aerzte ohne grenzenBerlin. - Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat angekündigt, in Kürze wieder Seenotrettungsaktionen zu starten. Die Rückkehr ins Mittelmeer sei eine Antwort auf die "seit zwei Jahren andauernde Kampagne europäischer Regierungen mit dem Ziel, Seenotrettung zu verhindern, sowie auf die Normalisierung einer Politik, die zahlreiche Todesfälle im Mittelmeer und gewaltiges Leid im Konfliktgebiet in Libyen verursacht" habe, erklärte die Hilfsorganisation.

"Europäische Politiker wollen glauben machen, dass das Ertrinken Hunderter Menschen und das Leid Tausender in Libyen gefangener Flüchtlinge und Migranten ein gerechtfertigter Preis dafür sind, Migration zu kontrollieren", sagte Sam Turner, Leiter der Hilfe von Ärzte ohne Grenzen in Libyen und im Mittelmeer. "Während sie das angebliche Ende der sogenannten Flüchtlingskrise in Europa verkünden, verschließen sie bewusst die Augen vor der schweren humanitären Krise, die durch ihre Politik in Libyen und auf dem Meer verlängert wird. Solange diese vermeidbaren Todesfälle und dieses vermeidbare Leid weitergehen, weigern wir uns, tatenlos zuzusehen."

Das neue Rettungsschiff "Ocean Viking", das von SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen gemeinsam betrieben wird, soll Ende des Monats die Seenotrettung im Mittelmeer aufnehmen. Die seit 2016 gemeinsam betriebene "Aquarius" musste nach dem zweimaligen Entzug der Flagge auf massiven politischen und wirtschaftlichen Druck Italiens hin die Hilfe im vergangenen Jahr einstellen.

Das zentrale Mittelmeer sei die tödlichste Fluchtroute der Welt, so Ärzte ohne Grenzen. Allein in diesem Jahr seien mindestens 426 Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht über das zentrale Mittelmeer gestorben, 82 von ihnen erst vor Kurzem bei einem Bootsunglück. Doch die europäischen Staaten hätten die Seenotrettung rücksichtslos beendet und zivile Schiffe so massiv behindert, dass fast kein Rettungsschiff mehr im zentralen Mittelmeer aktiv sein könne. Auch Handelsschiffe seien durch die EU-Politik in eine unmögliche Situation gebracht worden: Sie seien verpflichtet, Menschen aus Seenot zu retten und riskierten damit gleichzeitig, angesichts der Schließung der italienischen Häfen und der Unfähigkeit der EU-Staaten, sich auf einen Ausschiffungsmechanismus zu einigen, ihre Fahrt wochenlang nicht fortsetzen zu können.

Die Kämpfe um die libysche Hauptstadt Tripolis hätten die in Internierungslagern gefangenen Flüchtlinge und Migranten in höchste Gefahr gebracht, erklärte Ärzte ohne Grenzen. Eingesperrt und ohne Möglichkeit zur Flucht, müssten sie um ihr Leben fürchten. Etwa 60 gefangene Flüchtlinge und Migranten seien bereits getötet worden. Einzelne Evakuierungsaktionen aus Libyen heraus seien völlig ungenügend, so dass der Weg über das Meer die letzte Fluchtmöglichkeit sei. Gleichzeitig verstießen die europäischen Regierungen gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen und gegen die humanitären Prinzipien, indem sie die libysche Küstenwache immer stärker dabei unterstützten, gefährdete Menschen ins Konfliktgebiet nach Libyen zurückzuzwingen – teilweise in genau die beschossenen und bombardierten Internierungslager – wie zuletzt ins Internierungslager Tadschura, in dem bei einem Luftangriff Anfang Juli etwa 60 Menschen starben.

"Wir fahren ins Mittelmeer, um Leben zu retten. Darum geht es. Gleichzeitig werden wir nicht schweigen, solange Menschen leiden", sagte Turner. "Die europäischen Politiker müssen als logische Folge ihrer Verurteilung der tödlichen Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten in Libyen die staatliche Seenotrettung wieder aufnehmen, die Ausschiffung von Geretteten an sicheren Orten und die Evakuierung und Schließung der Internierungslager sicherstellen. Dass sie tatsächlich aber Rückführungen vom Mittelmeer nach Libyen in genau die angegriffenen Internierungslager noch stärker unterstützen, zeigt die Heuchelei dieser offenbar oberflächlichen Anteilnahme."

Solange EU-Regierungen versagten, ihrer Verantwortung für die Seenotrettung gerecht zu werden und solange Menschen weiter aus Libyen fliehen müssten, werde zivile Seenotrettung im Mittelmeer benötigt, betonte Ärzte ohne Grenzen. Die Hilfsorganisation richte ihre Hilfe an humanitären Prinzipien aus und werde deshalb weiter Menschen vor dem Ertrinken retten und – wie das Völkerrecht es vorsieht – an einen sicheren Ort bringen, wo diejenigen, die internationalen Schutz benötigen, Zugang zu einem Asylverfahren haben.

Die "Ocean Viking" ist ein norwegisches Hochsee-Versorgungsschiff, das unter norwegischer Flagge fährt. Es wurde ursprünglich als Rettungsschiff konzipiert (Emergency Response and Rescue Vessel), das dafür vorgesehen war, im Notfall eine größere Zahl von Arbeitern auf Ölplattformen nach Unfällen zu retten. Es wurde 1986 gebaut, ist 69 Meter lang und 15,5 Meter breit. Es ist mit vier schnellen Rettungsbooten und einer Klinik mit mehreren Räumen bestens zur Seenotrettung ausgestattet. Es kann bis zu 200 Gerettete an Bord nehmen.

Das Team von Ärzte ohne Grenzen besteht nach eigenen Angaben aus neun Personen, darunter vier Mediziner (ein Arzt, zwei Pfleger, eine Hebamme), das unter anderem für die medizinische Behandlung der Geretteten zuständig ist. Das Team von SOS Mediterranee, das für die Rettungen verantwortlich ist, besteht aus 13 Personen. Zudem befindet sich eine Schiffscrew aus neun Personen an Bord, die bei der Reederei des Schiffes angestellt ist.

Quelle: www.aerzte-ohne-grenzen.de 


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