Berlin. - Die systematische Unterdrückung der Zivilgesellschaft im Vorfeld der Europaspiele trübt die Hoffnung auf eine positive Wirkung der Spiele für die Menschenrechte im Austragungsland Aserbaidschan. Amnesty International und Reporter ohne Grenzen (ROG) haben die Behörden in Aserbaidschan dazu aufgerufen, Meinungs- und Pressefreiheit zu respektieren, sowie inhaftierte Journalisten frei zu lassen. Die Spiele finden vom 12. bis zum 28. Juni in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku statt. Ein Amnesty-Kurzbericht belegt die Verfolgung und Folter von Journalisten, Politikern, Anwälten und Aktivisten in Aserbaidschan im Vorfeld der Europaspiele. Zur Eröffnung der ersten Europaspiele wollen die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD am Freitag die systematische Verletzung der Menschenrechte im Gastgeberland anprangern.
In letzter Minute musste Amnesty International am Donnerstag eine in Baku geplante Pressekonferenz zur Vorstellung des Kurzberichts absagen, da Amnesty-Mitarbeitern die Einreise verweigert wurde. Die aserbaidschanischen Behörden teilten der Organisation mit, dass sie zum derzeitigen Zeitpunkt "eine Mission Amnesty Internationals nicht empfangen" könnten.
"Die entlarvende Reaktion der aserbaidschanischen Behörden dokumentiert einmal mehr das aggressive Vorgehen der Regierung gegen jegliche Kritik und bezeugt ihr verzweifeltes Bemühen, Aserbaidschan vor den Spielen zu einer kritikfreien Zone zu machen", sagte Marie Lucas, Aserbaidschan-Expertin von Amnesty International in Deutschland. "Präsident Alijew will die Europaspiele nutzen, um das Image Aserbaidschans aufzupolieren. Kritik an Menschenrechtsverletzungen im Land ist da unerwünscht."
"Es ist ein Rätsel, wie das Vorgehen der aserbaidschanischen Behörden mit den Zielen der Olympischen Charta, den Sport in den Dienst einer harmonischen Gesellschaft sowie der Pressefreiheit und der Achtung der Menschenwürde zu stellen, vereinbar ist. Diese Spiele werden nicht zu einer Stärkung der olympischen Werte führen. Sie werden im Gegenteil autoritäre Regierungen weltweit dazu ermutigen, mit der Austragung solcher sportlicher Großereignisse internationales Prestige und Anerkennung zu gewinnen", warnte Lucas.
Der aktuelle Kurzbericht "Azerbaijan - The Repression Games" dokumentiert die Drangsalierung, willkürliche Inhaftierung und Folter von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Oppositionellen und Jugendaktivisten.
Mindestens 20 gewaltlose politische Gefangene befinden sich derzeit in aserbaidschanischen Gefängnissen, nur weil sie auf friedliche Weise ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt haben. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen wurden so gut wie alle unabhängigen Journalisten und Oppositionsmedien während der vergangenen Monate zum Schweigen gebracht. So wurde am 5. Dezember 2014 die bekannte Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa, die unter anderem für Recherchen in höchsten Regierungskreisen bekannt ist, verhaftet. Seither sitzt sie in Untersuchungshaft. In einer Protestmail-Aktion an den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyew fordert ROG die Freilassung der Journalistin.
Reporter ohne Grenzen fordert den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) dazu auf, vor den am 12. Juni beginnenden Europaspielen die Freilassung aller dort inhaftierten Journalisten zu verlangen. Sowohl der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechtslage in Aserbaidschan, Michael Frost, als auch der Sprecher der Athletenkommission des DOSB, Christian Schreiber, forderten in den vergangenen Tagen die Freilassung der politischen Gefangenen in Aserbaidschan. Die Führungsspitze des DOSB hat die Äußerungen bislang nur begrüßt. Mindestens acht Medienschaffende und vier Online-Aktivisten sind in dem autoritär regierten Land derzeit in Haft.
ROG hat auch die großen internationalen Sponsoren wie McDonald’s, Coca-Cola, Motorola, Nestlé oder Procter & Gamble aufgerufen, die Freilassung aller Journalisten zu fordern.
Laut ROG sind Nichtregierungsorganisationen im Zuge der Repressionswelle ebenfalls unter massiven Druck geraten. So wurden am 5. August 2014 die Konten von rund einem Dutzend kritischer NGOs geschlossen, die sich für Medienfreiheit einsetzen – darunter jene des Institute of Reporters Freedom and Safety (IRFS), der US-Organisation IREX und des Media Rights Institutes. Der IRFS-Vorsitzende Emin Husejnow suchte im August 2014 in der Schweizer Botschaft in Baku Zuflucht und harrt seitdem dort aus, weil er fürchtet, andernfalls verhaftet zu werden. Auch sein persönliches Konto war geschlossen worden.
Die Botschaft Aserbaidschans bezog am Dienstag Stellung zu der Kritik und sagte die kritische Berichterstattung sei eine "Schmutzkampagne gegen Aserbaidschan". "Kein Mensch wurde oder wird in Aserbaidschan infolge seiner journalistischen oder politischen Tätigkeit inhaftiert".
"Wir laden alle kritischen Journalisten ein, sich ein objektives Bild von Aserbaidschan und der Entwicklung des Landes zu verschaffen und dem deutschen Publikum zu vermitteln. Kritik ist legitim, doch sollte sie auf Fakten beruhen. Einige der Berichte über Aserbaidschan basieren auf falschen oder unvollständigen Informationen. Die Lebensverhältnisse der Menschen in Aserbaidschan haben sich in allen Bereichen verbessert – die positiven Entwicklungen werden aber in vielen Presseberichten mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen kursieren unwahre und irreführende Berichte", heisst es in einer Pressemitteilung der Botschaft.
Nach Angaben von Amnesty International bedienen sich die aserbaidschanischen Behörden regelmäßig konstruierter Anschuldigungen, um kritische Stimmen mundtot zu machen und verurteilen Regierungskritiker in unfairen Verfahren zu langjährigen Haftstrafen. Aktivisten berichten zudem von Folter mit dem Ziel, falsche Geständnisse zu erpressen. Wer noch nicht verhaftet wurde, ist aus dem Land geflohen oder schweigt aus Angst vor Repressalien. Unabhängige Medien müssen ihre Arbeit einstellen, wie zuletzt der aserbaidschanische Zweig des Senders Radio Free Europe / Radio Liberty. Zeitungen und Fernsehsender sind im Besitz oder unter Kontrolle der Regierung und werden von den Behörden für Hetzkampagnen gegen Kritiker genutzt.
=> Amnesty International Bericht: Azerbaijan - The repression games: The voices you won't hear at the first European Games
=> Aserbaidschan: Europaspiele 2015 im Klima der Unterdrückung
Bild: © Amnesty International
Quellen: amnesty.org | reporter-ohne-grenzen.de