joya malalaiKabul. - In Afghanistan hat am Samstag die Präsidentschaftswahl begonnen. Die Wahl findet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Die rund 13 Millionen Wahlberechtigten stimmen über einen Nachfolger für Präsident Hamid Karzai ab. Unter den acht Kandidaten sind dessen langjähriger Rivale Abdullah Abdullah, der frühere Finanzminister und Weltbank-Mitarbeiter Aschraf Ghani Ahmadzai und der frühere Außenminister Salmai Rassul. Eine Frau ist nicht unter den Kandidaten, dabei gäbe es eine aussichtsreiche Bewerberin - wenn sie nicht im Untergrund leben müsste.

Sie ist die gefährlichste Frau Afghanistans - und die gefährdetste. Malalai Joya hat ein halbes Dutzend Mordanschläge hinter sich. Die Frauenrechtlerin benötigt ständig Leibwächter. Gefährlich ist sie aus einem banalen Grund: Sie erlaubt sich, ihre Stimme gegen die Marionetten-Politiker und Warlords zu erheben, die das Land beherrschen und jetzt um die Gunst der Wähler und die Pfründe konkurrieren.

Gut eine Woche vor dem Wahltag saß mir Malalai noch in Berlin in einem Abgeordneten-Büro gegenüber. Heike Hänsel, MdB der Linkspartei aus Tübingen, hatte sie eingeladen. Sie kamen gerade von einem Gespräch mit BMZ-Staatssekretär Thomas Silberhorn (CSU). Malalai ist noch etwas aufgewühlt. Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. Sie muss ihr Anliegen an den Reporter loswerden.

Sie zieht eine Bilanz der letzten zwölf Jahre in Afghanistan. Das islamische Land ist Nummer 1 in der Welt - was die Korruption betrifft. (corruption perception index) Das wichtigste Produkt, das in Afghanistan hergestellt wird, ist Opium. Die Afghanen bestreiten 90 Prozent der Weltproduktion. Die Taliban hatten den Anbau des Rauschgiftes fast auf Null heruntergefahren. Nach der US-Invasion boomte die Branche sehr schnell wieder. Im Herbst 2007 wurden in Afghanistan rund 8.200 Tonnen Opium geerntet, 3.000 Tonnen mehr als weltweit verbraucht wird. Der Schlafmohnanbau ist um das Zehnfache lukrativer als der Weizenanbau.

Laut einem UNIFEM-Report ist Afghanistan der schlechteste Platz auf der Welt, an dem eine Frau leben kann. "Frauen haben kein menschliches Leben", sagt Malalai bitter. "Die Taliban schlagen Frauen, aber Karzai lädt die Taliban zur Mitwirkung in der Regierung ein." Nach zwölf Jahren ISAF-Einsatz gebe es nicht einmal in der Hauptstadt Kabul so etwas wie Sicherheit für die Bevölkerung. "Die Taliban sind Feinde des afghanischen Volkes, nicht der Invasoren." Einige ihrer Führer leben gutsituiert und unbehelligt mitten in Kabul.

Sie ist jetzt wütend. Manchmal muss ich Malalai bremsen, damit ich ihrem Redefluss folgen kann. "Früher hatten wir nur einen Feind", sagt sie. Jetzt haben wir neben den Taliban auch noch die Warlords und die Besatzungsmächte."

DAS VOLK WILL GERECHTIGKEIT

Sie zieht weiter Bilanz. "Wir haben wundervolle Gesetze - aber nur auf dem Papier. Kriminelle wie Raschid Dostum dürfen für Parlament und bei Präsidentschaftswahlen kandidieren. "Alles, was das afghanische Volk will, ist Gerechtigkeit", sagt Malalai. "Die USA wollen Afghanistan als regionale Basis für ihre geostrategischen Interessen gegenüber China und Indien." Und da gibt es noch die Rohstoffe des Landes. Ihr Wert wird auf drei Billionen US-Dollar geschätzt.

Sie berichtet von ihrem Gespräch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Entwicklungsministerium, Thomas Silberhorn (CSU), der frisch im Amt ist. Sie ist nicht sicher, ob er ihr Anliegen überhaupt verstanden hat. Sie hat ihn gebeten, die Bundesregierung solle die Politik der USA nicht weiter unterstützen. Sie weiß nicht, dass Entwicklungsminister Gerd Müller wenige Tage zuvor den Abschluss eines "Sicherheitsabkommens" mit den USA zur Bedingung für weitere deutsche Entwicklungshilfe gemacht hat. Damit würde die US-Militärpräsenz in reduzierter Form fortgesetzt.

"Stop empowering warlords!", hat sie Silberhorn gesagt. Und dass die meisten der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen (NGOs) im Land korrupt sind, die Gewalt und die schweren Menschenrechtsverletzungen schlichtweg verschweigen. Sie müssten ebenso "aus Afghanistan abgezogen werden wie die Besatzungstruppen", betont sie. "Die Besatzungsmächte unterstützen den Fundamentalismus. Aber die deutsche Regierung sagt nichts dazu."

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"Was müsste also geschehen?", frage ich sie. Die Bundesregierung müsste Druck auf den Iran und auf Pakistan ausüben, damit sich die Nachbarstaaten nicht weiter einmischen. Die Kriegsherren und Stammesführer, die das eigene Volk abgeschlachtet haben, müssten vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht werden. Die demokratischen Kräfte stärken, in Bildung investieren. Den Opiumanbau stoppen. Zwei Millionen Afghanen seien dem Rauschmittel bereits verfallen, berichtet sie.

