csr indiaNeu Delhi. - Trotz Verbotes ist Geschlechterselelektion in Indien weit verbreitet und nimmt sogar noch zu. Weibliche Föten werden abgetrieben, was langfristig Frauenmangel beziehungsweise Männerüberschuss zur Folge hat. Diese Situation ist in einigen indischen Bundesstaaten bereits Realität: In den nordindischen Staaten Punjab und Haryana werden bereitsheiratsfähige Frauen gesucht, und Familien holen Frauen aus anderen Bundesstaaten, um ihre Söhne zu verheiraten. Erwartet werden bei zunehmendem Frauenmangel mehr Gewalt, ein Anstieg des Menschenhandels und der Prostitution. Teilweise sind diese Trends heute schon spürbar. Es besteht die Gefahr das Frauen eine Handelsware werden, die sich vor allem reiche Männer leisten können.

Das ist sehr problematisch in einem Land, in dem sowohl für Männer als für Frauen die Hochzeit das wichtigste Ereignis ihres Lebens ist und ihnen überhaupt erst sozialen Status als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft ermöglicht. Einen guten Überblick über das Ausmaß der weltweit verbreiteten Praxis der Geschlechtsselektion und den (möglichen) Folgen bietet das Buch "Unnatural Selection: Choosing Boys Over Girls, and the Consequences of a World Full of Men" von Mara Hvistendahl.

Vielen Menschen in Indien ist die Problematik natürlich bewusst, und es gibt zahlreiche Initiativen und Kampagnen der Zivilgesellschaft, von Regierung und Wissenschaft um das Problem zu verstehen und Lösungen zu finden. Und um zumindest künftige Generationen davon abzuhalten, weibliche Föten weiterhin abzutreiben. Als Risikogruppe gelten junge Familien, die bereits ein oder zwei Mädchen haben. Bei ihnen ist es am wahrscheinlichsten, dass sie alles dafür tun werden, damit das nächste Kind ein Sohn wird.

"Die Regierung und die Zivilgesellschaft müssen über politische Maßnahmen wie Gesetzesverabschiedungen hinaus gehen und müssen solche Verhaltensweisen, kulturelle Eigenschaften, Mediendarstellungen und Vorstellungen identifizieren, die die Diskriminierung von Töchtern propagieren und dazu beitragen, dass illegale Geschlechtsbestimmungstests gemacht werden. Die Veränderung in den Köpfen ist von entscheidender Bedeutung, wenn wir Mädchen schützen und stärken wollen", so UN WOMEN.

Sowohl das ICPD Programme of Action der Bevölkerungskonferenz 1994 in Kairo als auch die Peking Declaration der Frauen Weltkonferenz 1995 identifizieren Geschlechterselektion als Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung von Frauen. Im ICPD Programm wird gefordert:

eliminate all forms of discrimination against the girl child and the root causes of son preference, which results in harmful and unethical practices regarding female infanticide and prenatal sex selection.

Das Papier "Preventing Gender-Biased Sex Selection: An Interagency Statement OHCHR, UNFPA, UNICEF, UN Women and WHO" von 2011 fasst die Erfahrungen verschiedender Staaten mit Geschlechterselektion zusammen und gibt Empfehlungen dazu. Die fünf wichtigsten sind:

  1. Es müssten mehr Daten gesammelt werden um das Problem und die Folgen genauer zu erfassen,
  2. Es sollten Richtlinien für den Gebrauch von Ultraschalltechnologie entwickelt werden,
  3. Mädchen müssen vor allem in Bezug auf Gesundheit und Bildung unterstützt werden,
  4. Gesetze für Gleichberechtigung zum Beispiel im Erbrecht und für soziale Sicherung müssen verabschiedet werden und 
  5. Sensibilisierungskampagnen durchgeführt werden um die Wertschätzung von Mädchen zu verbessern.

