ISAF in AfghanistanBerlin (epo.de) - Nach dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff auf zwei entführte Tanklastzüge in der Region Kundus mehren sich die kritischen Stimmen über den internationalen Truppeneinsatz in Afghanistan. Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte auf die Kritik auch innerhalb der NATO mit der Ankündigung, noch in diesem Jahr solle eine internationale Konferenz die weitere Strategie abstecken. Die Linksfraktion im Bundestag beantragte eine Aktuelle Stunde für die Bundestagssitzung am Dienstag; die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen forderte Merkel zu einer Regierungserklärung auf.   

Bei einem Treffen mit dem britischen Premierminister Gordon Brown sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag in Berlin, Frankreich, Großbritannien und Deutschland hätten die Absicht, Afghanistan verstärkt auf einen Abzug der internationalen Truppen vorzubereiten. Noch in diesem Jahr solle eine internationale Konferenz weitere Entwicklungsschritte für Afghanistan abstecken. Die afghanische Regierung solle mehr Eigenverantwortung übernehmen, damit das internationale Engagement schrittweise zurückgenommen werden könne. Dazu seien deutlichere Fortschritte bei der Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei nötig.

Die Fraktion DIE LINKE warf der Bundesregierung eine Fehlinformation der Öffentlichkeit vor. Die Fraktion habe "für die Bundestagssitzung am kommenden Dienstag eine Aktuelle Stunde zur Eskalation des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan beantragt", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Dagmar Enkelmann. "Gerade die bisherige Desinformationspolitik der Bundesregierung zu der von der Bundeswehr angeforderten Bombardierung zweier von den Taliban entführter Tankwagen, bei der Zivilisten getötet wurden, macht es erforderlich, dass sich das Parlament unverzüglich damit befasst."

"Die Tötung und Verletzung zahlreicher Zivilisten sei "eine dramatische Zuspitzung des Kriegseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan", erklärte Enkelmann. "Über diese Entwicklung darf der Bundestag, der den Bundeswehreinsatz mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen beschlossen, immer wieder verlängert und ausgeweitet hat, nicht schweigend hinweggehen."

Terrorismus könne nicht wirksam mit Krieg bekämpft werden, ist die Linksfraktion überzeugt. "Frieden und demokratische Entwicklung kann man nicht herbeibomben. Nur Gewaltverzicht, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie eröffnen einen Ausweg aus der afghanischen Sackgasse. Der Abzug der Bundeswehr ist ohne Alternative und kann auch nicht bis 2015 warten, sondern muss sofort beginnen."

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen forderte, Bundeskanzerlin Merkel müsse die Verantwortung für den Afghanistan-Einsatz übernehmen. "Die bisher vorliegenden Informationen deuten darauf hin, dass eine Bombardierung der entführten Tanklaster zu zivilen Opfern führte und daher vollkommen unverantwortbar war. Mit der Anordnung der Bombardierung wurde ausgerechnet von der Merkel-Regierung der eingeleitete Strategiewechsel der USA zum Schutz der Zivilbevölkerung konterkariert."

Die US-Administration habe einen militärischen Kurswechsel verordnet, der dem Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung allerhöchste Priorität beimesse, erklärten Jürgen Trittin und Winfried Nachtweih. "Luftangriffe dürfen demnach nur angeordnet und durchgeführt werden, wenn zweifelsfrei fest steht, dass dabei keine Zivilisten zu Schaden kommen. Die Gewaltspirale muss gestoppt und eine Entschärfung der Lage herbeigeführt werden. Die Bekämpfung von Taliban und anderen Gewaltakteuren mit Luftoperationen ist kontraproduktiv."

Die Grünen forderten "eine lückenlose und glaubwürdige Aufklärung der Hintergründe, die zu der Katastrophe in Kunduz geführt haben. Während afghanische Regierung, UN und NATO angekündigt haben, die Vorfälle in Kunduz zu untersuchen, schweigt und beschwichtigt die Bundesregierung die Lage. Angesichts des opferreichsten Luftwaffeneinsatz im deutschen Verantwortungsbereich in Nordafghanistan ist das politisch unverantwortlich."

Während die Bundeswehr auf ihrer Darstellung beharrt, es seien "über 50 Aufständische getötet" worden, Unbeteiligte seien aber vermutlich nicht zu Schaden gekommen, nannte der Distrikt-Gouverneur von Char Darah am Montag die Zahl von 130 Toten. Er habe eine Liste der Opfer erstellt und der Regierung von Präsident Hamid Karsai übergeben,  sagte Abdul Wahid Omarkhel der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gab am Montag indirekt zu, es habe bei dem von der Bundeswehr befohlenen Luftangriff auf Taliban bei Kunduz auch zivilen Opfer gegeben. Eindeutig scheine ihm, "dass der überwiegende Anteil Taliban gewesen sind", sagte Jung am Montag im ZDF. Die Nichtregierungsorganisation Afghanistan Rights Monitor (ARM) erklärte am Montag, bei dem Angriff seien 60 bis 70 Zivilpersonen getötet worden. ARM berief sich nach einem Reuters-Bericht dabei auf Befragungen von rund einem Dutzend Bewohnern der Umgebung.