Berlin. - Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Unter dem Motto "EineWelt - unsere Verantwortung" setze Deutschland damit ein starkes Signal für die Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, erklärte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Nichtstaatliche Organisationen sehen in dem Papier positive Zeichen und verbesserte Prozesse rund um die Nachhaltigkeitsstrategie, stellen aber auch Defizite fest.
Nach der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsstrategie sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU): "Die neue Strategie ist eine Trendwende für die deutsche Nachhaltigkeitspolitik und damit für uns alle. Eine Welt ohne Hunger und der Schutz unserer Lebensgrundlagen sind dabei unser Ziel. Unser Handeln in Deutschland hat globale Auswirkungen. Mit der Nachhaltigkeitsstrategie übernimmt die Bundesregierung Verantwortung. Denn Nachhaltigkeit muss Lebenseinstellung werden. Jeder von uns kann ganz konkret dazu beitragen, die Globalisierung gerecht zu gestalten: beim Essen, bei der Kleidung und der Art und Weise zu konsumieren. Längst ist klar: Wir leben in Einer Welt und jeder von uns trägt dafür Verantwortung. Diesem Leitprinzip folgt auch die deutsche Entwicklungspolitik."
Die Nachhaltigkeitsstrategie zeigt den Weg auf, wie sich Deutschland zukünftig für Themen wie Klimaschutz, Urbanisierung, nachhaltigen Konsum, fairen Handel und gleiche Chancen für Frauen und Mädchen einsetzen will. Sie umfasst ebenfalls konkrete Projekte, wie Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen soll, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Beispielsweise stellt die BMZ-Sonderinitiative "EINEWELT ohne Hunger" den Kampf gegen Hunger und Mangelernährung in den Mittelpunkt. Durch dreizehn grüne Innovationszentren werden 500.000 kleinbäuerliche Betriebe unterstützt.
Das BMZ stoße jedes Jahr Klimaschutzprogramme an, die insgesamt mehr als 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen, erklärte das BMZ. Das entspreche dem Ausstoß von 100 Kohlekraftwerken. Darüber hinaus unterstützt das BMZ den afrikanischen Kontinent auf seinem Weg in eine nachhaltige Energieerzeugung. Mit deutscher Unterstützung der Africa Renewable Energy Initiative (AREI) soll bis 2020 eine Strommenge aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, die rund zehn Kohlekraftwerke ersetzt. Die deutsche Entwicklungspolitik biete sich als kompetenter Partner für Klimalösungen in Schwellen- und Entwicklungsländern an und investiere heute bereits knapp 90 Prozent der globalen Klimaschutzmittel der Bundesregierung, so das BMZ.
In Umsetzung der bereits veröffentlichten Bildungsstrategie des BMZ "Gerechte Chancen auf hochwertige Bildung schaffen" werden Partnerländer in den Bereichen erweiterte Grundbildung, berufliche Bildung sowie Hochschulbildung unterstützt. Deutschland ist laut BMZ bei beruflicher Bildung der weltweit größte Geber in der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Der regionale Schwerpunkt liegt auf Afrika, dazu gehören vor allem auch Regionen, aus denen Menschen fliehen.
Die am Mittwoch beschlossene Neuauflage der Nachhaltigkeitsstrategie ist die umfassendste Weiterentwicklung der Strategie seit ihrem erstmaligen Beschluss 2002. Mit der Überarbeitung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie stellt die Bundesregierung die Weichen für die Umsetzung der Agenda 2030. Die Agenda gilt universell, also gleichermaßen für Industrieländer, Schwellen- und Entwicklungsländer.
NGOs SEHEN GUTE SIGNALE, ABER AUCH DEFIZITE
Die erste Bewertung des 260-Seiten-Papiers durch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und die Stiftung Zukunftsfähigkeit fiel trotz einiger Schwachpunkte grundsätzlich positiv aus: "Wir sehen gute Signale und verbesserte Prozesse rund um die Nachhaltigkeitsstrategie, aber auch Defizite", sagte Klaus Milke, Vorsitzender von Germanwatch und der Stiftung Zukunftsfähigkeit. "Positiv ist, dass sich die Struktur nun klar an den 17 Hauptzielen der Agenda 2030 orientiert. Im Jahr der deutschen G20-Präsidentschaft wird so auch international signalisiert, dass sich Deutschland unter Nachhaltigkeitskriterien tatsächlich als Entwicklungsland mit eigenen Zielen und Korrekturen versteht. Allerdings klafft zwischen diesem Anspruch und der konsequenten Umsetzung der Ziele eine gewaltige Lücke. Der Kohleausstieg in Deutschland wird zwar angesprochen, aber ohne ein klares Datum. Die notwendige Wende zu Nachhaltigkeit in Landwirtschaft und Verkehr fehlt sogar völlig."
