die_150Bonn. - Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2012 zum "International Year of Sustainable Energy for All" (Internationales Jahr der nachhaltigen Energien für alle) ausgerufen. Des Weiteren findet im Juni der "Rio+20"-Gipfel anlässlich des 20. Jubiläums des Erdgipfels von Rio de Janeiro statt, bei dem es um die "grüne" Weltwirtschaft und eine nachhaltige Entwicklung geht. Dies ist für das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) Anlass, sich dieses Jahr in der "Aktuellen Kolumne" des DIE regelmäßig mit Energie- und Klimathemen zu befassen. Der erste Beitrag von Matthias Ruchser widmet sich der "Renaissance der Kohle".

Der Klimagipfel von Durban brachte keine guten Nachrichten für das Weltklima, denn frühestens 2020 soll ein neues Klimaschutzabkommen in Kraft treten (siehe hierzu "Die aktuelle Kolumne" vom 12.12.2011). Doch kann das Klima so lange warten? Nach dem international anerkannten Budgetansatz des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) verbleibt bis zum Jahr 2050 ein globales Treibhausgasbudget ("Globalbudget") von 750 Gigatonnen CO2-Äquivalent, um das 2010 in Cancún vereinbarte 2-Grad-Ziel einzuhalten. Umso beunruhigender sind die Aussagen der Internationalen Energieagentur (IEA) in ihrem aktuellen "World Energy Outlook": Nachdem die CO2-Emissionen 2009 als Folge der Finanzkrise absanken, erreichten sie im Jahr 2010 mit 30,4 Gigatonnen den bisher höchsten Wert in der Geschichte.

Doch nicht nur die Klimadiplomaten verweigern sich mit ihrem Handeln den klimapolitischen Notwendigkeiten. Auch der Ausbau von Energieerzeugungskapazitäten gibt Anlass zur Sorge: Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sah eine Renaissance der Kohle, trotz der 1997 in Kyoto vereinbarten Verpflichtungen zur Reduzierung von Treibhausgasen. Seit dem Jahr 2000 nahm die weltweite Kohlenachfrage um 55 % zu. Mit einem Anteil von 40 % im Jahr 2009 bleibt die Kohle das Rückgrat der globalen Stromerzeugung und verursacht 43 % der globalen CO2-Emission.

Kohle wird noch über Jahre die globale Stromerzeugung dominieren

Da Kohlekraftwerke bis zu 40 Jahre am Netz bleiben, sind die daraus resultierenden Treibhausgasemissionen auf Jahrzehnte im Globalbudget "eingeloggt" ("locked-in"). Noch bedenklicher ist, dass Dreiviertel der heute existierenden Kohlekraftwerke einen Wirkungsgrad von unter 40 % haben; technisch machbar sind bis zu 47 % Wirkungsgrad bei Steinkohle- und bis zu 45 % bei Braunkohlekraftwerken.

Von den in China in Bau befindlichen 90 Gigawatt an Kohlekraftwerken haben ein Drittel einen technisch veralteten Wirkungsgrad von unter 40 %. In Indien sieht es noch schlechter aus: fast der komplette Kohlekraftwerkspark hat einen Wirkungsgrad von unter 40 %. Dies ist umso gravierender, da die beiden Länder die weltweit kohleintensivsten Ökonomien haben. China alleine verbraucht fünfmal mehr Kohle pro USD Bruttosozialprodukt als der Rest der Welt.

Die heutigen Investitionsentscheidungen bestimmen die Emissionen von morgen

Durch ihre Investitionsentscheidungen für technisch veraltete Kraftwerke emittieren beide Länder über Jahrzehnte große Mengen an vermeidbaren Emissionen, die das Globalbudget zusätzlich belasten. Vor diesem Hintergrund ist die Bremserrolle Chinas und Indiens in Durban umso zweifelhafter. Die Begründung, dass die Industrieländer eine historische Bringschuld beim Klimaschutz haben, war bei der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls richtig, und deshalb wurden keine Minderungsmaßnahmen für Entwicklungsländer vereinbart.

Doch heute sehen die Realitäten anders aus. Treibende Kraft der zusätzlichen Kohlenachfrage und der zunehmenden Treibhausgasemissionen sind die Nicht-OECD-Länder, allen voran China und Indien. Beide Länder haben einen enormen Energiebedarf und ambitionierte Pläne für den Ausbau ihrer Energieinfrastruktur. Dabei setzen China und Indien zunehmend auch auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. So wurden z. B. in China mit 48,5 Mrd. USD im Jahr 2010 die weltweit höchsten Investitionen in erneuerbare Energien getätigt, so dass sie in China inzw. 18 % der Stromerzeugung und 9 % des Primärenergieverbrauchs abdecken.

