Rom. - Die Zahl der Hungernden weltweit ist auf 795 Millionen gesunken, so der neueste UN-Jahresbericht zum Hunger weltweit (The State of Food Insecurity in the World 2015). Der Bericht wurde am Mittwoch von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Internationaler Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) und dem UN World Food Programme (WFP) in Rom vorgestellt. Daraus geht auch hervor, dass 72 von 129 Ländern das Millenniumsentwicklungsziel erreicht haben, den Anteil der Hungernden an der Bevölkerung zu halbieren. Nach Ansicht der Welthungerhilfe gab es allerdings "kaum Fortschritte in der weltweiten Hungerbekämpfung", so die Präsidentin der Hilfsorganisation, Bärbel Dieckmann. "Setzt sich der Trend der letzten zehn Jahre fort, rückt unser Ziel – eine Welt ohne Hunger bis 2030 – in weite Ferne. Dann wären wir erst nach dem Jahr 2060 so weit."
In Entwicklungsländern hat sich der Anteil der Bevölkerung, der über nicht genügend Nahrung für ein aktives und gesundes Leben verfügt, deutlich verringert: von fast einem Viertel der Bevölkerung (23,3%) in 1990-92 auf heute nur noch ein Achtel (12,9%). Somit haben derzeit 216 Millionen Menschen weniger als vor 25 Jahren nicht genug zu essen.
Laut José Graziano da Silva, Generaldirektor der FAO, demonstrieren diese Ergebnisse, dass der Hunger noch zu unseren Lebzeiten besiegt werden kann. "Dieses Ziel muss bei allen politischen Entscheidungen berücksichtigt werden und essentieller Teil der neuen Agenda für nachhaltige Entwicklung sein, die dieses Jahr aufgestellt wird", so da Silva. "Wir müssen die Generation sein, die den Hunger besiegt."
Für IFAD-Präsident Kanayo F. Nwanze stehen dafür Investitionen in die ländlichen Gebiete von Entwicklungsländern an erster Stelle, da dort die meisten Armen und Hungernden der Welt leben. "In ländlichen Gemeinden müssen gute Arbeitsplätze, gute Lebensbedingungen und gute Zukunftschancen für die Bewohner entstehen. Nur so können sich Länder nachhaltig entwickeln."
WFP-Exekutivdirektorin Ertharin Cousin betonte die Bedeutung guter Ernährung für Individuen und Nationen: "Männer, Frauen und Kinder brauchen täglich nahrhaftes Essen, um sich voll zu entfalten. Nur so können sie zum wirtschaftlichen Wachstum ihres Landes beitragen. Von diesem muss wiederum die gesamte Bevölkerung profitieren, damit Hunger zur Geschichte wird."
GROẞE FORTSCHRITTE UNTER SCHWIERIGEN BEDINGUNGEN
Die globale Wirtschaftslage der letzten Jahre sowie extreme Wetterbedingungen, Naturkatastrophen, politische Instabilität und Kriege haben verhindert, dass die für 2015 gesetzten Ziele zur Ernährungssicherung vollends erreicht werden konnten.
24 afrikanische Länder sind heute von Nahrungskrisen betroffen – doppelt so viele wie 1990. Jeder fünfte Hungernde lebt in einem Krisengebiet mit schwachen oder fehlenden Regierungsstrukturen. Seit den letzten 30 Jahren dauern Krisen auch zunehmend länger an.
In Krisenländern leiden mehr als dreimal so viele Menschen wie anderswo unter Hunger. Schon 2012 waren das 129 Millionen, ein Fünftel aller Hungernden weltweit. Gleichzeitig ist die Weltbevölkerung seit 1990 um 1,9 Milliarden Menschen gewachsen. Die sinkende Zahl der Hungernden sei daher bemerkenswert, so der Bericht.
Die größten Fortschritte wurden in Südostasien, Lateinamerika, der Karibik und Teilen Afrikas erzielt. Diese Erfolge zeigen, wie Hunger nachhaltig bekämpft werden kann: Wirksam sind vor allem landwirtschaftliche Investitionen, soziale Sicherung, politische Stabilität und Wirtschaftswachstum, von dem die gesamte Bevölkerung profitiert. Vor allem aber braucht es den politischen Willen, die Eliminierung des Hungers zum zentralen Entwicklungsziel zu machen, so der Bericht.
ERFOLGREICHE ANSÄTZE IM KAMPF GEGEN HUNGER
Der UN-Bericht hebt drei Ansätze hervor, mit denen Ernährungssicherheit erreicht werden kann:
1) Eine verbesserte landwirtschaftliche Produktion – besonders durch Kleinbauern – reduziert effektiv Hunger und Armut. So konnten in Afrika diejenigen Länder, welche die kleinbäuerliche Produktion verstärkt förderten, das Hungerziel erreichen, während Staaten mit geringeren Fortschritten in diesem Gebiet es verfehlten.
2) Wirtschaftliches Wachstum allein ist nicht genug; Erlöse müssen in Sozialleistungen und Entwicklungsprogramme investiert werden, damit die gesamte Bevölkerung davon profitiert. Nur so können sich auch ärmere Menschen gegen Naturkatastrophen und andere Krisen absichern.
3) Der Ausbau sozialer Sicherungsnetze reduziert die Zahl der Hungernden. Krankenversicherungen, Schulspeisungsprogramme und Sozialleistungen für bedürftige Haushalte in Form von Geld oder Nahrungsmittelgutscheinen stellen außerdem sicher, dass die gesamte Bevölkerung Zugang zu nahrhaftem Essen hat, welches ihnen ein produktives Leben ermöglicht.
Die Welthungerhilfe stimmt mit Punkt 1 überein: "Bei der Hungerbekämpfung müssen vor allem die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stärker in den Fokus rücken", so Dieckmann. "Kleinbauern produzieren rund drei Viertel aller Nahrungsmittel in Entwicklungsländern. Mit mehr Unterstützung können sie mehr produzieren und mehr Einkommen erwirtschaften und so den Hunger in ihren Ländern besiegen."
"Die Zahl der weltweit hungernden Menschen ist leicht zurückgegangen. Das ist gut, doch es bleibt sehr viel zu tun. Die westlichen Industriestaaten tun im Kampf gegen den Hunger nach wie vor zu wenig. Durch ihr Freihandelsdogma zerstören sie lokale Märkte in Entwicklungsländern und schaffen so Hunger. Es braucht endlich einen Paradigmenwechsel im Kampf gegen den Hunger", so Niema Movassat, Sprecher für Welternährung der Bundestagsfraktion DIE LINKE. "Dazu braucht es aber vor allem weniger westliche Besserwisserei und mehr Süd-Süd-Kooperation. Auch muss Schluss sein mit westlichen Agrarsubventionen und der zerstörerischen zum Dogma erhobenen Freihandelspolitik. Grundlegend brauchen wir eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von Nord nach Süd, von Reich zu Arm."
=> The State of Food Insecurity in the World 2015
Quellen: wfp.org | welthungerhilfe.de