem "erfolgreichen" Abschluss zu bringen. "Das ist keine Lösung im Interesse der Entwicklungsländer". Die Handelsbeziehungen müssten im Interesse der Mehrheit der Menschen gestaltet werden.

Morazán meint, eine umfassende Lösung wäre nur im Rahmen einer "neuen Bretton Woods Konferenz" möglich. Denn die Wechselkursverluste des Südens werden aufgrund der Instabilitäten der Leitwährungen ein immenses Ausmaß annehmen.

G20 DIE LÖSUNG?

Was kann der G20-Gipfel in London bringen? Die G20-Regierungen repräsentierten immerhin mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung, bemerkt Attac-Vorstandsmitglied Peter Wahl. Außerdem seien die NEPAD-Staaten Afrikas und das ASEAN-Bündnis mit am Tisch, wenn auch nur als Beobachter.

Schwellenländer wie China und Indien könnten langfristig eher Profiteure der Krise als deren Opfer sein, wendet Konrad Melchers, der frühere Chefredakteur von welt-sichten, ein. Die Frage bleibt offen. Die Experten sehen die Länder des Südens derzeit vor allem in der Opferrolle. Man will sich nicht auseinander dividieren lassen.

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