Ilisu-MaskottchenBerlin (epo.de). - Bis zum 6. Juli müssen die Regierungen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz entscheiden, ob sie die Investitionen für den umstrittenen Ilisu-Staudamm am Tigris in der Türkei mit Exportbürgschaften absichern. Die Kritik an dem Projekt ist vernichtend, und seit längerem zeichnet sich ab, dass wesentliche Auflagen von der Türkei nicht erfüllt werden. In Berlin formierten sich am Donnerstag abend die Gegner, um mit einem "Ilisu-Gipfel" Druck auf die westeuropäischen Regierungen zu machen. Klar wurde: Das Projekt erfüllt weder wichtige Umwelt-Standards noch bietet es den betroffenen Menschen Perspektiven nach der Umsiedelung. "Ilisu wird nicht gebaut", sind sich Vertreter der Bevölkerung vor Ort sicher.

Durch den Ilisu-Staudamm würden nach Angaben von Umweltschützern und Experten rund 65.000 Menschen ihre Heimat verlieren, 400 Kilometer Flusslandschaften zerstört und zahlreiche Tier- und Pflanzenarten gefährdet. Rund 300 wertvolle archäologische Stätten würden im Stausee versinken, darunter mit Hansankeyf eine der ältesten Städte der Menschheit.

Das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hatte Ende Dezember vergangenen Jahres die Verträge zur Finanzierung des Damms suspendiert, da sie einen Großteil der 153 Auflagen "nicht erfüllt" sah. Deutschland, die Schweiz und Österreich hatten Exportkreditbürgschaften in Höhe von rund 500 Millionen Euro bereitgestellt, mit denen Lieferungen europäischer Unternehmen, darunter der Andritz AG, der im Besitz der STRABAG befindlichen deutschen Züblin AG und des Schweizer Generatorenlieferanten Alstom, abgesichert werden sollten. Der türkischen Regierung wurde aber eine Frist von 180 Tagen eingeräumt, die Auflagen doch noch zu erfüllen.

VERGEUDUNG VON STEUERGELDERN

Eine der Vorgaben der Exportbürgen ist es, das Projekt müsse zumindest die Sozial- und Umweltstandards der Weltbank erfüllen. Der US-amerikanische Tropenökologe Robert Goodland, der einen Großteil der Kriterien für die Umwewltverträglichkeitsprüfungen in 23jähriger Tätigkeit als Berater der Weltbank entwickelte und deshalb als "Papst der Weltbank-Standards" gilt, konstatierte in Berlin nüchtern: "Der Damm vergeudet einen Haufen Steuergelder".

Er habe die vier Kilogramm Dokumente des Projekts gesichtet und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass "die Weltbank-Standards völlig missachtet" ("totally violated") werden, sagte Goodland. Neben der ohnehin großen Umweltzerstörung habe der Damm durch den vermehrten Ausstoß von Treibhausgasen einen Einfluss auf das Klima, das aber in den Projektunterlagen mit keinem Wort erwähnt werde. Die Bauern, die von ihrem Land vertrieben würden, seien nicht gehört worden und hätten in de Region, in die sie umgesiedelt werden sollten, keine Zukunft.

"Die Weltbank müsste und würde das Projekt ablehnen. Die Folgen wären zu fatal, die Vorbereitung der Türkei ist zu mangelhaft. Die Auflagen der Europäer sind nicht geeignet, die 60.000 betroffenen Menschen, die einzigartigen Kulturgüter und die Umwelt zu schützen", stellte Goodland fest. Es sei "erschreckend", dass Deutschland seine Rolle als führende Nation in Sachen Umweltschutz "durch die Finanzierung von Ilisu in Frage stellt", schrieb Goodland der Bundesregierung ins Stammbuch.

