ViktoriaseeBerlin. - Will Afrika seinen wirtschaftlichen Aufstieg fortsetzen, benötigt der Kontinent mehr Energie. Die Internationale Energieagentur bescheinigt den afrikanischen Staaten ein scheinbar fast unbegrenztes Potenzial an Wasserkraft. Umweltschützer laufen hingegen Sturm gegen große Staudamm-Projekte. Wasserkraftwerke lösen manche Probleme, verursachen aber auch neue - und sorgen oft für heftige Konflikte in Afrika.

Als der Kariba-Staudamm in den 1950er Jahren erbaut wurde, herrschten rechts und links vom Sambesi noch die britischen Kolonialherren. Sie nahmen wenig Rücksicht auf die Interessen der örtlichen Bevölkerung, und so wurden etwa 57.000 Menschen umgesiedelt, um Platz für den Stausee zu schaffen. Die Kolonien und vor allem deren Wirtschaft am Sambesi sollten mit Elektrizität versorgt werden. Inzwischen ist sehr viel Wasser durch die Turbinen geströmt, aus den Kolonien sind die unabhängigen Staaten Sambia und Simbabwe geworden – nur die zugesagte Elektrizität gibt es für viele jener Familie noch nicht, die damals für das Wasserkraftwerk vertrieben wurden.

Mit 96 Jahren gehört Samson Nyowani zu denen, die die Vertreibung miterlebt haben. Er erinnerte sich kürzlich im Gespräch mit einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur IPS: "Die britische Kolonialregierung hatte versprochen, uns mit Elektrizität zu versorgen." Zum heutigen Leben in seinem Dorf in Sambia sagt er: "Wir haben keinen Strom in Sitikwi, auch Schule und Klinik verfügen nicht über Elektrizität. Das ist eine traurige Situation nach all dem, was wir bei der Massenumsiedlung durchgemacht haben." Wer sich fragt, warum viele Menschen in Afrika den Versprechungen der Staudammbauer und Behörden nicht vertrauen, der sollte in Dörfer wie Sitikwi fahren.

Es ist eine brisante Thematik. Denn Afrika ist ein Kontinent mit scheinbar fast unbegrenztem Potenzial an Wasserkraft. Diese Auffassung gewinnt man aus der Lektüre einer Studie der "Internationalen Energieagentur" (IEA), die 2012 unter dem Titel "Technology Roadmap  Hydropower" veröffentlicht wurde. Nur 8 Prozent des technischen Potenzials für die Stromerzeugung aus Wasserkraft werden in Afrika genutzt, in Lateinamerika sind es hingegen 26 % und in Europa sogar 53 %. Immerhin sorgen Wasserkraftwerke in Afrika für etwa ein Drittel der Elektrizitätserzeugung.

Auf dem Kontinent besteht weiterhin ein sehr großer Nachholbedarf bei der Elektrifizierung. Allenfalls ein Viertel der Menschen in Afrika südlich der Sahara lebt in Haushalten mit Stromanschluss. Deshalb wird ein Boom beim Staudammbau erwartet, und glaubt man der IEA, bringt dies dem Kontinent große Vorteile. Originalton der Studie: "Wasserkraft ist eine kostenmäßig wettbewerbsfähige erneuerbare Energiequelle." Wasserkraft sei klimafreundlich, und viele Staudämme würden gleichzeitig dem Schutz vor Fluten, der Bewässerungslandwirtschaft und der Wasserversorgung dienen.

KOMPLEXE INTERESSENGEGENSÄTZE UND KONFLIKTE

Internationale Umweltschutzorganisationen wie "International Rivers", afrikanische Naturschutzinitiativen und Selbsthilfegruppen von Vertriebenen durch Staudammprojekte haben eine gänzlich andere Wahrnehmung. Staudammprojekte stellen großflächige Eingriffe in komplexe Ökosysteme dar. Nicht nur werden Uferzonen für die Errichtung des Stausees überflutet, sondern auch unterhalb des Staudamms werden die hydrologischen Verhältnisse gravierend verändert.