Auf Anfrage von Entwicklungspolitik Online, welche Schlüsse Staatssekretär Silberhorn aus dem Gespräch mit Malalai Joya ziehe, erklärte das BMZ knapp eine Woche später (10. April) per eMail:

"Im Gespräch vertrat Frau Joya ihre bekannte Meinung, die übrigens von der Mehrheit der afghanischen Zivilgesellschaft polarisierend aufgenommen und deshalb auch sehr häufig kritisiert wird. In dem 30-minütigen Treffen informierte Herr Silberhorn Frau Joya über die generellen Standpunkte des BMZ, wie sie sich auch in der aktuellen Länderstrategie widerspiegeln. Hinsichtlich der anstehenden Präsidentschaftswahl wurde von deutscher Seite betont, dass es „afghanische Wahlen“ seien und man den Wahlprozess als weiteren Schritt einer voranschreitenden, inklusiven Demokratieentwicklung bewerten könne. Silberhorn begrüßte es, dass die Planung und die Durchführung der Wahl einschließlich der Absicherung des gesamten Wahlprozesses ausschließlich in afghanischer Verantwortung erfolge. Wo nötig, erhielten die staatlichen Institutionen Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich Deutschland mit 11 Millionen Euro an den Wahlen beteilige und damit fünftgrößter Geber ist."

Wie Malalai schon sagte: ""Wir haben wundervolle Gesetze - aber nur auf dem Papier."

Aufgrund der ständigen Morddrohungen lebt Malalai im Untergrund, wenn sie in Afghanistan ist. Auf der Großen Ratsversammlung, im Jahr 2003, hat sie die versammelten Würdenträger des Landes mit der Forderung geschockt, alle Kriegsverbrecher unter ihnen müssten ins Gefängnis geworfen werden. Für diesen Mut ist sie im Ausland vielfach geehrt und ausgezeichnet worden. 2005 wurde sie ins afghanische Parlament gewählt. Sie brüskierte ihre Kollegen mit Korruptionsvorwürfen und konfrontierte Stammesfürsten wie Abdul Rab Rasul Sayyaf mit ihrer Vergangenheit als Kriegsverbrecher. Im Mai 2007 wurde sie per Mehrheitsbeschluss aus dem Parlament ausgeschlossen, es folgten mehrere Mordanschläge, bei denen einige ihrer Leibwächter verletzt wurden. "Meine Stimme können sie nicht töten", ist alles, was sie dazu sagt. Und: "Meine Sünde ist: ich sage die Wahrheit!"

DER PROPAGANDA-KRIEG TOBT

Szenenwechsel. Am Wahltag werden der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit wohlklingenden Aussagen zitiert. Trotz verstärkter Terroranschläge der Taliban, der Ermordung in- und ausländischer Journalisten wie zuletzt der deutschen Fotoreporterin Anja Niedringhaus, ziehen die Politiker eine positive Bilanz. "Die Trauer um die gefallenen deutschen Soldaten wird uns immer begleiten, aber der Einsatz hat für die Menschen Fortschritte gebracht", sagt von der Leyen der Bild-Zeitung. In Afghanistan könnten acht Millionen Kinder zur Schule gehen, darunter drei Millionen Mädchen. Die Menschen nähmen auch unter Gefahren an der Wahl teil. "Das hätte es unter dem Regime der Taliban nie gegeben."

Für Müller ist schon die Wahl ein Fortschritt. "Es ist an sich ein großer Erfolg, dass diese Wahlen stattfinden: mit Wahlkundgebungen, Diskussionen über die Kandidaten", erklärte Müller der "Welt". Eigens für die Wahl bietet die afghanische Regierung mehr als 350.000 Sicherheitskräfte auf, an jeder Ecke sind "Checkpoints" aufgebaut, die Wähler werden auf Sprengstoff und Waffen durchsucht. Neben dem Präsidenten werden auch die Provinzräte für die 34 afghanischen Provinzen gewählt. Die Ergebnisse der Wahl liegen erst Ende April vor. Erhält kein Kandidat die absolute Mehrheit, wird es am 28. Mai eine Stichwahl geben.

"Solange die Warlords an der Macht sind, wird es keinen Frieden in Afghanistan geben", sagt Malalai. "Afghanistan ist ein besetztes Land. Die einzige Hoffnung ist eine demokratische Bewegung."

Die meisten der rund 800 TV-Sender, privaten Radiostationen und Zeitungen im Land sind nicht die Verbündeten Malalais. "Es herrscht nicht nur ein Krieg gegen den Terror, sondern auch ein Propagandakrieg. Tapfere Journalisten werden geschlagen, verwundet oder sogar getötet. Es gibt viel Zensur."

Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook seien die einzigen Mittel, die die Zivilgesellschaft habe, betont Malalai Joya. Über sie verabreden sich die Menschen, die sich für eine wirkliche Demokratisierung einsetzen. Termine, Meetings, Statements werden über die sozialen Netze verbreitet, wobei sich die Aktivisten mit falschen Namen und Fotos zu schützen versuchen. Die einzige Hoffnung der einfachen Leute in Afghanistan sei eine echte Demokratisierung, sagt Malalai. Es gebe viele "unbekannte Helden" in Afghanistan. Aktivisten wie sie, die sich für Gerechtigkeit und wirkliche Freiheit engagieren.

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