Die indische Frauenrechtsorganisation Centre for Social Research zum Beispielstartete die Kampagne "Meri Shakti Meri Beti" (Meine Stärke, meine Tochter) und führt Aufklärungsveranstaltungen in Schulen und Universitäten durch. Zusätzlich gibt es Kundgebungen und Nachbarschaftsinitiativen, die Risikofamilien in den Bezirken Neu Delhis besuchen, in denen das Geschlechterverhältnis bereits verschoben ist. An Zügen und öffentlichen Plätzen, aber auch an Krankenhäusern hängen Plakate, die dazu aufrufen Mädchen, zu gebären und großzuziehen und die erklären, dass Töchter keine Last sein müssen. Das Thema wurde sogar in der in Indien sehr bekannten Talkshow "Satyamev Jayate" mit Bollywood Filmstar Aamir Khan aufgegriffen. Das soll dazu beigetragen haben, dass mehr Druck auf die Politik aufgebaut wurde, endlich zu handeln und die vorhandenen Gesetze auch umzusetzen.

Bei allen Initiativen ist es wichtig das Recht der Frauen auf Abtreibung nicht zu gefährden und Abtreibung nicht zu kriminalisieren. Die Strategie muss sein, den Status von Frauen in allen Altersgruppen zu verbessern.

Südkorea ist ein gutes Beispiel für ein Land, das echte Fortschritte bei der Verbesserung eines sehr unausgewogenen Geschlechterverhältnis gemacht hat. Das Guttmacher Institute für reproduktive Gesundheit analysierte die Situation in Südkorea. Das Geschlechterverhältnis geriet immer weiter ins Ungleichgewicht und erreichte Mitte der 90er Jahre seinen Höhepunkt. Auf 100 Geburten von Mädchen kamen 116 Jungen. Vor allem bei dritten und vierten Kindern einer Familiewar das Missverhältnis extrem. Bei Drittgeburten kamen 1998 auf 100 Mädchen 320 Jungen, unter den Viertgeborenen 351. Aber das Geschlechterverhältnis stabilisierte sich bis 2007 wieder mit 107 Geburten von Jungen auf 100 Mädchen. Das Verhältnis ist, nach Angaben des Guttmacher Instituts immer noch außerhalb des normalen biologischen Bereichs, und noch größere Ungleichgewichte bestehen bei den Zweit-und Drittgeburten. Dennoch ist Koreas Ansatz für die Lösung des Geschlechtsverhältnis Problems sehr lehrreich, weil die Regierung eine Vielzahl von wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfte.

Ein präsidialer Erlass verbat Ärzten 1991, schwangeren Frauen das Geschlecht ihrer Föten mitzuteilen. Ärzte, die dagegen verstießen, mussten mit Berufsverbot rechnen, im schlimmsten Fall sogar mit Gefängnis. Das Gesetz wurde im Laufe der Zeit immer strenger angewendet und Schwangere wurden zu Ärzten geschickt und sie zu testen. Das ist laut Guttmacher Instituts nicht der einzige Auslöser für die Trendwende im Geschlechterverhältnis. Der Erfolg wird nach Angaben der Forscher insbesondere der Industrialisierung, Urbanisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung angerechnnet, die zusammen dazu beigetragen, dass sich soziale Normen verändert haben. Hinzu kamen Maßnahmen der Regierung um den Status der Frauen zu verbessern, wie neue Gesetze und Initiativen zur Gleichstellung, sowie Sensibilisierungskampagnen über Medien und Arbeitsmarktprogramme für Frauen. Die Rebalancierung des Geschlechterverhätnis in Südkorea wird als so erfolgreich eingeschätzt, dass es seit 2008 wieder erlaubt ist den Eltern das Geschlecht des Kindes zu sagen. Diese Entscheidung zeigt, dass mittlerweile sowohl Mädchen als auch Jungen gewollt sind.

Studie: Preventing Gender-Biased Sex Selection: An Interagency Statement OHCHR, UNFPA, UNICEF, UN Women and WHO, 2011

Quellen: csrindia.org  | unwomen.org   | guttmacher.org

Lea Gölnitz, Mitarbeiterin bei epo.de, schreibt über Indien und Gender. Zuvor erschien ein Bericht zur Situation der Dalit Frauen in Indien und der erste Teil, Bevorzugte Söhne und der Status der Frauen zu Geschlechterselektion in Indien.


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