Dies ist zum Beispiel beim im Bau befindlich Wasserkraftwerk Gibe III am Omo-Fluss in Äthiopien der Fall. Unterhalb der Staumauer entfallen in Zukunft die bisher regelmäßigen jahreszeitlichen Fluten, was durch die geplanten kurzen Flutwellen durch das Ablassen von Wasser aus dem Staudamm nach Auffassung von Umweltschützern nur unzureichend ausgeglichen wird. Gravierend sind die Auswirkungen der Omo-Aufstauung auch auf den Turkana-See in Kenia, in den der Fluss mündet. Dieser See, der bisher mehr als 85 % seines Wassers aus dem Omo erhält, hat in den letzten Jahren ohnehin stark an Volumen verloren. Durch die Verdunstung von Wasser im Gibe-Stausee sowie der Ausbau der äthiopischen Bewässerungslandwirtschaft wird die Wassermenge weiter sinken, die im See ankommt.

Kritik gibt es auch daran, dass die Menschen am Unterlauf des Flusses nicht angemessen an den Planungen des Vorhabens beteiligt sind, ihre Rechte missachtet werden und sie nach Fertigstellung des Staudamms gravierende Nachteile befürchten müssen. Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank und andere internationale Finanziers haben sich deshalb von diesem Projekt zurückgezogen (nur China nicht). Allerdings finanziert die Weltbank die Überlandleitung nach Kenia, mit der Strom aus Gibe III in das Nachbarland exportiert werden soll. Die kenianische Regierung hofft auf billigen Strom und nimmt das Schrumpfen des Turkana-Sees durch die Stromerzeugung in Kauf.

EIN FAST GELUNGENES STAUDAMMPROJEKT

Wie komplex die Interessenlagen bei Staudammbauten sein können, zeigt sich auch bei dem im Oktober letzten Jahres eröffneten Bujagali-Wasserkraftwerk in Uganda. Es befindet sich am Ausfluss des Viktoriasees unterhalb eines bereits seit 1954 bestehenden Wasserkraftwerkes. Der Stausee ist klein, sodass nur relativ wenige Menschen umgesiedelt werden mussten, die Umwelteingriffe sind relativ gering und die Verdunstung fällt kaum ins Gewicht. Mit der erzeugten Energie wird die Elektrizitätserzeugung Ugandas verdoppelt, dazu noch klimafreundlich.

Es gibt ein Aber. Der Wasserspiegel des Viktoriasees sinkt seit Jahren in beunruhigender Weise, und die Ursachen reichen von der Bewässerungslandwirtschaft an den Zuflüssen und Seeufern bis zum Klimawandel. Zu den ökologischen und ökonomischen Folgen gehören zum Beispiel der Verlust an flachen Uferzonen als "Kindergärten" der Fische und die zunehmenden Behinderungen des Schiffsverkehrs auf dem See, weil die Anlegestege nicht mehr erreicht werden können. Wenn Uganda mehr Wasser durch die Turbinen seiner Wasserkraftwerke strömen lassen sollte, sinkt der Wasserspiegel weiter. Wenn hingegen wenig Wasser aus dem See in die Turbinen geleitet wird, vermindert sich die dringend benötigte Stromerzeugung.

Neben den bereits bestehenden Konflikten zwischen den drei Anrainerstaaten Kenia, Uganda und Tansania sind weitere Spannungen zu erwarten, wenn der Wasserspiegel des Sees weiter sinkt und Uganda vorgeworfen wird, zu viel Wasser zur Energieerzeugung abließen zu lassen. Solche Konflikte könnten sich verschärfen, wenn sich der Klimawandel verschlimmert und damit auch die Verdunstung des Wassers des Viktoriasees weiter zunimmt. Insgesamt ist bisher wenig untersucht, wie der Klimawandel und besonders die von ihm verursachten Extremwetterereignisse sich auf afrikanische Wasserkraftwerke und ihr Umfeld auswirken.

STAUDÄMME KÖNNEN DIE REGIONALE ZUSAMMENARBEIT FÖRDERN

Positiv ist festzustellen, dass es in Afrika eine ganze Reihe von Beispielen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit bei der Nutzung von Staudämmen gibt. Ein Beispiel ist das "Lesotho Highland Water Project". Zwei (und in Zukunft mehrere weitere) Staudämme in Lesotho fangen das Wasser von Bergflüssen auf, das dann in gewaltigen Rohrleitungen in die Industrieregion rund um Johannesburg geleitet wird, wo es die prekäre Wasserknappheit vermindert. Südafrika bezahlt für das Wasser, und dies kann die wirtschaftliche Situation des armen Binnenstaates Lesotho verbessern.