Die neue Gliederung der Strategie nach den 17 Hauptzielen der Agenda 2030 mit jeweils eigenen Maßnahmenpaketen orientiert sich an 63 statt bisher 38 Indikatoren. Wichtig können laut Germanwatch neue strategische Elemente und die regelmäßigen, schon 2018 einsetzenden Nachbesserungs- und Konsultationsprozesse werden. Auch das neue Forum Nachhaltigkeit sowie die geplanten Nachhaltigkeitskoordinatoren in allen Ressorts sehen Germanwatch und Stiftung Zukunftsfähigkeit als einen großen strukturellen Fortschritt. Erfreulich sei zudem, dass die internationale Verantwortung Deutschlands stärker in den Fokus rücke. Gerade im Vergleich zu anderen Staaten der Welt habe die Bundesregierung nicht nur die Nachhaltigkeitsarchitektur konstruktiv weiterentwickelt, sondern auch die Globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung in ihrer Universalität und ganzen Umfänglichkeit für Deutschland als "Nachhaltigkeits-Entwicklungsland" anerkannt. In Zeiten, wo vielerorts autoritäre Regierungen den Raum der Zivilgesellschaft beschneiden, sehe die Strategie wichtige neue Beteiligungs- und Weiterentwicklungsprozesse vor.
Kritisch sehen Germanwatch und Stiftung Zukunftsfähigkeit, dass nicht deutlich werde, wie die Bundesregierung aus einer wilden und ungezügelten Globalisierung eine global gestaltete, sozial gerechte und ökologisch tragfähige internationale Zusammenarbeit machen will. Klaus Milke: "Ohne eine Strategie für die harten Bereiche der Globalisierung lassen sich die globalen Nachhaltigkeitsziele nicht umsetzen. Es muss darum gehen, wie die besonders vermögenden Akteure ihren angemessenen Beitrag zum Gemeinwohl leisten oder wie Handelsabkommen verbindlich an die Durchsetzung von Menschenrechten und Nachhaltigkeit geknüpft werden." Zudem fehle eine Strategie, um die Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene zur Zügelung der Globalisierung zu vergrößern.
ZIELE MANCHMAL NICHT AMBITIONIERT GENUG
Als erfreulichen Fortschritt gegenüber der alten nationalen Nachhaltigkeitsstrategie würdigte das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt die vom Bundeskabinett beschlossene Neuauflage. Viele Anregungen aus der Zivilgesellschaft seien in der neuen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigt worden, lobte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt. Sie bemängelte jedoch, dass in mehreren Politikbereichen die gesteckten Ziele nicht ambitioniert genug seien, um den globalen Herausforderungen und dem Anspruch der Agenda 2030 gerecht zu werden. Doch dass die Indikatoren und Zielmarken bereits 2018 unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft überprüft und weiterentwickelt werden sollen, böte die Chance der Nachschärfung. "Nun kommt es darauf an, die neue Nachhaltigkeitsstrategie mit Leben zu füllen und die angekündigten neuen Formate zur stärkeren Einbeziehung der Zivilgesellschaft auch rasch einzurichten", so Füllkrug-Weitzel.
Positiv sei zu bewerten, dass es in der nun beschlossenen Version im Vergleich zum ersten Entwurf mehr Ehrlichkeit im Blick auf Defizite, etwa bezüglich der Agrar- und Verkehrspolitik gebe. Positiv sei es auch, Zielkonflikte der deutschen Nachhaltigkeitspolitik - wie sie etwa in der Kontroverse um den Klimaschutzplan zu Tage getreten seien - zu benennen. Dass die Bundesregierung selbst einschätzt, noch weit von einer nachhaltigen Entwicklung entfernt zu sein, sei sehr positiv, da dies die Bereitschaft zu mehr Ambitionen erkennen lasse. Allerdings fehlten Hinweise, auf welche Weise die Kontroversen und Zielkonflikte, die einen ambitionierteren Plan bisher verhindert haben, künftig ausgetragen und gelöst werden sollen.
Zum nachdenklichen Ton passe das Eigenlob in Sachen Verringerung der Flüchtlingszahlen eher schlecht, so Brot für die Welt. So würden die humanitären Härten, die z.B. aus der starken Einschränkung des Familiennachzugs für nach Deutschland geflüchtete Kriegsflüchtlinge erwachsen, mit keinem Wort erwähnt. "An diesem Punkt stehen die Aussagen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie im Gegensatz zur Agenda 2030, die eine faire, humane und menschenrechtskonforme Behandlung aller Flüchtlinge und Migranten fordert", so Füllkrug-Weitzel. Ebenso vermisse man eine Reflexion darauf, wie deutsche und europäische Politik dazu beitragen, dass Menschen ihre Heimat unfreiwillig verlassen müssen.
Quellen: www.bmz.de | www.germanwatch.org | www.brot-fuer-die-welt.de