unfcccBonn (epo.de). - In Bonn sind am Freitag einwöchige informelle Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen zu Ende gegangen. Mehr als 2000 Delegierte arbeiteten am Vertragsentwurf für ein Klimaabkommen, das im Dezemer in Kopenhagen verabschiedet werden soll. Der Exekutivsekretär der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), Yvo de Boer, räumte am Freitag vor der Presse ein, bei dem jetzt in Bonn vorgelegten Tempo "werden wir es nicht schaffen". Die Verhandlungen müssten schneller vorangehen. Germanwatch sieht die Klimagespräche "in einer kritischen Phase angekommen".

Teilweise seien Fortschritte bei der Bearbeitung und Straffung der umfangreichen Vertragstexte zu verzeichnen, sagte de Boer. In Bereichen wie der Anpassung an den Klimawandel, dem Technologietransfer und anderen Hilfen für die Entwicklungsländer müssten sich die Delegationen aber schneller bewegen, wenn in Kopenhagen ein ambitioniertes Abkommen erreicht werden soll.

Ein Klimaabkommen in Kopenhagen sei "ein unzweifelhaftes Erfordernis, um den Klimawandel nicht aus dem Ruder laufen zu lassen", betonte de Boer. Die Führer der Welt hätten jetzt auf dem Klimagipfel, den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für den 22. September nach New York einberufen hat, die nächste Gelegenheit, klare politische Vorgaben zu machen.

"WIR STEHEN VOR EINER GEFÄHRLICHEN SITUATION"

Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch, sieht die Verhandlungen in einer kritischen Phase angekommen: "Wir stehen in einer gefährlichen Situation. Einerseits versuchen die erdölexportierenden Staaten - angetrieben etwa von Saudi-Arabien - den gesamten Prozess zu untergraben. Ein Teil der Entwicklungsländer, verärgert über die bislang unzureichenden Klimaschutz- und Finanzierungsangebote der Industrieländer, lässt sich dazu instrumentalisieren. Dies spielt einigen großen Industrieländern, wie Kanada, Russland und manchen in den USA in die Hände, die sich freuen würden, in Kopenhagen mit einer unverbindlichen politischen Erklärung statt einem verbindlichem Vertrag davon zu kommen."

Germanwatch verweist darauf, das Forum der größten Volkswirtschaften (Major Economies Forum) habe sich beim G8-Gipfel im italienischen L’Aquila darauf verständigt, dass ein neues Abkommen die Erderwärmung "unter der Großgefahrenschwelle von zwei Grad halten soll". Der Ausstoß von Treibhausgasen muss dafür in den Industrieländern bis 2050 um wenigstens 80 Prozent reduziert werden. Weltweit bedeutet das Zwei-Grad-Ziel mindestens eine Halbierung der CO2-Emissionen. Die UN-Verhandlungen seien allerdings bisher noch weit davon entfernt, dieses Ziel in konkrete Handlungs- und Finanzzusagen für die kommenden Jahre umzusetzen, so Germanwatch.

"Das Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs dazu ist notwendig, um Schwung in diese Verhandlungen zu bringen", sagte Bals. "Aber eine G20-Erklärung kann ein rechtlich verbindliches UN-Abkommen nicht ersetzen. Sonst landen wir in Kopenhagen bei einer politischen Erklärung, die das Papier nicht wert ist, auf der sie steht. Und die Staaten, deren Existenzen durch den Klimawandel auf dem Spiel stehen, insbesondere die ärmsten Entwicklungsländer und kleine Inselstaaten, werden von den wichtigsten Entscheidungen ausgeschlossen."

Aus der Sicht von Germanwatch bleiben die angekündigten Reduktionsziele der Industrieländer bislang "weit hinter dem zurück, was notwendig wäre, um das Zwei-Grad-Limit einzuhalten". Auch die notwendigen Signale für Finanzzusagen an die Schwellen- und Entwicklungsländer sowie für das notwendige Ausmaß einer Technologiekooperation hätten die Industrieländer nach wie vor nicht gegeben.

"Damit sich die Schwellenländer auf eigene ambitionierte Klimaschutzleistungen festlegen, sind die Zusagen der Industrieländer dringend notwendig. Ansonsten wird sich an der derzeitigen Blockade nichts ändern. Eine solche Krise war zu erwarten. Es bleibt zu hoffen, dass sie letztlich den Anstoß zu einem Fortschritt in den Verhandlungen im September bringen wird", sagte Bals.

ZEIT DRÄNGT

"Die Klimaverhandlungen kommen nicht in Fahrt, obwohl die Zeit drängt", kritisierte die BUND-Expertin für Internationale Klimapolitik, Antje von Broock. Die Industriestaaten hätten aber immer noch keine angemessenen CO2-Reduktionsziele auf den Tisch gelegt. "Nach dem jetzigen Verhandlungsstand kommen gerade mal 13 bis 20 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 zusammen. 40 Prozent sind jedoch für den weltweiten Klimaschutz notwendig. Deutschland muss sich innerhalb der EU dafür einsetzten, das erklärte EU-Ziel von 30 auf 40 Prozent CO2-Reduktion zu erhöhen. Damit würde der Druck auf die anderen Industriestaaten steigen, nachzuziehen."