Es gibt berechtigte Kritik in ökologischen und sozialen Folgen dieses Projektes, aber unbestreitbar funktioniert hier die zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Dies gilt auch für den erwähnten Kariba-Staudamm am Sambesi, den Sambia und Simbabwe gemeinsam unterhalten. Weiter stromabwärts betreibt Mosambik den Cabora-Bassa-Staudamm, der auch die Elektrizitätsversorgung in verschiedenen Nachbarstaaten und vor allem in Südafrika verbessert.

Das "energiehungrige" Südafrika beteiligt sich auch dem gewaltigen Grand-Inga-Staudammprojekt in der Demokratischen Republik Kongo und will von dort große Strommengen beziehen. Auch anderswo auf dem Kontinent wird der Elektrizitätsverkauf zu einem neuen lukrativen Markt. Vor allem Äthiopien will einen beträchtlichen Teil seiner aus Wasserkraft gewonnenen Elektrizität an Nachbarstaaten verkaufen. Dafür wurde bereits eine Hochspannungsleitung nach Djibouti fertiggestellt, und Leitungen in den Sudan und nach Kenia sind im Bau bzw. in der Planung. Angesichts mancher Schwierigkeiten bei der regionalen Zusammenarbeit in Afrika ist die Kooperation bei der Nutzung von Energie aus Wasserkraft durchaus als bedeutender Erfolg zu bewerten.

NICHT NUR DAS WASSER FLIESST, SONDERN AUCH DIE BESTECHUNGSGELDER

Ein gravierendes Problem bleibt das Ausmaß der Korruption beim Bau großer Staudämme. Zur Verurteilung von bestechenden Unternehmen und bestochenen höheren Angestellten staatlicher Stellen und Elektrizitätsgesellschaften kommt es nur selten. Eine Ausnahme war vor einigen Jahren die Bestrafung eines leitenden Angestellten des "Lesotho High Land Water Project" und von Unternehmen (darunter 2003 das deutsche Ingenieursunternehmen "Lahmeyer International"), nachdem Millionensummen als Bestechungsgelder geflossen waren. Aber auch in diesem Fall wurden viele an den Bestechungen beteiligte Firmen und Konsortien noch nicht juristisch belangt.

Es bestehen große Befürchtungen, dass bei dem gewaltigen Grand-Inga-Staudammprojekt am Kongofluss in der Demokratischen Republik Kongo ebenso gewaltige Schmiergelder fließen werden. Hier treffen ein notorisch korrupter Staatsapparat und ein durch vielfältige Formen der Bestechung bekannter Wirtschaftszweig aufeinander. Und dass die erzeugte Elektrizität tatsächlich einmal große Teile der Bevölkerung Afrikas mit Strom versorgt, muss bezweifelt werden. Nicht nur fehlen dafür die erforderlichen Überlandleitungen und lokalen Versorgungsnetze, sondern es ist für die Betreiber auch viel einfacher und lukrativer, einige Großkunden zum Beispiel aus der stromintensiven Aluminiumerzeugung zu gewinnen. So lassen sich die Baukosten von etwa 80 Milliarden Dollar rascher amortisieren, und natürlich sind die Möglichkeiten der Bereicherung durch Bestechungsgelder weit größer. Grand Inga könnte das weitaus größte Wasserkraftwerk der Welt werden, aber ob der "dunkle Kontinent" Afrika in Zukunft abends mit dem dort erzeugten Strom erstrahlen wird, muss bezweifelt werden.

KEIN "ENTWEDER – ODER": DIE SUCHE NACH NACHHALTIGEN STAUDAMMLÖSUNGEN

Sind kleine Wasserkraftanlagen die Lösung für die Energie- und Wasserprobleme Afrikas? Vieles deutet darauf hin, dass die Annahme nicht stimmt, dass kleine Staudämme lediglich zu kleinen Problemen führen. Für einzelne der kleinen Dämme mag dies gelten, aber die zahllosen Unterbrechungen des natürlichen Flusses von Bächen und Flüssen haben in der Summe durchaus negative ökologische Auswirkungen.

Leider besteht zu kleinen Staudämmen und ihren Wirkungen in Afrika noch ein großer Forschungsbedarf. Nachdenklich macht, dass das UN-Umweltprogramm UNEP vor einiger Zeit kleine Dämme im Norden von Togo untersucht hat und zum Ergebnis kam, dass sich vielen von ihnen in einem beklagenswerten Zustand befanden, "nicht länger adäquat sind und die Gesundheit und Entwicklung der lokalen Bevölkerung gefährden". Daraufhin wurde vom UN-Umweltprogramm ein Rehabilitationsprogramm unterstützt.

