Berlin. - Die Tschadsee-Region benötigt dringend internationale Unterstützung in Höhe von rund 1,5 Milliarden US-Dollar, um eine der aktuell größten humanitären Krisen in Afrika zu bewältigen. Im Vorfeld der Geberkonferenz am Freitag (24. Februar) in Oslo rufen die Vereinten Nationen und internationale Hilfswerke in einem gemeinsamen Aufruf dazu auf, Hilfen zur Rettung von Menschenleben sofort umzusetzen.

Rund 17 Millionen Menschen kämpften in den betroffenen Regionen im Niger, im Tschad, in Nigeria und in Kamerun ums Überleben, berichtete World Vision. 10,7 Millionen Menschen benötigten akut humanitäre Hilfe. Viele von ihnen seien aus ihrer Heimat vertrieben worden oder säßen in schwer erreichbaren Gebieten fest. 60 Prozent der Hilfsbedürftigen seien jünger als 18 Jahre. "Dies ist eine Krise der vergessenen Kinder", erklärte Kathryn Tätzsch, die aktuell die humanitäre Hilfe von World Vision in der Region am Tschadsee leitet. Sie begrüßte die von der Bundesregierung mitgetragene Initiative zu der Konferenz, mit der neben humanitärer Hilfe auch neue politische Anstrengungen auf den Weg gebracht werden sollen. Darüber hinaus empfiehlt World Vision ein größeres Engagement für die Ausbildung der Jugend und für Einkommensförderung, um die Abwärtsspirale in der fragilen Region umzukehren.

Die seit Jahren andauernden Überfälle durch Boko Haram und die militärischen Gegenoffensiven haben laut World Vision Millionen Menschen an der Bestellung ihrer Felder und an der Fischerei gehindert, den Handel unterbrochen und mehr als zwei Millionen Zivilisten aus ihrer Heimat vertrieben. Trockenheit infolge des Klimawandels und extreme Armut hätten die Not in der Region weiter verschärft.

World Vision sorgt sich vor allem um das Wohlergehen der Kinder, die zwischen Kampfgebieten eingeschlossen, gefangen oder allein geflohen sind. Mädchen seien besonders von sexuellem Missbrauch und Zwangsheirat bedroht, Jungen würden schnell getötet oder mit Gewalt zum Kämpfen rekrutiert. Selbst die Flucht in andere Dörfer oder Notlager biete den Kindern derzeit wenig Sicherheit und Perspektive für die Zukunft, beklagte Kathryn Tätzsch. Die Infrastruktur sei dafür zu schwach und internationale Hilfe erreiche bisher hauptsächlich gut zugängliche Gebiete.

Die Konferenz in Oslo bietet nach Ansicht von World Vision auch die Chance für eine gute Verzahnung von Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit, um die komplexe Not in der Tschadsee-Region nachhaltig zu vermindern. Aktuell seien große Teile der Region völlig ausgetrocknet und der Wasserspiegel des Tschadsees sei stark gesunken. Funktionierende Wasserstellen seien rar, Ernten gering, Handelsmöglichkeiten wegen des Konflikts eingeschränkt. Millionen Menschen hätten daher nicht mehr genug Einkommen, Nahrung oder sauberes Trinkwasser. In der Folge seien die sozialen Spannungen stark angestiegen.

"Überleben ist ein Wunder", sagte Kathryn Tätzsch. "Eine Katastrophe solchen Ausmaßes hat es in der Gegend noch nie gegeben. Wenn die Weltgemeinschaft nicht entschlossen auf den Ernst dieser Krise reagiert, besteht die Gefahr, dass auch schon erreichte Entwicklungserfolge zunichte gemacht werden", warnte Tätzsch. "Alle Akteure sollten die Rechte der Menschen in den betroffenen Ländern schützen, humanitäre Hilfe unterstützen und die Gewalt gegen Kinder beenden."

World Vision arbeitet seit 30 Jahren mit westafrikanischen Regionen zusammen, um Armut zu überwinden und die Entwicklungschancen von Kindern zu verbessern. Wegen der aktuellen Krise hat die Organisation neue Hilfsprogramme im Westen des Tschad und im Südosten Nigers gestartet. World Vision plant, etwa 300.000 Menschen, die besonders bedürftig sind, zu erreichen. Schwerpunkte sind die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser, Hygiene-Maßnahmen, Ernährungssicherung sowie Schutz-und Bildungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche.

"Die Gefahr einer Hungersnot ist im Nordosten Nigerias ganz real", sagte Marion Lieser, Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland. "Nach Jahren der Gewalt sind Millionen Menschen am Ende ihrer Kräfte. Sie können keine Nahrungsmittel anbauen oder kaufen, sind von humanitärer Hilfe abgeschnitten. Viele sind bereits gestorben. Humanitäre Hilfe konnte die Lebenssituation vieler Menschen verbessern. Doch ohne zusätzliche Finanzmittel und den dringend nötigen Zugang zu Gebieten, in denen Menschen von Hilfslieferungen abgeschnitten sind, werden Hunger und Mangelernährung zunehmen, was viele Menschen das Leben kosten wird."

Oxfam warnt, viele Menschen in der Region seien weiterhin Menschenrechtsverletzungen und Bedrohungen ausgesetzt, darunter sexuelle Gewalt, Entführungen, Folter, Mord, Zwangsrekrutierungen und willkürliche Verhaftungen. Im Nordosten Nigerias sei Schätzungen zufolge jede dritte Frau von sexueller Gewalt betroffen. 

"Militärische und politische Ziele beim Kampf gegen Boko Haram dominieren gegenüber humanitären Zielen", so Oxfam. "Es hat zu lange gedauert, bis Regierungen, Hilfsorganisationen und Geberländer auf die Krise reagiert haben. Inzwischen ist aber eine große Nothilfeoperation im Gange, durch die viele Menschenleben gerettet werden konnten."

Quellen: www.worldvision.de | www.oxfam.de 


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