Berlin. - Die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und MISEREOR haben eine Reform der Ernährungssysteme in Nord und Süd und des Weltagrarhandels angemahnt. Wie die Großdemonstration "Wir haben Agrarindustrie satt", an der am Samstag nach Angaben der Veranstalter mehr als 20.000 Menschen teilnahmen, forderten die Hilfswerke von der Bundesregierung, die Weichen für eine bäuerliche und ökologischere Landwirtschaft zu stellen. Kleinbauern in Afrika stünden durch Billig-Exporte der europäischen Agrarindustrie vor dem Ruin, erklärten die NGOs.
"Durch den vermehrten Billig-Export von Milchpulver unter anderem aus der EU stehen in Westafrika immer mehr Kleinbauern und Viehhirten vor dem Aus", kritisierten Brot für die Welt und MISEREOR. "Aber auch in Deutschland werden Milchproduzenten und -produzentinnen von den extrem niedrigen Milchpreisen, die der Exportausrichtung der Milchindustrie geschuldet sind, aus der Produktion getrieben. Gleichzeitig kaufen Nahrungsmittelkonzerne und Molkerei-Großgenossenschaften aus der EU etwa in Burkina Faso verstärkt Molkereien auf und verdrängen so zusätzlich die lokale Verarbeitung und Wertschöpfung."
"Milch aus importiertem Milchpulver ist um zwei Drittel billiger als lokal erzeugte Milch. Zusätzlich wird der Markt überflutet mit kleinen Milchpackungen, für die Milchpulver mit billigen pflanzlichen Fetten gestreckt wurde. Die Preise dafür sind so niedrig, da können kleine lokale Molkereien und Produzenten nicht mithalten", sagte Ibrahim Diallo, Präsident von 42 Kleinstmolkereien in Burkina Faso und MISEREOR-Partner. Er warnte vor den Folgen dieser Entwicklung: "Wenn die Menschen ihre Familien nicht mehr ernähren können, sehen sie sich gezwungen, auf der Suche nach Arbeit in die Städte oder ins Ausland zu gehen."
"Entwicklungsländern muss es möglich sein, ihre Agrarmärkte vor Billig-Exporten aus Industrieländern schnell und wirksam zu schützen. Ansonsten werden gerade die ärmsten Landwirte aus ihren lokalen Märkten verdrängt. Die Welthandelsorganisation hat in diesem Punkt bisher völlig versagt", betonte Biraj Patnaik, Experte zum Recht auf Nahrung aus Indien. "Leider haben die EU und USA beim WTO-Ministertreffen in Nairobi im Dezember wieder einmal bewiesen, wie gleichgültig ihnen das Schicksal der Menschen in Afrika und Indien ist. Sie verweigerten nicht nur Schutzmaßnahmen für die ärmsten Länder, sondern sicherten auch ihre bestehenden Agrarsubventionen weiter ab, ohne sich mit den Konsequenzen für die Entwicklungsländer auseinanderzusetzen. So werden die Entwicklungsländer auf der Handelsebene weiter dabei ausgebremst, eine eigene funktionierende Landwirtschaft aufzubauen, die die Bevölkerung ernähren kann. Mit einer solchen Politik wird man weder den Hunger beenden, noch die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen erreichen können", so Patnaik.
Diallo und Patnaik sind überzeugt: "Nur wenn wir weltweit politisch zusammenarbeiten und unseren Stimmen auch im Norden Gehör verschaffen, können wir etwas erreichen."
Am Samstag hatten nach Angaben der Veranstalter rund 23.000 Bauern und Verbraucher gemeinsam in Berlin für eine Agrarwende demonstriert. Unter dem Motto "Wir haben Agrarindustrie satt! Keine Zukunft ohne Bäuerinnen und Bauern" zogen sie zum Bundeskanzleramt. Bauern, Imker, Tier- und Naturschützer, Aktive in der Entwicklungszusammenarbeit, Lebensmittelhandwerker und Köche demonstrierten für Bauernhöfe, die umwelt- und klimafreundlich wirtschaften, damit das Recht auf Nahrung weltweit sichern, starke Strukturen im ländlichen Raum erhalten, artgerechte Tierhaltung verwirklichen, gentechnikfrei arbeiten und deren Grundsatz fairer Handel ist.
"Angesichts der katastrophalen und strukturzerstörenden Erzeugerpreise für Milch und Schweinefleisch ermutigen dieser starke Rückhalt und die Wertschätzung der Gesellschaft, den Kampf für den Erhalt unserer Höfe energisch zu führen", sagte Ottmar Ilchmann, Milchbauer aus Ostfriesland. "Die Agrarpolitik in Berlin und Brüssel ist verantwortlich für die Rahmenbedingungen, die zu Überproduktion und Erzeugerpreisen deutlich unter den Produktionskosten führen. Dabei zerstören Agrarexporte zu Dumpingpreisen für den Weltmarkt bäuerliche Strukturen und regionale Märkte für Bauern hier und in der ganzen Welt. Die Bundesregierung muss jetzt umsteuern, damit es sich für Bauern lohnt, gute Lebensmittel für den heimischen Markt zu produzieren."
Jochen Fritz, Landwirt und Sprecher der Demonstrations-Bündnisses "Wir haben es satt!", betonte. "Die Menschen wollen, dass Bauern und nicht Konzerne ihr Essen erzeugen, sie wollen gesundes Essen, keine Gentechnik auf dem Acker, im Trog und auf dem Teller, sie wollen, dass Tiere auf der Weide grasen können, Schweine auf Stroh stehen und keine Schwänze oder Schnäbel abgeschnitten werden. Und die Bauern sind bereit dafür! Worauf wartet die Bundesregierung?“
Quellen: www.brot-fuer-die-welt.de | www.misereor.de | www.wir-haben-es-satt.de