haiti_port_au_princeBerlin (epo.de). - Ein halbes Jahr nach dem schweren Erdbeben in Haiti hat sich die Versorgunglage für einen Großteil der Bevölkerung deutlich verbessert. Die Lebensbedingungen tausender Menschen seien aber noch immer prekär, berichten Hilfsorganisationen. Sie mahnen zudem, noch immer sei ein Großteil der von der internationalen Gemeinschaft versprochenen Hilfsgelder nicht in Haiti angekommen.

Ärzte ohne Grenzen wies im neuen Bericht "Emergency Response after the Haiti Earthquake: Choices, Obstacles, Activities and Finance" darauf hin, dass viele Haitianer vom Tempo des Wiederaufbaus enttäuscht seien und die Frustration wachse. "Es gibt eine erschütternde Kluft zwischen dem Enthusiasmus und den Hilfsversprechen der ersten Wochen und der düsteren Realität ein halbes Jahr später", sagte der Landeskoordinator für Haiti, Stefano Zannini.

Vom 12. Januar bis Ende Mai dieses Jahres behandelten Teams von Ärzte ohne Grenzen nach eigenen Angaben mehr als 173.000 Patienten und nahmen gut 11.000 chirurgische Eingriffe vor. Mehr als 81.000 Haitianer erhielten psychologische Unterstützung. Die Mitarbeiter verteilten außerdem fast 20.000 Zelte und mehr als 35.000 Nothilfe-Kits.

Ärzte ohne Grenzen erhielt bis Ende Mai Spenden in Höhe von 91 Millionen Euro für Haiti, von denen etwa 53 Millionen Euro bereits in den ersten fünf Monaten nach dem Beben eingesetzt worden seien. Bis Ende 2010 sollen rund 89 Millionen Euro für die direkte Nothilfe ausgegeben werden.

Die Hilfsorganisation Ärzte der Welt berichtete, in der Hauptstadt Port-au-Prince lebten rund 700.000 Menschen immer noch in Zelten. Von den zehn Milliarden US-Dollar, die die Internationale Gemeinschaft bei der Geberkonferenz in New York im März versprach, seien bis heute nur einige hundert Millionen tatsächlich von den Staaten und den Kreditgebern überwiesen worden. "Es wird höchste Zeit, dass die Versprechen gehalten werden, es muss schneller gehen", mahnte die Organisation. Ärzte der Welt fordert, die zehn Milliarden Dollar müssten dazu verwendet werden, ein gerechteres Gesundheitssystem zu finanzieren und einzurichten.

Auch die Welthungerhilfe forderte die internationale Gemeinschaft auf, ihre Zusagen einzuhalten. Die Vorbehalte gegenüber der haitianischen Regierung dürften nicht dazu führen, dass dringend benötigte Hilfsgelder nicht ausgezahlt werden. "Wir müssen unser Wort, das wir den Opfern der Katastrophe gegeben haben, halten. Die Menschen glauben sonst, dass die Schecks nur für die Fernsehkameras ausgestellt worden sind", kritisierte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann.

Von der haitianischen Regierung verlangt die Welthungerhilfe eine schnelle Klärung der Landbesitzverhältnisse. Bisher stehe immer noch nicht fest, an welchen Plätzen die Übergangssiedlungen für Flüchtlinge aufgebaut werden sollen. Auch in den ländlichen Gebieten würden Investitionen dadurch behindert, dass viele Besitzverhältnisse durch die staatlichen Stellen nicht geklärt würden.

In der Phase des Wiederaufbaus gelte es, eine entwicklungsorientierte Lebensperspektive für die Menschen zu entwerfen, erklärte das Kinderhilfswerk terre des hommes. "Übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen ist es, gleichzeitig mit der Nothilfe die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Haiti zu stärken und zu einer langfristigen und selbstständigen Entwicklungsperspektive des Landes beizutragen", erklärte Chris Hartmann, Referent für Humanitäre Hilfe bei terre des hommes. Bei allen Maßnahmen stehe der Schutz der Kinder im Zentrum.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) erklärte, da auf Haiti behördliche Strukturen insgesamt noch immer nicht funktionierten, müsse das Rote Kreuz weiter Nothilfe leisten und Hilfsgüter verteilen. Auch der Aufbau eines leistungsfähigen Wasser- und Abwassersystems zum Schutz vor Seuchen geht nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes nicht schnell genug. Haiti gehöre mit Somalia und der Demokratischen Republik Kongo zu den Ländern, die ihrer Bevölkerung kein sauberes Wasser bieten könnten. Der Bau von Unterkünften durch das DRK für 1.000 Familien laufe nun zügiger, da die Frage der Grundstücke zum Bau schlichter Holzhäuser mit Wellblechdach geklärt werden konnte.

Handicap International beschäftigt derzeit in Haiti rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Über 80 Prozent von ihnen sind Einheimische, die für ihre aktuellen Tätigkeiten angelernt oder fortgebildet wurden. Projektschwerpunkte sind auch noch sechs Monate nach der Erdbebenkatastrophe vom 12. Januar die Verteilung von Hilfsgütern und der Bau von Notunterkünften. Dabei sind es immer Menschen mit Behinderung, um die sich die Hilfsorganisation ganz besonders kümmert. Gemeinsam mit der Christoffel Blindenmission wurde Handicap International von UNO und WHO damit beauftragt, die Versorgung der verletzten und behinderten Menschen im Erdbebengebiet zu koordinieren.

Über 300.000 Menschen wurden bei dem folgenschweren Unglück im Januar verletzt und brauchen dringend Unterstützung. So gibt es z.B. weit über 1.000 Patienten, denen ein zertrümmertes und entzündetes Bein amputiert werden musste. Sie alle benötigen Prothesen, um wieder aufrecht gehen zu können. Ein Schwerpunkt von Handicap International ist deshalb der Aufbau der orthopädischen und therapeutischen Versorgung und die Ausbildung von lokalem Fachpersonal.

"Die logistischen Probleme überwiegen in diesen Tagen", berichtete Thomas Rottland, Koordinator der Hilfsorganisation Help für Haiti. "Für jede Einfuhr brauchen wir Wochen, Landrechtsprobleme sind hier an der Tagesordnung – ohne ein funktionierendes Katasteramt. Das hemmt die Hilfsmaßnahmen ungemein."

Bei rund 1,5 Millionen Obdachlosen auf einen Schlag sei die Anforderung an die internationale Helfergemeinschaft "geradezu herausragend", betonte Rottland. "Das Beben hat nicht nur die Infrastruktur des Landes lahm gelegt, sondern zahlreiche Beamte und Regierungsmitglieder getötet. Das ist für einen Neuanfang verheerend. Und nun kommt zu der Regenzeit die Hurrikan-Saison."


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