Göttingen. - Zehntausende Menschen haben am Sonntag in der nordäthiopischen Stadt Gonder trotz eines Verbots der Behörden gegen die Regierungspolitik demonstriert und einen Machtwechsel im Land gefordert. Das hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Montag in Göttingen berichtet. "Monatelang haben Oromo in der Umgebung der Hauptstadt Addis Abeba demonstriert und nun greift die Protestwelle auf andere ethnische Gruppen im Norden des Landes über", sagte GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius.
"Dass zehntausende Menschen trotz massiver Härte der Sicherheitskräfte öffentlich den Rücktritt der Regierung fordern, zeigt, wie sehr Äthiopiens Führung um ihre Macht fürchten muss", erklärte Delius weiter. "Das Land ist von ethnischen Konflikten tief zerrissen und nicht der von der Europäischen Union gepriesene Stabilitätsanker im Horn von Afrika."
Die seit 25 Jahren mit eiserner Hand regierende dominante Tigray-Bevölkerungsgruppe habe andere ethnische Gruppen ausgrenzt, erläuterte Delius. Nun müssten sich Äthiopiens Machthaber den daraus entstandenen Konflikten stellen. Wenn sie die föderalistische Verfassung nicht realisierten, könne Äthiopien auseinanderbrechen.
Es war laut GfbV bereits die zweite Großdemonstration der Amhara-Bevölkerungsgruppe in Gonder innerhalb von zwei Wochen. Während bei den ersten Demonstrationen von rund 8.000 Amhara zwischen dem 12. und 14. Juli 2016 rund 20 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten getötet worden seien, sei es am vergangenen Wochen nicht zu gewaltsamen Konflikten gekommen. Besonders bemerkenswert sei jedoch gewesen, dass die demonstrierenden Amhara in Sprechchören und auf Transparenten ihre Solidarität mit den seit Monaten gegen eine Gebietsreform und Landraub protestierenden Oromo bekundeten. Auch symbolisch hätten die Amhara die Oromo unterstützt: Tausende Demonstranten hielten in Gonder ihre Arme verschränkt über dem Kopf und protestierten so gegen Massenverhaftungen von Oromo.
Die öffentlichen Proteste der Amhara gehen der GfbV zufolge auf eine Gebietsreform zurück, die die Tigray-Freiheitsbewegung TPLF nach ihrer Machtübernahme 1991 verfügte. Damals wurden das Gebiet der Wolkayit, die sich ethnisch als Amhara ansehen, gegen ihren Willen der Region Tigray zugeschlagen. Die jüngsten Proteste wurden durch die Verhaftung von vier Mitgliedern einer Wolkayit-Selbsthilfeorganisation ausgelöst, deren Freilassung die Demonstranten forderten.
Quelle: www.gfbv.de