Berlin. - Von Wirtschaftsverbänden werden sie als bürokratische Monster kritisiert, von der Zivilgesellschaft als zu zahme Tiger: Die Vergabe- und Tariftreuegesetze, in denen mittlerweile 14 Bundesländer ihre Beschaffungsstellen verpflichten, Waren und Dienstleistungen nach sozialen und ökologischen Kriterien einzukaufen. Wie ungleich stark der Einfluss von Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf die umstrittene Umsetzung der Gesetze ist, zeigt das Beispiel Berlin. Von Dr. Bärbel Röben
Das Berliner Vergabegesetz von 2010 soll reformiert werden, nachdem Wirtschaftssenatorin Yzer sich im August mit Wirtschaftsverbänden darüber abstimmte. Das FAIRgabe-Bündnis aus entwicklungs- und umweltpolitischen Gruppen und Gewerkschaften fürchtet eine Aufweichung des "bundesweit vorbildlichen" Gesetzes und fordert eine "umgehende Beteiligung der Zivilgesellschaft". Kritisiert wird zudem, dass "der seit Ende Juni überfällige Vergabebericht" zur Evaluierung des Gesetzes nicht abgewartet wurde.
Das Land Berlin und seine Unternehmen vergeben jährlich Aufträge im Wert von vier bis fünf Milliarden Euro. Sie können mit dem Geld den Fairen Handel fördern und nach den neuen Richtlinien Firmen bevorzugen, die faire Produkte anbieten und Mindestlöhne zahlen. Doch bei "dem bisherigen Prozedere mit hohen bürokratischen Hürden" hätten kleinere Firmen und innovative Betriebe das Nachsehen, erläuterte Yzer auf einer Pressekonferenz am 19. August. Das Vergabeverfahren solle deshalb vereinfacht und modernisiert werden. Danach müssten Bieter weniger Formulare ausfüllen und nur noch eine Unterschrift leisten. Bei der Auftragsvergabe würden zudem innovative Produkte bevorzugt.
"Eine Entbürokratisierung ist sicherlich von Vorteil", sagt Juliane Kühnrich vom FAIRgabe-Bündnis auf Anfrage. Doch die geplante Erhöhung der Grenzen für freihändig zu vergebene Aufträge sieht sie skeptisch. Bereits 2012 wurde den Beschaffungsstellen ermöglicht, statt bisher 500 Euro bis zu 10.000 Euro ohne Ausschreibung nach Vergaberecht auszugeben. Freiwillig halten sich nur noch wenige Senats- und Stadtbezirksverwaltungen an die alte Auftragsgrenze – zumal die Beschaffungsstellen zu wenig Personal haben, um die Angebote der Bieter zu kontrollieren. Diese reichen oft Eigenerklärungen als Ersatz für Siegelnachweise ein, obwohl es bereits Zertifikate für die angebotenen Produkte gibt. So könnte nach dem Vergabegesetz z.B. nur noch Dienstkleidung mit dem Siegel der Fair Wear Foundation eingekauft werden. Auch für Natursteine aus Asien, die zum Wegepflastern verwendet werden, gebe es Zertifikate, dass sie nicht aus Kinderarbeit stammen, aber – so kritisiert Kühnrich – : "Diesen Nachweis verlangt keine Stelle in Berlin."
In Berlin erhält das FAIRgabe-Bündnis, dass sich seit 2007 für eine öffentliche Auftragsvergabe nach menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Kriterien einsetzt, nur informell oder aus der Presse Informationen über die Umsetzung des Berliner Vergaberechts. In Nordrhein-Westfalen, das seit 2012 ein Tariftreue- und Vergabegesetz hat, scheint die Zivilgesellschaft eine etwas stärkere Position zu haben.
So wurde Angela Schmitz vom Eine Welt Netz NRW als Sachverständige zu einer öffentlichen Anhörung eingeladen, nachdem die FDP im März mit Unterstützung der CDU im Landtag das neue Vergabegesetz kippen wollte. Auch die beiden Parteien argumentierten wieder mit dem pauschalen, noch nicht nachgewiesenen Vorwurf, der bürokratischen Aufwand belaste Wirtschaft und öffentliche Auftraggeber. Im einkaufsstärksten Bundesland geben die Landesbehörden und kommunalen Verwaltungen jährlich etwa 50 Milliarden Euro für Dienstleistungen und Waren aus. Das NRW-Wirtschaftsministerium hat inzwischen eine Evaluierung des Vergabegesetzes in Auftrag gegeben, die nächstes Jahr vorliegen soll. Auf Anfrage erklärt Angela Schmitz mit Blick auf Wirtschaftslobby und kommunale Spitzenverbände: "Wir stehen mit dem Ministerium in Kontakt, allerdings ist unsere Einflussnahme insgesamt äußerst begrenzt."
epo.de Mitarbeiterin DR. Bärbel Röben ist freie Journalistin und lebt in Attendorn (NRW).
Foto: Rotes Rathaus ©© CCO
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