Bremen. - Am Montag wurde in Rom die Konferenz des Ausschusses für Fischerei und Aquakultur der Welternährungsorganisation FAO eröffnet. Alle zwei Jahre tagt der Ausschuss und verhandelt auf höchster Ebene die internationale Fischereipolitik. Bis Freitag dieser Woche werden die aktuellen Dynamiken und Probleme der Fischereiwirtschaft reflektiert und nach geeigneten Maßnahmen gesucht, um Fischerei und Aquakultur dauerhaft als eine der wichtigen Quellen der Welternährung und als Wirtschaftssektor zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielen hierbei zunehmend Fragen des Meeresschutzes wie auch des Schutzes der lokalen Küstengemeinschaften und der Kleinfischerei. Der in diesem Rahmen jeweils zu Beginn der Sitzung präsentierte große Bericht der Welternährungsorganisation zum Zustand der Fischerei und Aquakultur zeichnet allerdings ein bedrohliches Bild.
Trotz aller Anstrengungen die Fischerei weltweit nachhaltiger zu gestalten erreicht die Überfischung einen neuen Höchstwert. Ende 2021, dem Jahr der letzten Datenerhebung, waren laut „The State of World Fisheries and Aquaculture 2024“ ganze 37,7 Prozent der von der Welternährungsorganisation erfassten Fischbestände überfischt.
Noch 1974 waren lediglich 10 Prozent der weltweit zur Nahrungsversorgung genutzten Fischbestände überfischt. Mit der zunehmenden Industrialisierung der Fischerei nahm jedoch parallel auch die Überfischung deutlich zu. 1989 hatte sie dann 26 Prozent erreicht. Nachdem der Grad der Überfischung während der 90er Jahre für längere Zeit stabil geblieben war, begann er nach der Jahrtausendwende wieder erheblich anzusteigen. Trotz aller Erkenntnisse und Verlautbarungen zur Notwendigkeit das Fischereimanagement verbessern zu müssen, konnte dieser Trend bis heute nicht umgekehrt werden. Lag die Überfischung 2007 noch bei 28 Prozent nähert sie sich nun mit großen Schritten der 40-Prozent-Marke bzw. wird sie in diesem Jahr aller Wahrscheinlichkeit nach überschreiten.
Bisher hat dies keineswegs zur Folge, dass das Angebot von Fisch, Meeresfrüchten und Algen auf dem Weltmarkt geringer wird. Die Produktionszunahmen in der Aquakultur bescheren dem gesamten Wirtschaftssektor einen ungebrochenen Aufschwung. Der Pro-Kopf-Konsum von Aquafood ist 2021 global auf 20,7 Kilogramm pro Kopf gewachsen und die Welternährungsorganisation rechnet bis 2032 mit einem Wachstum der Fischereiwirtschaft um weitere 10 Prozent. Zum ersten Mal in der Geschichte hat die Aquakultur dabei mehr zur Nahrungsversorgung der Weltbevölkerung beigetragen als die Fischerei.
Francisco Mari, Brot für die Welt, zur Einschätzung dieser Entwicklung: „Die Fischereiwirtschaft befindet sich in einem Umbruch. Die Aquakultur wird zum dominierenden Bereich der Fischereiwirtschaft. Doch dies geschieht zu einem nicht unerheblichen Teil auf Kosten der lokalen Kleinfischerei und ihrer Küstengemeinschaften im globalen Süden. Die verbliebenen Fischbestände dienen häufig nicht mehr der Versorgung der regionalen Märkte, sondern landen stattdessen in der Fischmehlproduktion und werden am Ende zu Fischfutter für unter anderem norwegischen Zuchtlachs verarbeitet, einen der in Deutschland am meisten konsumierten Fische. Die Produktionsmengen in der Aquakultur wachsen zwar, aber vielen Menschen, die über lange Zeit entlang der Küsten vom Fisch gelebt und sich von ihm ernährt haben, wird so die Existenzgrundlage entzogen. Mit der Zunahme der Überfischung steigt zugleich die Bedeutung von Verteilungsfragen in der Fischereipolitik. Wer hat den Zugriff auf die noch ergiebigen Bestände?“
Schon 2006 fand die Studie einer Forschungsgruppe um den Meereswissenschaftler Boris Worm in den Medien weltweit breiten Widerhall mit einer Prognose, die für das Jahr 2048 den Zusammenbruch der Wildfischbestände in den Ozeanen voraussagte. Wächst die Überfischung in gleichem Tempo weiter wie in den letzten Jahren an, so werden 2048, von heute aus hochgerechnet, nahezu Zweidrittel aller Wildfischbestände überfischt sein. Hinzukommt der wachsende negative Einfluss des Klimawandels auf die Fischerei, den eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen auf breiter Ebene kommen sehen. Wie lange sich die marinen Ökosysteme an die gravierenden Umweltveränderungen anpassen können und wann sie schließlich umkippen und zusammenbrechen ist offen. Die wissenschaftliche Diskussion um die planetaren Grenzen der Ozeane ist mittlerweile in vollem Gange.
Kai Kaschinski, Fair Oceans, zur Überfischung: „Über die Überfischung wird offiziell berichtet. Die Zahlen sind bekannt. Alles in allem werden sie relativ leidenschaftslos zur Kenntnis genommen. 38 Prozent der natürlichen Nahrungsgrundlagen in den Ozeanen zu verlieren, ist aber nichts anderes als ein globales Desaster. Die marinen Ökosysteme derart zu destabilisieren ist schlicht unverantwortlich. In der westlichen Ostsee, vor unserer eigenen Haustür, hat sich mit dem Zusammenbruch der wichtigsten Fischbestände gezeigt, wohin eine solch inkonsequente Fischereipolitik führt. Hering, Dorsch, Sprotte und eine Fischerei, die über Jahrhunderte Nahrung und Wohlstand brachte, sind ruiniert. Die Konsequenz dieses Missmanagements sind die enormen Importmengen von Fisch und Fischereiprodukten aus der ganzen Welt, die in Deutschland verarbeitet und konsumiert werden. Keine 10 Prozent davon deckt die deutsche Fischereiwirtschaft noch selbst ab. In Deutschland erhält dieser Umstand vom für die Fischerei zuständigen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu anderen Bereichen der deutschen Meerespolitik fehlt der Fischereipolitik eine überzeugende internationale Perspektive, die Übernahme von Verantwortung und der Nachdruck.“
www.fair-oceans.info
=> The State of World Fisheries 2024
=> SOFIA 2024: https://openknowledge.fao.org/items/9bfdb72b-dc34-43bf-8c95-2f7e5b52e531
=> COFI 36: https://www.fao.org/cofi/en
Kontext: