Berlin. - Weltweit leben zwei Milliarden Menschen in Staaten, wo bürgerschaftliches Engagement durch staatliche Gewalt vollständig unterbunden wird. Zu diesem Ergebnis kommt der am Mittwoch von Brot für die Welt vorgestellte "Atlas der Zivilgesellschaft 2019". Nur vier Prozent der Menschen genießen demnach uneingeschränkte Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und können ihre Anliegen frei äußern, an Demonstrationen teilnehmen oder eine Bürgerinitiative gründen. Auch in europäischen Ländern wie Österreich und Italien hat sich die Lage verschlechtert.
"Der Druck auf die Zivilgesellschaft nimmt zu, und dieser weltweite Trend macht auch vor Europa nicht mehr halt", sagte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt. "Die Lage ist ernst. Die Einschränkungen sind auch Zeichen einer Krise der Demokratie."
"Eine aktive Bürgerschaft, die sich für Bürgerbeteiligung, für soziale Belange, für Rechtsstaatlichkeit, eine freie Presse und Transparenz, gegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen einsetzt, trägt erheblich zum gesellschaftlichen Frieden bei. Wenn Staaten die Grundrechte ihrer Bürger einschränken, bremsen sie soziale und wirtschaftliche Entwicklung aus", betonte Füllkrug-Weitzel. Das zeige sich etwa in Mexiko, wo es nur dem unermüdlichen Einsatz lokaler Gruppen zu verdanken sei, dass der Fall der 43 verschwundenen Studenten im Jahr 2014 durch eine unabhängige Expertengruppe untersucht wird.
Neben Mexiko wird die Situation in Bolivien, Kirgisistan, Simbabwe, Togo und Ungarn im Atlas der Zivilgesellschaft näher analysiert. "Für einige unserer internationalen Partnerorganisationen sind Einschüchterungen und Drohungen gegenüber ihren Mitarbeitenden existenzbedrohend", kritisierte Füllkrug-Weitzel. Das zeigten auch aktuelle Entwicklungen etwa in Nicaragua, Guatemala und Brasilien. "Als eine der führenden demokratischen Wirtschaftsnationen sollte Deutschland seine Vorbildfunktion nutzen und sich für eine freie und handlungsfähige Zivilgesellschaft weltweit stark machen." Das sollte im Rahmen der diplomatischen Beziehungen ebenso passieren wie in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.
Die Daten basieren auf Erhebungen von CIVICUS, einem weltweiten Netzwerk für bürgerschaftliches Engagement, und der Auswertung verschiedener Quellen und Indizes, beispielweise zur Rede- oder Versammlungsfreiheit. Der Atlas enthält außerdem Fallstudien von Partnerorganisationen von Brot für die Welt. Im Vergleich zum ersten Atlas der Zivilgesellschaft, der im Januar 2018 vorgestellt wurde, ist die Berechnungsmethode präzisiert worden.
CIVICUS kategorisiert die Freiheitsgrade einer Gesellschaft in fünf Kategorien: offen, beeinträchtigt, beschränkt, unterdrückt und geschlossen. Die Daten im Atlas der Zivilgesellschaft belegen, dass aktuell in nur knapp jedem vierten Staat (45 Staaten) der Handlungsraum der Zivilgesellschaft "offen" ist. In 40 Staaten ist der Handlungsraum "beeinträchtigt". Hierzu zählen auch 12 Staaten der Europäischen Union, unter ihnen Österreich und Italien.
53 Staaten beschränken den Handlungsraum der Zivilgesellschaft, unter ihnen Ungarn. "Deshalb erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie lautstark protestiert, wenn im Herzen Europas die 'liberale Demokratie zu Grabe getragen werden soll', wie der ungarische Präsident Orban sein Ziel für die kommenden Europawahlen selbst formuliert hat", so Füllkrug-Weitzel.
Unterdrückt wird die Zivilgesellschaft in 35 Ländern, darunter Äthiopien, Russland und Simbabwe. In 23 Staaten, zwei mehr als 2018, ist der Raum für zivilgesellschaftliche Akteure "geschlossen", etwa in Aserbaidschan, China oder Ägypten.
Quelle: www.brot-fuer-die-welt.de