Kind in Simbabwe. Foto: IRIN Paris/Berlin (epo.de). - Weltweit arbeiten 1,8 Milliarden Menschen - mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen - im informellen Sektor. Nur 1,2 Milliarden hingegen haben Arbeitsplätze mit einem formalen Vertrag und mit sozialer Absicherung. Das geht aus der Studie "Is Informal Normal?" hervor, die am Mittwoch vom OECD Development Center in Paris veröffentlicht wurde. Die informelle Beschäftigung habe “weltweit ein Rekordniveau erreicht, was schwerwiegende Folgen für das Armutsrisiko in Entwicklungsländern hat”, stellt der Bericht fest.


Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, so die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der westlichen Industrienationen (OECD), verlieren viele Menschen ihren Arbeitsplatz. In Entwicklungsländern treffe sie dieses Schicksal besonders hart, da es dort meist keine Arbeitslosenversicherung gibt. Die Menschen müssten sich deshalb im informellen Sektor Arbeit suchen und mit geringem Verdienst, ohne soziale Absicherung und mit hohen Unfallrisiken arbeiten.

Die OECD räumt in ihrem Bericht freilich ein, dass informelle Jobs keine neue Entwicklung seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind. “Selbst in guten Zeiten und mit robusten Wachstumsraten hat in vielen Regionen die informelle Beschäftigung zugenommen”, sagte Johannes Jütting, einer der Autoren der Studie. “Obwohl Indiens Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren jährlich um mehr als fünf Prozentpunkte gewachsen ist, haben die Menschen den Eindruck, dass es trotzdem keine besseren Jobs gibt. Tatsächlich müssen in Indien neun von zehn Arbeitnehmern, also rund 370 Millionen Menschen, ohne formale soziale Absicherung arbeiten.”

PREKARIAT ALS NORMALFALL

Der Studie zufolge arbeiten heute 1,8 Milliarden Menschen ohne formalen Arbeitsvertrag und ohne soziale Absicherung. “Bei stabiler Bevölkerungs- und Wachstumsentwicklung dürfte dieser Anteil aktuellen Projektionen zufolge bis 2020 auf zwei Drittel der Erwerbsbevölkerung ansteigen”, hält der OECD-Bericht fest. “Er könnte sogar noch weiter steigen, wenn durch die Wirtschaftskrise weiter Jobs verloren gehen und mehr Migranten durch die Krise gezwungen sind, in ihre Heimat zurückzukehren und dort im informellen Sektor zu arbeiten.”

Selbst wenn man die Landwirtschaft ausnimmt, sind in Subsahara-Afrika drei Viertel der Arbeitsplätze im informellen Sektor angesiedelt. In Süd- und Südostasien sind es mehr als zwei Drittel, in Lateinamerika und im Nahen Osten rund die Hälfte, sowie fast ein Viertel in den Transformationsländern. Wenn man den Agrarsektor hinzunimmt, ist in allen Regionen der Anteil der informellen Arbeitsplätze noch höher (Bsp. mehr als 90% in Südasien).

Mehr als 700 Millionen informelle Beschäftigte leben von weniger als 1,25 Dollar am Tag (dem derzeitigen Maß der Weltbank für absolute Armut), und rund 1,2 Milliarden stehen täglich weniger als 2 Dollar zur Verfügung.

Verbreitung informeller Arbeit. Grafik: OECD



Der Anteil der informellen Beschäftigung steigt in der Regel bei wirtschaftlichen Verwerfungen, stellt die OECD-Studie fest. “So ist die Wirtschaft in Argentinien während der Krise 1999 bis 2002 um fast ein Fünftel geschrumpft. Gleichzeitig ist die informelle Beschäftigung von 48 auf 52 Prozent gestiegen.”

