die_150Bonn (DIE). - Der rasante Aufstieg der Volksrepublik China zur globalen Supermacht zeigt sich auch in ihren Beziehungen zu Lateinamerika. Noch vor zwei Jahrzehnten waren weder die wechselseitigen wirtschaftlichen Interessen noch die politischen Verbindungen sonderlich signifikant. Das hat sich grundlegend geändert. Entscheidende Triebfeder sind dabei die Wirtschaftsbeziehungen, analysiert Dr. Christian von Haldenwang vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in der aktuellen DIE-Kolumne.

Die Attraktivität Lateinamerikas dürfte für China in den nächsten Jahren noch weiter wachsen, denn die Region produziert strategische Primärgüter und wird auch als Absatzmarkt für chinesische Produkte weiter an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig wird die traditionelle Form der lateinamerikanischen Weltmarktintegration, basierend auf dem Rohstoffreichtum der Region, durch diese Entwicklung wieder verfestigt. So verweist die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) darauf, dass der Anteil der Rohstoffexporte an den gesamten Ausfuhren Lateinamerikas zwischen 1999 und 2009 von 26,7 % auf 38,8 % gestiegen ist.

Politische Beziehungen: Entwicklungspolitik ist nicht der große Hebel

China sieht sich im Hinblick auf seinen Entwicklungsstand auf Augenhöhe mit Lateinamerika. Im 2008 veröffentlichten "Weißbuch der Beziehungen Chinas zu Lateinamerika und der Karibik" werden die Länder der Region eingeladen, die Beziehungen zur Volksrepublik auf allen Ebenen zu intensivieren und bei der Bearbeitung internationaler Probleme zu kooperieren. Die Zahl der offiziellen Kontakte hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich erhöht.

In den vergangenen Jahrzehnten haben zudem mehrere lateinamerikanische Staaten diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik aufgenommen und die Beziehungen zu Taiwan gleichzeitig abgebrochen, zuletzt Costa Rica im Jahr 2007. Häufig war das mit verstärkten wirtschafts- bzw. entwicklungspolitischen Aktivitäten der Volksrepublik verbunden. Unter den 23 Staaten, die Taiwan heute noch völkerrechtlich anerkennen, sind zwölf (v. a. kleinere) Staaten aus Lateinamerika und der Karibik. Ein Geberwettbewerb mit Taiwan, wie teilweise noch in den 1990er Jahren zu beobachten, findet in der Region gegenwärtig jedoch nicht statt.

Chinas Rolle als entwicklungspolitischer Geber wird besonders im Hinblick auf Subsahara-Afrika durchaus kontrovers diskutiert. In Lateinamerika tritt die Volksrepublik entwicklungspolitisch weniger in Erscheinung als in Afrika, wenn auch mit einem ähnlichen Fokus: Der weitaus größte Teil der Mittel fließt in die wirtschaftsnahe Zusammenarbeit (v. a. in die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen) bzw. in Infrastrukturmaßnahmen. Erschwert wird die Einschätzung dieser Aktivitäten dadurch, dass China (wie andere große Geber) in seiner Außenpolitik entwicklungspolitische mit wirtschafts-, sicher­heits- und geostrategischen Zielen vermengt. China lehnt es bislang ab, die Leitlinien des Development Assistance Committee (DAC) der OECD für die Klassifizierung von Official Development Assistance (ODA) anzuwenden.

Wirtschaftliche Beziehungen stehen im Mittelpunkt

Mit keiner anderen Weltregion haben sich die Wirtschaftsbeziehungen Chinas in den letzten Jahren so rasant entwickelt wie mit Lateinamerika. Der bilaterale Handel wächst seit 2005 doppelt so schnell wie der gesamte chinesische Außenhandel, nämlich um 26,1 % pro Jahr bei den chinesischen Exporten nach Lateinamerika und um 22,8 % bei den Importen aus der Region. Legt man die Trends der vergangenen Jahre zugrunde, wird China in wenigen Jahren die EU als zweitwichtigster Handelspartner Lateinamerikas ablösen.