Auf Grund der monatelangen Hinhaltetaktik der Industriestaaten bei Emissionsminderungs- und Finanzzusagen sei es in Bonn "beinahe zum völligen Stillstand" gekommen, so von Brock. "Dass die Entwicklungsländer überhaupt noch bereit sind weiterzuverhandeln, ist Ausdruck ihrer großen Notlage. Der Klimawandel trifft die ärmsten Länder am härtesten. Sie sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Doch statt Angebote zu machen, fordern die Industriestaaten Maßnahmenpläne und Umsetzungszusagen für CO2-Reduktionen. Die Entwicklungsländer sind in keiner Bringschuld. Ihnen muss ein fairer Ausgleich dafür gezahlt werden, was die Industrienationen durch ihren energieintensiven Lebensstil verursacht haben."

"ES FEHLT AN WEITSICHT"

Greenpeace kritisierte den einstigen Vorreiter beim internationalen Klimaschutz. "Die deutsche Klimapolitik scheint im Moment wie gelähmt", sagte der Klimaexperte der Umweltorganisation, Karsten Smid. "Es fehlt an Führung und politischer Weitsicht."

Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember finden noch zwei Verhandlungsrunden in Bangkok und Barcelona statt. Insgesamt sind jedoch nicht mehr als 15 Verhandlungstage übrig, um einen konsensfähigen Vertragstext für ein Kyoto-Nachfolgeabkommen zustande zu bringen. Das Kyoto-Protokoll zur Verringerung der Treibhausgas-Emissionen läuft 2012 aus.

"BESCHÄFTIGUNGSTHERAPIE FÜR DIE DELEGIERTEN"

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac nannte die Bonner Verhandlungen "Beschäftigungstherapie für die Delegierten". Die Ergebnisse entbehrten jeglicher Substanz. "Schon jetzt zeichnet sich ab, dass aus dem angekündigten starken Abkommen bei der UN-Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen nichts werden wird. Statt des großen Deals wird uns eine perfekt inszenierte Show erwarten, die Trippelschritte als großen Durchbruch präsentiert", sagte Chris Methmann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Aller radikalverbalen Rhetorik zum Trotz sind es laut Attac "vor allem die Regierungen der Industrieländer, nicht die Länder des Südens, die massiv auf die Klimaschutzbremse treten und - durch die Wirtschaftskrise noch erpressbarer geworden - regelmäßig vor den Konzernlobbys einknicken."

"Die selbst ernannte Klimakanzlerin Angela Merkel verhindert in Brüssel schärfere CO2-Regelungen für deutsche Autos, in Australien stoppt die Steinkohleindustrie ein Klimagesetz, und beim G8-Gipfel in L'Aquila werden schön klingende Klimaschutzziele für eine weit entfernte Zukunft vereinbart, ohne überhaupt nur den Versuch zu machen, konkrete Maßnahmen und Zwischenziele festzulegen", sagte Hendrik Sander von der bundesweiten Attac-AG Energie, Klima und Umwelt (EKU).

Die Industrienationen seien als Hauptverursacher der Klimakrise nicht bereit, ihre ökologischen Schulden zu bezahlen und die Länder des Südens beim notwendigen Technologietransfer und der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen, kritisierte das Netzwerk. "Vor allem die Europäische Union will die Länder des Südens mit geradezu lächerlichen Summen abspeisen", so Sander. Während der Finanzierungsbedarf für Anpassung und Klimaschutz bei jährlich über 100 Milliarden US-Dollar liege, biete die EU momentan zwischen ein und zwei Milliarden an. Hendrik Sander: "Für die Banken sind hunderte Milliarden da. Der Klimaschutz wird hingegen der Finanzkrise geopfert, von Klimagerechtigkeit keine Spur."

Attac tritt für einen radikalen Wechsel in der Klimapolitik ein. Dafür notwendig seien unter anderem CO2-Steuern, die verpflichtenden Einführung klimaschonender Technologien sowie ein weltweites Verbot neuer fossiler Kraftwerke. Zudem sollen die Länder des Nordens die Folgekosten des von ihnen verursachten Klimawandels tragen und einen hunderte Milliarden Euro schweren Fonds für Anpassung, Technologiepartnerschaften und Klimaschutz einrichten.

Unter dem Motto "Für ein ganz anderes Klimaabkommen!" mobilisiert Attac zur UN-Klimaschutzkonferenz im Dezember in Kopenhagen. Hendrik Sander: "Eine andere Klimapolitik wird uns nicht von Merkel und Obama geschenkt, sondern kann nur Realität werden, wenn wir sie erstreiten."

Yvo de Boer: "Die Vorschläge sind nicht ausreichend" (Deutsche Welle)

www.unfccc.int
www.germanwatch.org
www.bund.net



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