Die Studie "Is Informal Normal?" warnt vor den Gefahren eines weiteren Anstiegs informeller Beschäftigung. Arme Länder hätten nicht die Möglichkeit, ihrer Bevölkerung bei geringen Löhnen und geringen Einkommen eine umfassende soziale Sicherung zu bieten. Frauen – sie bilden die Mehrheit der Arbeitnehmer mit schlechten Jobs - seien davon besonders betroffen, aber auch junge Menschen und Ältere.

MDG NICHT ZU ERREICHEN

Für die Mehrheit der 1,4 Milliarden armen Menschen auf der Erde hänge das Überleben ausschließlich von der eigenen Arbeit ab, mahnt die OECD. “Wenn geringe Bezahlungen ohne soziale Absicherung weiter zunehmen, dürfte es schwierig werden, das in den Millennium Development Goals vereinbarte Ziel einer Halbierung der Armut bis 2015 zu erreichen.”

Die OECD hält deshalb eine “sofortige und unkonventionelle Hilfe” für “dringend nötig”. Sie plädiert in der Studie für ein umfassendes Paket, “das die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze nicht nur im formalen, sondern auch im informellen Sektor fördert”.

Schlüsselelemente einer derartigen Strategie seien eine bessere Infrastruktur, Weiterbildung, institutionelle Reformen und der Zugang zu den Ressourcen für informelle Unternehmen. “Diese Maßnahmen sollten durch öffentliche Arbeiten, Mikrokredite und mit an Bedingungen geknüpften Transferzahlungen begleitet werden”, empfiehlt die OECD. “Die Unterstützung durch die Geberländer ist dabei von großer Bedeutung.”

INFORMELLE WIRTSCHAFT

Bei informeller Arbeit wird in industrialisierten Ländern häufig von “Schattenwirtschaft” oder “Schwarzarbeit” gesprochen. In Entwicklungsländern gehören die Herstellung und der Verkauf von Produkten auf lokalen Märkten und einfache Dienstleister wie Schuhputzer, Eisverkäufer oder Scheibenputzer an Ampeln dazu. Aber auch Hausangestellte, Heimarbeiter und Mikrounternehmer gehören häufig zur informellen Wirtschaft.

Da diese Tätigkeiten im informellen Sektor meist nicht in offiziellen Statistiken erfasst sind, schlägt sich ihr Effekt nicht im Bruttoinlandsprodukt eines Landes nieder, es sei denn, es ergeben sich durch informelle Tätigkeiten auch Umsatzsteigerungen im formellen Bereich. Informelle Tätigkeiten seien für die Armen aber häufig die einzige Möglichkeit, überhaupt “am Arbeitsmarkt teilzunehmen”, stellt die OECD-Studie fest.

OECD NENNT URSACHEN NICHT BEIM NAMEN

Als Ursachen für die kontinuierliche Zunahme informeller Arbeit nennt die OECD kryptisch den “Ausschluss” aus formaler Arbeit, entsprechende “Anreiz-Stukturen” in Ländern mit mittlerem Einkommen, freiwilliges Ausscheren aus gesicherten Arbeitsverhältnissen (etwa aufgrund zu hoher Steuern und Abgaben für formal Beschäftigte), die unzureichende Schaffung von Arbeitsplätzen in der formalen Ökonomie. Auf der anderen Seite zeige etwa das Beispiel der Minibusse in Südafrika, dass die Umgehung von Konzessionen, Lizenzen und Sicherheitsvorschriften “unternehmerisches Verhalten” fördern und so eine “Multi-Millionen-Dollar-Industrie” entstehen könne.

Eine Vielzahl anderer Studien hat indes nachgewiesen, dass die einseitige Profitmaximierung durch multinationale Konzerne, der gnadenlose Wettbewerb im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft mit dem Ziel der Kostenminimierung, die Automatisierung des Produktionsprozesses und die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben maßgebliche Ursachen dafür sind, dass viele Menschen nur noch im informellen Sektor Arbeit finden.

www.oecd.org/de/informal


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