BUNDESREGIERUNG MUSS AUSSTEIGEN

"Die Bundesregierung muss jetzt unbedingt aussteigen", forderte Heike Drillisch, die Koordinatorin der deutschen Kampagne "Gegenströmung", die das Projekt mit internationalen und türkischen Partnern stoppen will. Drillisch hatte kürzlich zusammen mit der Schweizer Aktivistin Christine Eberlein (Erklärung von Bern) für die Kampagne "Stop Ilisu" eine Woche lang in der Türkei mit Betroffenen gesprochen.

Das Betreiber-Konsortium behauptet, gemeinsam mit der türkischen Regierung würden insgesamt 100 Millionen US-Dollar für die Versetzung und den Wiederaufbau archäologisch wertvoller Monumente bereitgestellt. "Das Kulturerbe im Bereich des Staudamms wird gerettet und langfristig gesichert", heißt es auf der Website des Konsortiums. "Mit den 100 Millionen Dollar, die für die Rettung von Hasankeyf bereit stehen, werden nicht nur Kulturgüter gerettet, sondern es werden auch wichtige touristische Impulse gegeben. Im oberen Teil der Stadt wird ein eigenes Tourismuszentrum inklusive eines ausgedehnten Archäologie-Parks und eines Museums entstehen. Diese Maßnahme wird einen neuen Tourismus-Magneten entstehen lassen, der Hunderte neue Jobs schaffen und helfen wird, das Einkommensniveau der lokalen Bevölkerung zu heben."

Es gebe nach wie vor kein Konzept zur Rettung der archäologischen Schätze der 10.000 Jahre alten Stadt Hasenkeyf, so Drillisch. Die Einwohner der Stadt lebten fast alle vom Tourismus und seien nach dem Untergang der Stadt ohne Einkommen. Es gebe Planungen für die Umsiedelung der ersten sechs Dörfer im Baustellengebiet, aber den Bauern werde die Haltung von Kühen in einer Region empfohlen, die für die Milchwirtschaft ungeeignet sei. Für weitere 190 Dörfer im geplanten Überschwemmungsgebiet gebe es kein Konzept.

Ilisu-Projekt in Ostanatolien. Karte: Stop Ilisu Kampagne

DEM IRAK WIRD DAS WASSER ABGEGRABEN

Der irakische Wasserexperte Hasan Janabi verwies auf die Folgen, die die Aufstauung des Tigris für die Schwemmland-Region im Irak haben würde. Nach dem Ende des Saddam-Regimes seien Hunderttausende Vertriebene aufs Land zurückgekehrt, wo sie in der traditionellen Landwirtschaft ein karges Auskommen gefunden hätten.

Der Staudamm, in dessen Planung der Irak entgegen der üblichen diplomatischen Gepflogenheiten in keiner Weise einbezogen worden sei, würde das für die irakischen Bauern verfügbare Wasser um die Hälfte reduzieren. Die jetzt bereits periodisch auftretenden Dürren würden sich verschärfen und das sensible Ökosystem bedrohen. "Die Hälfte der Bevölkerung des Irak lebt vom Tigris", sagte Janabi.

Eines der bedeutendsten Naturgebiete der Welt, das Mesopotamische Delta mit seinen Sumpfgebieten, würde austrocknen, befürchtet Janabi. "Der Ilisudamm würde großen Schaden im Irak anrichten, er könnte die Stabilität und den Frieden im Mittleren Osten gefährden."

LOKALE BEVÖLKERUNG LEHNT DAMMBAU AB

Auch das Argument der Projekt-Betreiber, die Bevölkerung der Region wolle den Staudamm als Anschub für die wirtschaftliche Entwicklung, läuft ins Leere. Unter den 73 Organisationen, die sich zur Verhinderung des Projekts und zur Rettung der antiken Stadt Hasankeyf zusammengeschlossen haben, sind fast alle Kommunen der Region.

Der Bürgermeister der Stadt Batman (300.000 Einwohner), Nejdet Atalay, machte klar: "Wir wollen dieses Projekt nicht. Hasankeyf ist mehr als nur eine antike Stadt. Sie ist zentraler Teil unserer Identität und die wirtschaftliche Zukunft für unsere gesamte Region."