Angesichts der vielen negativen Auswirkungen des Staudammbaus ist die grundlegende Ablehnung solcher Vorhaben durch viele Umweltschutzorganisationen erklärlich. Aber in vielen Fällen sind andere Formen der Energieerzeugung in Afrika ebenfalls problembehaftet. Dies gilt besonders für Kohlekraftwerke, wie sie u. a. in Südafrika in großer Zahl zur Stromerzeugung dienen. Die Luftbelastung und Klimaschädigung durch diese fossilen Kraftwerke ist beträchtlich. Auch (oft veraltete) Gas- und Ölkraftwerke haben eine ausgesprochen negative Ökobilanz und führen zudem zu hohen Strompreisen. Dies gilt noch mehr für die in Afrika weit verbreiteten kleinen Generatoren, mit denen Fabriken, Krankenhäuser und wohlhabende Villenbesitzer ihre Abhängigkeit von der unzuverlässigen städtischen Stromversorgung vermindern. Nicht zuletzt hinterlässt die Energiegewinnung mit Feuerholz durch viele Millionen afrikanische Haushalte gravierende Umweltschäden.

Eine allgemein akzeptierte Form der verstärkten Nutzung von Energie aus Wasserkraft ist die Erneuerung bestehender Kraftwerke, insbesondere durch den Einbau effizienterer Generatoren. Damit allein lässt sich aber der Elektrizitätsbedarf Afrikas nicht decken. Nächster Schritt müsste es deshalb sein, das Potenzial und die ökologische Bilanz möglicher Wasserkraftwerke in einem Land oder einer Region unvoreingenommen zu prüfen. Die Grundvoraussetzung für eine unabhängige Prüfung müsste es ein, dass solche Gutachten in keinem einzigen Fall durch Unternehmen erfolgen, die ein Interesse daran haben, solche Wasserkraftwerke anschließend selbst zu bauen. Eine Selbstverständlichkeit? Im Falle des Merowe-Staudamms im Sudan hat das schon erwähnte deutsche Unternehmen "Lahmeyer International" nach Recherchen von "International Rivers" zunächst das Umweltgutachten erstellt (das nie veröffentlicht wurde) und danach den Auftrag für die Planungs- und Bauleitung für den Staudammbau erhalten.

Der Bau des Merowe-Staudamms zeigt außerdem, wie wichtig eine stärkere Einbeziehung der lokalen Bevölkerung bei solchen Projekten ist. Das Wasser wurde aufgestaut, bevor alle Bewohner das Tal verlassen hatten, sodass diese fluchtartig ihre Häuser und Hütten räumen mussten. Dieser Vorfall hat mittlerweile zu einer Klage gegen "Lahmeyer International" geführt. Die Untersuchung hat die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main übernommen.

Unverzichtbar für den Bau neuer Staudämme ist auch das Einvernehmen der Anrainerstaaten des Flusses. Wie brisant das sein kann, zeigt sich vor allem am Nil, wo Ägypten als Hauptnutzer des Flusswassers mit großem Misstrauen die Dammprojekte vor allem Äthiopiens und des Sudans beäugt. Dies gilt besonders dann, wenn nicht nur Energie erzeugt werden soll, sondern aufgestautes Wasser auch zum Ausbau der Bewässerungslandwirtschaft dient.

Interessant sind neue Initiativen, Wasserkraftwerke mit anderen Formen erneuerbarer Energie zu koppeln. Windenergie und Solarenergie werden nicht rund um die Uhr in gleichem Umfang erzeugt. Wasserkraftwerke können dazu dienen, Lücken zu schließen und bei Verbrauchsspitzen schnell Elektrizität zu liefern. Das Konzept klingt überzeugend, aber die Umsetzung erfordert große Investitionen in erneuerbare Energiequellen und leistungsfähige Überlandleitungen und lokale Versorgungsnetze.

Vor allem aber muss ein solches Konzept gegen jene Energie- und Kraftwerksbauunternehmen und durchgesetzt werden, die ihr Geld mit dem Bau und Betrieb von Kohlekraftwerken und groß dimensionierten Wasserkraftwerken verdienen. An diesen Interessen sind auch schon andernorts nachhaltige Energiekonzepte gescheitert. Immerhin: Gerade weil Afrika seinen Energiesektor erst aufbaut, besteht die Chance, von den Fehlern anderer zu lernen.

Frank Kürschner-Pelkmann arbeitet als freier Journalist und betreibt u.a. die Website www.wasser-und-mehr.de.

 


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