Noch immer werden technisch veraltete Kohlekraftwerke gebaut

Dass beide Länder dennoch auf Kohlekraftwerke setzen, die nicht dem Stand heutiger Technik entsprechen, liegt an den Kosten: Moderne, hocheffiziente Kohlekraftwerke sind teurer als veraltete Technik, denn höhere Wirkungsgrade erfordern höhere Temperaturen und Drücke im Kessel, die wiederum zu höheren Material- und Baukosten führen. Solange Kohle billig ist, rentieren sich diese Investitionen nicht. Zwar haben sich sowohl Koks- als auch Kraftwerkskohle seit 2005 – mit einer kurzfristigen finanzkrisenbedingten Delle – stetig verteuert. Um einen Ausgleich zu schaffen, gewährt China jedoch die höchsten verbrauchsorientierten Kohlesubventionen der Welt, immerhin 2 Mrd. USD im Jahr 2010. Dieser Betrag ist vor dem Hintergrund von weltweit 409 Mrd. USD an Subventionen für fossile Energieträger einerseits gering, doch dadurch bleiben andererseits technisch überholte Kohlekraftwerke rentabel und Investitionen in neue Technologien werden gescheut. Im Vergleich, Deutschland gewährte 2009 Subventionen in Höhe von 1,46 Mrd. Euro als Absatzhilfe des bis 2018 auslaufenden Steinkohlebergbaus ("Erhaltungssubvention").

Anders als in Europa, wo seit 2005 ein Emissionshandelssystem besteht, werden in China und Indien Treibhausgasemissionen nicht mit einem Preis versehen. Wird jedoch der Ausstoß von Treibhausgasen einerseits begrenzt und andererseits das "Verschmutzungsrecht" an der Börse mit einem Preis versehen, entsteht eine komplett neue Ausgangslage für die Kalkulation von Kraftwerksneubauten: ein Energieträgerwechsel bzw. der Bau eines hocheffizienten Kraftwerks rentieren sich.

Als technische Option für die Verringerung der Treibhausgasemissionen bei Kohlekraftwerken gilt auch die CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage – CCS). Die fossile Kraftwerksindustrie aber auch viele Politiker setzen auf diese Technologie, von der es zunächst hieß, dass sie 2020 zur Verfügung stehen wird. Davon ist heute keine Rede mehr. Zu groß sind die technischen und politischen Herausforderungen. So senkt die CCS-Technik den Wirkungsgrad eines Kraftwerkes um bis zu 15 %, so dass die Erzeugungskosten für Kohlestrom höher sein werden als für erneuerbare Energien.

Die unbequeme Wahrheit

Obwohl im Jahr 2010 bereits die Hälfte der neuen Energieerzeugungskapazitäten auf erneuerbaren Energien basierte, tragen sie erst 16 % der Endenergie bei. Zieht man davon die Nutzung der traditionellen Biomasse in Entwicklungsländern ab, decken die erneuerbaren Energien erst 6 % der weltweiten Energienachfrage. Die unbequeme Wahrheit lautet deshalb: Die Vollversorgung durch erneuerbare Energien wird vorerst nicht möglich sein. Die fossilen Energien werden noch über Jahrzehnte dominieren, vor allem in den Nicht-OECD-Ländern. Wenn also schon konventionelle Kraftwerke gebaut werden, ob auf Erdgas- oder Kohlebasis, so müssen diese den höchstmöglichen technischen Effizienzgrad erreichen. Solange aber fossile Energieträger künstlich verbilligt werden, setzen Investoren auch in Zukunft auf veraltete Technik.

Deshalb muss die Politik – wie auf dem G-20-Gipfel von Pittsburgh beschlossen – Subventionen auf fossile Energieträger reduzieren mit dem Ziel, sie ganz abzuschaffen. Treibhausgasemissionen müssen durch die Einführung eines Emissionshandelssystems oder durch Besteuerung eingepreist werden. Die betriebswirtschaftliche Kalkulation beim Kohlestrom verschlechtert sich dadurch, die Kalkulation der kapitalintensiven erneuerbaren Energien wird im Umkehrschluss einfacher. Volkswirtschaftlich ist dies sinnvoll.

Solange also die externen Kosten der fossilen und nuklearen Energien nicht internalisiert werden, brauchen die erneuerbaren Energien klare politische Rahmenbedingungen, damit ihr Ausbau forciert werden kann. Nur so können sie mittel- bis langfristig fossile und nukleare Energien ersetzen. Ohne diese politischen Rahmenbedingungen rücken die Klimaschutzziele und eine nachhaltige Energieversorgung in weite Ferne. Die Politik muss hier aktiv werden, nicht nur in den Industrienationen, sondern auch in Nicht-OECD-Länder und hier vor allem in den großen Schwellenländern wie China, Indien, Südafrika und Brasilien.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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