syrienFrankfurt a.M. - Berichte über die dramatische Eskalation der Gewalt in Syrien erreichen seit Tagen deutsche Hilfsorganisationen. Partner von medico international in der Nähe von Damaskus und in den kurdischen Gebieten teilten mit, es habe bei den mutmasslichen Giftgas-Angriffen eine hohe Zahl von Toten und Schwerverletzten gegeben. Auch die ansteigenden Flüchtlingszahlen bereiten den Helfern Sorge. Der UN-Sicherheitsrat sprach sich für eine rasche, umfassende und unabhängige Untersuchung der Vorwürfe aus.

"Unsere Partner berichten aus Erbin, einem Vorort, der nur wenige Kilometer von den betroffenen Orten Ain Tarma, Zamalka und Moadamieh entfernt liegt, aus denen enorme Opferzahlen aufgrund eines ungeklärten Angriffs gemeldet werden", so medico international am Donnerstag in Frankfurt am Main. Ab fünf Uhr morgens seien am Mittwoch Tote und Verletzte aus Zamalka und Ain Tarma ins Krankenhaus nach Erbin gebracht worden. Bis Mittwochmittag seien im Krankenhaus 85 Tote gezählt worden, weitere 40 Menschen seien in Behandlung.

Aus den anderen Ortschaften in Ost-Ghouta kämen ähnliche Zahlen. Zusammengezählt müssten über 750 Menschen betroffen sein, meldeten die medico-Partner. Sollten sich diese Meldungen weiter bestätigen, wären das mit Abstand die höchsten Opferzahlen, die in dieser Region seit Ausbruch des Bürgerkriegs gemeldet wurden. "Die Berichte sind gespenstisch", sagte medico-Mitarbeiter Martin Glasenapp, der erst kürzlich Syrien bereiste. "Es bedarf einer lückenlosen und unabhängigen Aufklärung der Geschehnisse. Die UN-Mitarbeiter vor Ort müssen sofort die Möglichkeit bekommen, die Vorfälle zu untersuchen."

Gemeinsam mit "adopt a revolution" unterstützt medico international in Erbin die Arbeit lokaler Komitees, die unter anderem mitten im Kriegszustand den Schulunterricht für Kinder gewährleisten. Während die USA davon ausgehen, dass Truppen von Staatschef Assad Giftgas eingesetzt haben, erklärte das russische Außenministerium, Kämper der Opposition hätten nahe Damaskus eine Rakete mit unbekanntem chemischem Giftstoff abgefeuert.

Von einer Eskalation der Situation berichten auch die kurdisch-syrischen Partner von medico international aus ihrer Region. Seit Mitte August seien aufgrund der Zuspitzung des Bürgerkriegs Zehntausende Menschen über die Grenze in den kurdischen Teil des Iraks geflohen. Die Menschen fürchteten um Leib und Leben, aber auch die Versorgung der Region unter anderem mit nötigen Medikamenten werde immer schwieriger. Die lokale Medikamentenproduktion sei fast vollständig zum Erliegen gekommen.

Gleichzeitig müssen vor Ort über 500.000 Binnenflüchtlinge versorgt werden. Eine erste Medikamentenlieferung, finanziert aus Spendenmitteln von medico international, ist in diesen Tagen bei den kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen eingetroffen und soll über lokale Komitees den Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt werden. Für die Notversorgung syrischer Flüchtlinge in Syrien und im Libanon und die Unterstützung von Basiskomitees bittet medico international dringend um Spenden.

Nach einer Meldung des Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit (Civaka Azad) sind aufgrund der anhaltenden Angriffe islamistischer Gruppen und des Baath-Regimes auf die kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien allein seit dem 15. August 30.000 Menschen nach Südkurdistan (Nordirak) geflohen. Eine vor Ort tätige Mitarbeiterin der US-amerikanischen Flüchtlingsorganisation "International Rescue Committee" sprach davon, dass sie Flüchtlingsströme von solchem Ausmaß noch nie erlebt habe.

Kritik an der Haltung der südkurdischen Regierung äußerte die in Syrien aktive Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM). So habe die Regierung Südkurdistans zwar den Grenzübergang für Flüchtlinge geöffnet. Aber der Transport von Lebensmitteln und Medikamenten werde von den Verantwortlichen der südkurdischen Regierung weiterhin unterbunden. Dadurch seien die Menschen in Syrien weiter einem wirtschaftlichen Embargo ausgesetzt.

Ein Hilfsflug des Roten Kreuzes mit Material zum Aufbau eines Hospitals für syrische Flüchtlinge in Jordanien soll am 23. August vom Flughafen Berlin-Schönefeld nach Amman starten. Das Hospital wird im neuen Flüchtlingscamp "Azraq" errichtet werden, das am 1. September seine Pforten öffnet und bis zu 130.000 Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet Zuflucht bieten soll. An Bord werden rund 46 Tonnen Fracht des Deutschen, Finnischen und Norwegischen Roten Kreuzes sein.

Die Kinderhilfsorganisation World Vision verurteilte die Verschärfung des Konflikts in Syrien und die zunehmenden Angriffe auf die Zivilbevölkerung. "Der Krieg hat mit diesem Angriff eine neue Stufe der Gewalt erreicht, die nicht hinnehmbar ist", so Christoph Waffenschmidt, Vorstandsvorsitzender von World Vision Deutschland. "Bei dem Angriff starben viele Kinder, einige von ihnen erst nach einem verzweifelten Todeskampf."

Ekkehard Forberg, Friedensexperte bei World Vision sagte: "Die derzeitige Eskalation der Gewalt stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und wir sind in höchstem Maße besorgt." World Vision fordert alle Konfliktparteien auf, inne zu halten und ihre Strategien zu überdenken. "Die Konfliktparteien müssen sich endlich an einen Tisch setzen und über eine friedliche Lösung reden."

 


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