gute pillen etcBielefeld. - Pharma-Unternehmen müssen neue Medikamente an Menschen testen, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen. Das dient dem Schutz der zukünftigen Anwender. Die Firmen lassen solche Studien jedoch immer häufiger in Osteuropa und in Entwicklungsländern machen – nicht zuletzt aus Kostengründen. Die Zeitschrift Gute Pillen – Schlechte Pillen berichtet über die Schattenseiten dieser globalisierten Forschung.

Wenn zum Beispiel in Südafrika Psychopharmaka unter fragwürdigen Bedingungen getestet werden, "wirft das nicht nur ethische Probleme auf", 
erklärt Dr. Christian Wagner-Ahlfs von der Redaktion "Gute Pillen – Schlechte Pillen" in Bielefeld
. "Obwohl im weltweiten Arzneimittelmarkt die besten Geschäfte in Europa und den USA gemacht werden, verlagern sich die klinischen Tests für die Medikamente zunehmen in die armen Regionen der Welt. Eine globale Testindustrie nimmt Indien und China ins Visier, dort verzeichnet man ein Wachstum von jährlich um die 20 Prozent. Aber auch in Afrika und vor allem Osteuropa finden immer mehr Medikamentenstudien statt."

Prägend für diese Entwicklung seien völlig unzureichende Gesundheitssysteme in diesen Regionen, wo Kranke ohne ausreichend eigenes Geld kaum eine ärztliche Behandlung bekommen, so Wagner-Ahlfs. An einer Studie teilzunehmen sei oft ihre einzige Chance auf medizinische Betreuung.

ETHISCHE STANDARDS VERLETZT

Immer wieder offenbaren Berichte aus diesen Ländern, dass wesentliche ethische Regeln nur unzureichend beachtet werden. Der Weltärztebund macht in der "Deklaration von Helsinki" klare Vorgaben, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer an klinischen Studien vor Missbrauch und vermeidbaren Schäden zu schützen sind: Die Teilnahme muss freiwillig sein, und jeder einzelne Proband muss ausführlich darüber informiert werden, dass er an einer Studie teilnimmt, was ihr Ziel ist und welche Risiken er eingeht. Ob diese Regeln eingehalten werden, sollen Ethikkommissionen prüfen.

Wie unzureichend dieser Schutz in vielen Ländern funktioniert, tritt in manchen Fällen besonders deutlich zu Tage, berichtet "Gute Pillen - Schlechte Pillen" (1). In Indien seien bei einer Studie mit einem HPV-Impfstoff bei 16.000 jungen Mädchen einige der Teilnehmerinnen gestorben. Durch nachträgliche Kontrollen habe sich herausgestellt, dass bei über der Hälfte der Mädchen keine Einverständniserklärung vorlag (2). Die Eltern seien gar nicht über die Studie informiert worden, häufig hätten einfach die Lehrer der Mädchen unterschrieben.

"Derart offensichtliche Verstöße gegen ethische Standards sind vermutlich nur die Spitze des Eisbergs", kritisiert Wagner-Ahlfs: "Viele Studien in ärmeren Ländern sind zwar auf dem Papier korrekt, die praktische Umsetzung läuft aber unter zweifelhaften Bedingungen ab."

Die Schweizer Menschenrechtsorganisation "Erklärung von Bern" hatte in der Ukraine und anderen Ländern vor Ort recherchiert und dabei festgestellt, dass die Kontrollmechanismen miserabel sind (3). So bestehe der Verdacht, dass zwischen 2011 und 2012 in der Ukraine Medikamententests mit Waisenkindern durchgeführt wurden. Ukrainische Parlamentarier beklagten, dass die notwendigen Einverständniserklärungen nicht immer eingeholt worden seien. Auch habe man die Versuche in nicht berechtigten Einrichtungen durchgeführt. Die Regierung bestreitet die Vorwürfe, ein Untersuchungsbericht der Vorgänge werde trotz anders lautender Ankündigungen unter Verschluss gehalten.

"Eindeutige Verstöße gegen ethische Regeln sind kaum nachzuweisen, aber die Hinweise geben Anlass zur Sorge", warnt Christian Wagner-Ahlfs. Er verweist dabei auf Untersuchungen der niederländischen Organisation WEMOS, die bereits seit einigen Jahren zu zweifelhaften Arzneimittelstudien recherchiert. Ein jüngster Bericht zur Situation in Südafrika (4) beschreibt unter anderem Tests mit Psychopharmaka: Ein Medikament zur Behandlung von Schizophrenie sei dabei mit Placebos verglichen worden – ein Vorgehen, das eigentlich nur in Ausnahmefällen sinnvoll und in Fachkreisen umstritten sei.

Das Unternehmen erklärte, seine Studien seien korrekt geplant. Auch die Ethikkommissionen gaben grünes Licht. Fraglich ist laut "Gute Pillen - Schlechte Pillen" jedoch, wie sicher die Teilnehmer unter den südafrikanischen Bedingungen sind. Südafrikanische Untersuchungen hätten gezeigt, dass Ethikkommissionen dort oft nur eine Alibifunktion haben.

INDISCHE REGIERUNG REAGIERT

Indien hat auf die immer deutlicher hervortretende Problematik reagiert: Seit Anfang 2013 gilt ein Moratorium für klinische Studien. Solange man die Kontrolle nicht im Griff hat, werden neue Studien nur in Ausnahmefällen und dann direkt von Gesundheitsministerium genehmigt.

"Unsere Arzneimittelbehörden müssen genauer hinschauen, unter welchen Bedingungen die Studien im Ausland, speziell in ärmeren Ländern, durchgeführt wurden", fordert Christian Wagner-Ahlfs. Wesentlich sei, dabei mit den Kontrollbehörden in den Testländern zusammen zu arbeiten. Deren Kapazitäten und Kompetenzen müssten gestärkt werden. Das zwinge alle Pharmaunternehmen weltweit die ethischen Richtlinien einzuhalten.

Die Europäische Kommission plant zur Zeit eine neue Regelung, die eine umfassendere Überprüfung von klinischen Studien in Entwicklungsländern vorsieht. Ein Aspekt falle dabei immer noch viel zu wenig ins Gewicht, so Wagner-Ahlfs: "Wenn Menschen in ärmeren Ländern ihren Körper für Medikamententests zur Verfügung stellen, müssen sie meist davon ausgehen, dass sie selbst von diesen Arzneimitteln später nicht profitieren: Die wären viel zu teuer."

http://gutepillen-schlechtepillen.de
 

Quellen:
(1)   SOMOS/WEMOS (2008) Briefing paper on ethics in clinical trials #1: Examples of unethical trials. Feb. 2008 (updated) www.wemos.nl/files/Documenten%20Informatief/Bestanden%20voor%20%27Medicijnen%27/examples_of_unethical_trials_feb_2008.pdf
(2)    Parliament of India (2013) Seventy-second report on alleged irregularities in the conduct of studies using human papilloma virus (HPV) vaccine by Path in India. 30. August http://164.100.47.5/newcommittee/reports/EnglishCommittees/Committee%20on%20Health%20and%20Family%20Welfare/72.pdf
(3)   Erklärung von Bern (2013) Menschliche Versuchskaninchen zum Schnäppchenpreis www.evb.ch/p25021603.html
(4)   WEMOS (2013) The Clinical Trials Industry in South Africa: Ethics, Rules and Realities. www.wemos.nl

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