Das fast ungebremste Wachstum der Volksrepublik hat 2008-09 dazu beigetragen, die Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in Lateinamerika abzumildern, denn China war der einzige Wirtschaftsraum, der 2009 mehr Güter aus Lateinamerika einführte als im Jahr davor (plus 5 %). Auch in der gegenwärtigen Aufschwungphase erweist sich China als Absatzmarkt mit den größten Wachstumsraten für Exporte aus Lateinamerika.

Besonders Südamerika profitiert von dieser Entwicklung. China ist heute ein wichtiger Nachfrager nach südamerikanischen Primärgütern und Nahrungsmitteln (Soja, Fleisch, Erdöl, Kupfer, Eisenerz). Noch stärker sind allerdings in fast allen Ländern die Importe aus China gewachsen. Dabei hat sich der Schwerpunkt von arbeitsintensiven low-tech-Gütern (Spielwaren, Schuhe, Textilien) allmählich zu höherwertigen Produkten (Automobile, Computer, Telefone, Haushaltsgeräte) verlagert.

Die Handelsbeziehungen sind dynamisch, aber auch konfliktiv. Argentinien, Brasilien und Kolumbien haben im vergangenen Jahr über dreißig Antidumping-Untersuchungen gegen China eingeleitet (v. a. in den Sektoren Eisen und Stahl, Textilien, Schuhe und Haushaltsgeräte). In einigen Sektoren des verarbeitenden Gewerbes, insbesondere im Automobilbau, schwächt der Aufstieg der Volksrepublik zudem die Position der südamerikanischen Länder auf den Weltmärkten.

Chinas Investitionen in Südamerika sind bislang – zumindest im Vergleich zu den hochgesteckten Erwartungen – noch wenig bedeutend. Die CEPAL schätzt, dass zwischen 2003 und 2009 insgesamt 24 Mrd. USD aus China in Lateinamerika investiert wurden. Brasilien und Peru waren die wichtigsten Zielländer, aber in keinem Land der Region liegt der Bestand über 1,0 % aller ausländischen Direktinvestitionen. Hier zeichnet sich aber ebenfalls eine Wende ab, denn der Umfang der angekündigten Investitionen, besonders im Primärsektor, wächst rasant.

Mexiko und Zentralamerika haben mit ihrer fast vollständigen Anbindung an den nordamerikanischen Wirtschaftsraum unter der globalen Wirtschaftskrise deutlich mehr gelitten als die südamerikanischen Nachbarn. Die Handelsbeziehungen zu China sind hier auch langsamer gewachsen als in Lateinamerika insgesamt. Für diese Subregion ist die Handelsbilanz mit China deutlich defizitär, während sie für Südamerika 2009 sogar leicht überschüssig war. Außerdem hat China in einigen wichtigen Sektoren (insbesondere Textilien, Schuhe, Lederwaren) zum Nachteil der zentralamerikanischen Länder große Marktanteile im nordamerikanischen Wirtschaftsraum hinzugewonnen. Besonders für Mexiko erweist sich China als ernstzunehmende Bedrohung, denn es wird erwartet, dass auch in weiteren Sektoren (z. B. Automobilbau und -teile), in denen Mexiko den nordamerikanischen Markt beliefert, chinesische Produkte künftig stärker präsent sein werden.

In der Gesamtsicht ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Für die größeren Länder insbesondere Südamerikas scheint eine Partnerschaft mit China auf Augenhöhe noch am ehesten möglich. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass es gelingt, Chinas Interesse neben Rohstoffen und Infrastruktur auf weitere Aktivitäten zu richten. Für die kleineren Länder insbesondere Zentralamerikas gibt es kaum Spielräume für eine aktive Gestaltung der Beziehungen zur Volksrepublik, im Gegenteil: Wenn sich die weltweite Konkurrenz um Rohstoffe wie erwartet weiter verschärft, werden diese Länder als Nettoimporteure von Rohstoffen eher negativ betroffen sein.

Eine ausführlichere Analyse des Themas erschien am 1. Oktober 2010 in der Reihe "Fokus Entwicklungspolitik" der KfW Entwicklungsbank.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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