Der Staat verspreche eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung, aber frühere Staudammbauten hätten in dieser Hinsicht "nichts gebracht", erklärte Atalay. Auch beim Ilisu-Projekt sei die Bevölkerung nicht gefragt worden. "Der Strom geht in den Westen, wir vor Ort haben nichts davon", befürchtet der Bürgermeister.

Es gebe "viele Alternativen zu Ilisu", sagte Atalay, der sich für die Errichtung einer UNESCO Welterbestätte in und um Hasankeyf einsetzt. Er betonte, die türkische Regierung sei bis heute nicht mit seiner Stadt in Kontakt getreten, obwohl zehntausende Menschen dorthin zögen und die soziale Lage verschärfen würden. "Wir werden bis zum letzten Moment kämpfen, dass dieses Projekt nicht verwirklicht wird!"

"DER DAMM WIRD NICHT GEBAUT"

Auf die drohende ökologische Katastrophe machte Güven Eken, Präsident der türkischen Naturschutzorganisation Doğa Derneği, aufmerksam. Es gebe keine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), wie sie in Europa bei jedem kleineren Kraftwerk vorgeschrieben wird. "Wir können nicht verstehen, dass sich die deutsche Regierung an einem Projekt beteiligen will, dass sie ihren eigenen Bewohnern und ihrer Natur niemals antun würde. Wenn die europäischen Staaten sich aus dem Projekt zurückziehen, haben wir eine große Chance Ilisu ganz zu verhindern. Aber auch wenn sie weiterhin dabei bleiben, werden wir Ilisu verhindern. Die Unterstützung der türkischen Bevölkerung für unsere Kampagne wird von Tag zu Tag größer."

Der Präsident der größten türkischen Naturschutzorganisationen sagte weiter, das Gebiet um Hasankeyf erfülle neun von zehn Kriterien für eine UNESCO-Weltkulturerbe. "Wie sollen endemische Arten im Tal umgesiedelt werden", fragte Eken ironisch. Die einzige Motivation, das Projekt gegen allen Widerstand durchzusetzen, sei die "Geschäftemacherei" der beteiligten Konzerne in der Türkei, in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Millionen Türken seien dageben. "Glauben Sie mir, dieser Damm wird nicht gebaut!" Ebenso wie einige Schauspieler unterstützt auch der deutsch-türkische Popstar Tarkan die Gegner des Staudammbaus.

KONSORTIUM WIRBT MIT ARBEITSPLÄTZEN

Das internationale Konsortium, das Ilisu bauen will, hatte im Dezember 2005 bei den staatlichen Exportkreditversicherern Deutschlands, Österreichs und der Schweiz Anträge auf Übernahme staatlicher Exportkreditgarantien gestellt. Das Gesamtvolumen des Projekts wird einschließlich der Aufwendungen für die Entschädigung der Bevölkerung und der Sicherung von Kulturgütern mit rund zwei Milliarden Euro veranschlagt.

Um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, richtete das Konsortium eigens eine Homepage zu den Aspekten Umsiedlung, Ökologie und Kulturgütern ein. Dort wird behauptet, das "Errichtungs-Konsortium rund um die Unternehmen VA Tech Hydro, Alstom und Züblin hat im Sinne eines Interessensausgleichs klare Verbesserungen beim Projekt erreicht, für hohe westliche Standards gesorgt und ein transparentes Genehmigungsverfahren initiiert. Zudem schafft das Projekt Ilisu nicht nur in der Türkei Arbeitsplätze. Es sichert auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz hunderte hoch qualifizierte Jobs."

"Am 6. Juli müssen Deutschland, Österreich und die Schweiz aus dem Projekt aussteigen, wenn sie international nicht ihr Gesicht verlieren wollen", meint hingegen Ulrich Eichelmann von der Kampagne "Stop Ilisu". "In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig, Rückgrat zu zeigen statt kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen Vorrang zu geben."

www.ilisu-wasserkraftwerk.com
www.stopilisu.com
www.gegenstroemung.org
www.eca-watch.at

 


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