rog Berlin. - Reporter ohne Grenzen (ROG) blickt angesichts der bevorstehenden Präsidentschafts-Stichwahl mit Sorge auf die Zukunft von Pressefreiheit und Demokratie in Brasilien. Klarer Favorit für die Wahl am Sonntag, 28. Oktober, ist der Rechtspopulist Jair Bolsonaro. Dessen Wahlkampf sei in den vergangenen Wochen von Hassreden, Desinformation und Gewalt gegen Journalisten geprägt gewesen, erklärte ROG.

"Die Attacken Bolsonaros und seiner Anhänger sind eines Präsidentschaftskandidaten unwürdig. Wenn Bolsonaro am Sonntag zum Präsidenten gewählt wird, stehen für die Pressefreiheit und damit für die Demokratie in Brasilien düstere Zeiten an", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Bolsonaros Hass- und Desinformationskampagnen spalten die ohnehin schon polarisierte Gesellschaft im Land weiter. Wir stehen hinter den kritischen Journalisten in Brasilien und fordern, dass sie weiterhin frei und unabhängig berichten können."

Frei über das politische Geschehen in Brasilien zu berichten, wird Journalisten seit Beginn des Wahlkampfs auf vielerlei Weise erschwert. Durch permanente Hassreden offline wie online herrsche ein Klima der Aggression und Einschüchterung, so ROG.

Die Tageszeitung Folha de São Paulo, eine der größten Zeitungen des Landes, bezeichnete Bolsonaro am 22. Oktober in einem Video als "größte Fake-News-Quelle Brasiliens" und drohte dem Blatt: "Wenn ich gewählt werde, wird die Regierung keinerlei Anzeigen mehr bei euch schalten."

Die Folha de São Paulo hatte am 18. Oktober über eine WhatsApp-Desinformationskampagne von Anhängern Bolsonaros berichtet. Ihm nahestehende Geschäftsleute hatten demnach den Versand von Millionen automatisierten Nachrichten finanziert, die Bolsonaros Gegenkandidaten Fernando Haddad von der Arbeiterpartei verunglimpften. Da zwei Drittel der Brasilianer ihre Nachrichten über Soziale Netzwerke beziehen und WhatsApp für 61 Prozent von Bolsonaros Wählern die bevorzugte Informationsquelle ist, sei ein immenser Einfluss dieser Kampagne zu vermuten, berichtete ROG. Das Oberste Wahlgericht des Landes habe Ermittlungen aufgenommen, da diese Art der Wahlkampffinanzierung in Brasilien illegal sei.

Die Autorin des Artikels, Patrícia Campos Mello, wurde von Bolsonaro-Anhängern über Soziale Medien angegriffen und bedroht. Ihr WhatsApp-Account wurde gehackt, sie und ihre Familie erhielten anonyme Drohanrufe. Ein Manager eines zu Folha gehörenden Meinungsforschungsinstituts erhielt ebenfalls Drohungen, sowohl über Messenger als auch in seiner Wohnung. Zudem wurde eine WhatsApp-Nummer der Zeitung mit 220.000 Nachrichten geflutet, sodass Nachrichten von Lesern nicht mehr gelesen werden konnten. Am 23. Oktober ersuchte die Zeitung deshalb das Oberste Wahlgericht, die Bundespolizei anzuweisen, wegen eines möglichen "orchestrierten Versuchs, die Meinungsfreiheit zu behindern" zu ermitteln.

Die renommierte Journalistin Miriam Leitão wurde laut ROG zur Zielscheibe von hunderten beleidigenden, verleumderischen und gewaltverherrlichenden Posts, nachdem sie am 5. Oktober in einem Artikel vor der Gefahr von Bolsonaros Kandidatur für die Demokratie in Brasilien gewarnt hatte. Weitere Journalistinnen und Journalisten wurden auf ähnliche Weise attackiert.

Teilweise kam es auch zu körperlicher Gewalt gegenüber Journalisten, so ROG: Eine Reporterin der Newsseite NE10 wurde von Bolsonaro-Anhängern tätlich angegriffen und mit Vergewaltigung bedroht. "Wenn der Kommandant erst Präsident ist, stirbt die gesamte Presse", sagten sie ihr, als sie ihren Presseausweis sahen. Bereits im März wurde ein Bus mit 28 Journalisten von Unbekannten beschossen, verletzt wurde niemand.

Die Brasilianische Vereinigung für Investigativen Journalismus (ABRAJI) zählte bis Donnerstag, 25. Oktober, 141 Fälle von tätlichen Angriffen und Online-Attacken auf Journalisten, die im Umfeld der Wahlen stattfanden und deren Urheber aus unterschiedlichen Lagern kamen. Auch Anhänger der Arbeiterpartei sollen Reporter belästigt und geschlagen haben.

Gewalt gegen Journalisten bis hin zu Morden ist kein neues Phänomen in Brasilien. Allein in diesem Jahr wurden bereits drei Radio-Journalisten ermordet, nachdem sie zuvor bedroht worden waren. Ein weiterer überlebte einen Mordversuch knapp. Seit 2010 wurden jedes Jahr in Brasilien mehrere Journalisten wegen oder in Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Brasilien auf Platz 102 von 180 Staaten.

Quelle: www.reporter-ohne-grenzen.de 


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