handy_arbeiterin_rp_germanwatch_200Berlin. - Ein Jahr nach Inkrafttreten des neuen Vergabegesetzes für das Land Berlin haben nichtstaatliche Organisationen eine ernüchternde Bilanz gezogen. Wie ein Blick in aktuelle Ausschreibungen zeige, werde das neue Gesetz bis heute kaum umgesetzt, erklärten die im FAIRgabe-Bündnis vertretenen Gewerkschaften und umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen. Das Land Berlin gibt rund fünf Milliarden Euro jährlich für Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen aus. Mit dem Vergabegesetz sollte eine ökologische, soziale und faire Produktion dieser Bedarfe gesichert werden.

Der Grund für die mangelnde Umsetzung werde deutlich, wenn man sich die Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung zu ILO-Kernarbeitsnormen ansieht, so das FAIRgabe-Bündnis. Obwohl Zertifikate zu den zentralen Kontrollinstrumenten der Richtlinien gehörten, fehlten in den Schreiben der Verwaltung umfassende Informationen zu der komplexen Materie. Vereinzelte Rechercheempfehlungen seien oft veraltet. Ohne gezielte Schulungen seien die meisten Beschaffenden mit den neuen Kriterien jedoch überfordert, zumal die Vergabestellen personell kaum in der Lage seien neue Aufgaben nebenbei zu bewältigen.

Zudem widerspreche die Berliner Senatsverwaltung ihren eigenen politischen Vorgaben, kritisiert das FAIRgabe-Bündnis. Als Nachweis für die Einhaltung der Richtlinien werde den Vergabestellen die von Unternehmen zu unterzeichnende "Eigenerklärung zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen" empfohlen. Bei dieser Eigenerklärung handele es sich nicht, wie der Name verspreche und anders als in anderen Bundesländern gehandhabt, um eine Erklärung über die Einhaltung der sozialen Standards. Vielmehr könne das Unternehmen hier mit einer bloßen Unterschrift erklären, dass es eben nicht dazu in der Lage sei, Nachweise zu erbringen. Würde es der Gesetzgeber ernst meinen, müsste der Bieter in einem solchen Fall vom Verfahren ausgeschlossen werden.

"Aus unserer Sicht ist das keine Umsetzung der Vorschriften zu den ILO-Kernarbeitsnormen. Es ist eine Mogelpackung aus der Trickkiste des Vergaberechts", sagte Veselina Vasileva von WEED für das FAIRgabe-Bündnis. "Die eigentliche Funktion einer Eigenerklärung ist es, eine klare Nachfrage nach sozial und fair hergestellten Produkten zu schaffen. Mit der Berliner Praxis wird dieser Zweck verfehlt und eine unsoziale und unfaire Produktion von Gütern auf der Basis des neuen Vergabegesetzes legitimiert", so Astrid Geiermann vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER).

"Angesichts solcher Schlupflöcher ist es nicht verwunderlich, dass auch die angekündigte Kontrollgruppe bis dato fehlt. Die Abgeordneten hatten - anders als vom Senat ursprünglich vorgesehen - die verbindliche Einrichtung einer Kontrollkommission gefordert und beschlossen. Mit welcher Besetzung und ab wann diese aktiv werden soll, ist jedoch noch völlig unklar", kritisierte Doro Zinke, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg die mangelhafte Umsetzung. "Wichtig ist außerdem, dass Gewerkschaften und NROs in der Kontrollkommission einbezogen werden."

„Das Vergabegesetz war die notwendige Voraussetzung einer grünen Beschaffung“, so Tobias Pforte-von Randow von Germanwatch. "Die Ausführungsvorschriften für ökologische Kriterien sind zwar bald erstellt, allerdings ist zu befürchten, dass der derzeitige politische Wille fehlt, sie umzusetzen."

Angesichts dieser "erschütternden Bilanz" fordert das Berliner FAIRgabe-Bündnis die Konzentration von Aufmerksamkeit und Ressourcen auf die praktische Umsetzung des neuen Vergabegesetzes.

www.weed-online.org

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