brasilien fora dilma 200Brasilia. - In Brasilien haben erneut landesweit Demonstrationen gegen die Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) und die Korruption stattgefunden. Die Aufrufer wollten damit an die Proteste Hunderttausender anschließen, die sie am 15. März unter derselben Agenda mobilisieren konnten. In 218 Städten hatten am vergangenen Sonntag verschiedene, sich als parteienfern ausweisende Gruppierungen, darunter die Bewegungen "Freies Brasilien" (MBL), "Vem Pra Rua" (Komm auf die Straße) sowie Diferença, Veranstaltungen angemeldet.

Sie verfehlten ihr Ziel klar. Zur größten Demonstration auf der Avenida Paulista in der Megametropole São Paulo kamen nach Angaben der Militärpolizei 275.000 Teilnehmer, das Institut Datafolha ermittelte mit 100.000 deutlich weniger. Am 15. März hatten Polizei und Veranstalter noch von einer Million Demonstranten gesprochen. Ein ähnliches Bild bot sich in der Bundeshauptstadt Brasília, wo sich mit höchstens 20.000, wie überall fast durchgängig in den Nationalfarben gekleideten Demonstranten, der Zulauf halbiert hatte. Das Abflauen der Proteste wurde die Nachricht des Tages.

Gleichzeitig hat sich der Tenor der Parolen weiter verschärft. Weiter in den Mittelpunkt gerückt ist die irreale Forderung nach Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (Impeachement) gegen die Präsidentin. "Weg mit Dilma", "Weg mit der PT" hieß es. Die Losungen der nur selten den unteren Klassen angehörigen Demonstranten richteten sich auch gegen links regierte Länder Lateinamerikas wie Kuba und Venezuela. Immer wieder wurde eine vermeintliche kommunistische Gefahr thematisiert. Am Rande waren Aufrufe an die Armee zu vernehmen, die Nation "zu retten". Die mitlaufenden Ultrareaktionäre verklären das Militärregime, das Brasilien von 1964 bis 1985 beherrschte.

Die geringere Resonanz der Bewegung ist umso bemerkenswerter, da sich die großen Medienkonzerne, allen voran die Globo-Gruppe, erneut alle Mühe gaben, mit Sensationsmeldungen und Liveberichten das Feuer zu schüren. Sympathie mit dem Protest bekundeten auch die führenden Oppositionspolitiker Aécio Neves von der PSDB und die linksliberal-klerikale Marina Silva. Im vergangenen Oktober hatte Rousseff gegen Neves als dem Kandidaten des rechten Lagers in der Stichwahl um die Präsidentschaft knapp gesiegt.

Für die Regierung Rousseff bedeutet die momentane Entwicklung bestenfalls eine Atempause in der politischen Krise. Trotz bedeutender sozialpolitischer Erfolge in der Ära der PT, die bereits seit 2003 den Regierungschef im größten Land Südamerikas stellt, zeigt die Partei Anzeichen von Verschleiß und hat viele Anhänger desillusioniert. Zudem steckt Brasilien in einer Wirtschaftsflaute, die Lebenshaltungskosten steigen. Medien und rechte Opposition können der PT wegen eines Skandals um den staatlichen Ölkonzern Petrobras zusetzen, der derzeit die Justiz im Rahmen der Operation Lava Jato beschäftigt. Bei den Deals um Aufträge sollen Schmiergelder in private und Parteikassen geflossen sein. Am Mittwoch klickten bei PT-Schatzmeister Vaccari Neto die Handschellen.

Rousseff hat ein konsequentes Vorgehen gegen die Korruption angekündigt und wirbt für eine Politikreform zur Entfilzung dieser Sphäre. Doch die Grenzen des Handelns ihrer Regierung, die auf eine bunte Koalition von den Kommunisten (PCdoB) bis zur Mitte-rechts-Partei PMDB angewiesen ist, sind seit den letzten Wahlen noch enger gesteckt. Im Nationalkongress haben sich die Kräfteverhältnisse zu deren Ungunsten verschoben. Informelle, parteiübergreifende Bündnisse (bancadas) von Evangelikalen, Waffenlobbyisten und Grundbesitzern machen hier großen Einfluss geltend.

Foto:© Marcelo Camargo/Agência Brasil

(Dieser Artikel ist zuerst auf amerika21.de erschienen. Er wird im Rahmen einer Content-Partnerschaft auf epo.de publiziert.)


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