Aus Sicht der VerbraucherInnen von Textilien gibt es 4 nachhaltige Baumwollstandards, die in der Baumwollproduktion ein Mindestmaß an Einhaltung von ökologischen und sozialen Kriterien garantieren. Diese Standards sind die Better Cotton Initiative (BCI), Cotton Made in Africa (CmiA), Bio-Baumwolle vorwiegend nach GOTS zertifiziert und Fairtrade-Baumwolle. Zumindest die ersten drei Standards spielen auf dem Weltmarkt für Baumwolltextilien mittlerweile eine bedeutende Rolle. So sind ca. 22 % der weltweiten Baumwollproduktion von 25 Mio Tonnen nach BCI zertifiziert und immerhin 50 % davon werden als zertifizierte Ware an Unternehmen wie IKEA, H&M usw. weiterverkauft.
Weltweit gibt es 2,2 Mio Better Cotton Farmer, die 900.000 CMIA-Bauern in Afrika einbezogen. 30% der afrikanischen Baumwollproduktion (500.000 Tonnen) sind nach CmiA zertifiziert, wovon wiederum ca. 50% als zertifiierte Ware an Tchibo, Otto, Rewe und andere verkauft werden. Und die Bio-Baumwolle macht immerhin ca. 1,3% (350 000 Tonnen) der weltweiten Baumwollproduktion aus. Faitrade produziert demgegenüber nur 17 000 Tonnen Baumwolle (nach ICAC) im Jahr 2023. Im deutschen Textilmarkt dürften mittlerweile mindestens 30% der hier verkauften Baumwolltextilien nach einem der genannten Standards zertifiziert sein, Tendenz steigend. Wobei nicht alle textilen Einzelhändler die Verwendung nachhaltiger Baumwolle am Produkt ausweisen.
Der Impact nachhaltiger Baumwollstandards
Alle 4 Standards nehmen für sich in Anspruch, die ökologischen und sozialen Bedingungen der Baumwollproduktion zu verbessern und den BaumwollbäuerInnen ein „besseres Leben zu ermöglichen“. Ist dem so? Wie ist der Impact der genannten Standards über die Einhaltung ökologischer und sozialer Mindestkriterien hinaus?
Aus einer unabhängigen Studie mit Vergleichsgruppen geht hervor, dass BCI-Farmer u.a. in Indien, Pakistan und Kirgistan ihre Produktivität um 9-15 % und ihr Einkommen um 18- 35 % Prozent steigern konnten. Cotton Made in Africa hat kürzlich ebenfalls eine unabhängige Studie mit Vergleichsgruppen in Auftrag gegeben, die zeigt, dass Baumwollfarmerinnen in den CMIA zertifizierten Regionen deutlich besser gefördert werden als ihre KollegInnen in der Vergleichsregion. Und BCI kann anhand eigener Statistiken (ohne Vergleichsgruppe) zeigen, dass die BCI zertifizierten Farmer in Indien ihren Verbrauch von synthetischen Pestiziden in den letzten Jahren um 50 Prozent reduzieren konnten. Letzteres liegt auch an der weit verbreiteten Nutzung von genetisch modifizierter Baumwolle in Indien. CmiA hat 2023 780.000 Euro in Schulklassen, Brunnen, Frauenkooperativen in den Baumwollgebieten investiert. Die lokalen CmiA Partner haben diesen Betrag nochmal substantiell aufgestockt.
Insofern kann man festhalten, dass VerbraucherInnen, die Produkte mit den genannten Siegeln kaufen, etwas Gutes tun. Bei allen 4 Siegeln handelt es sich nicht um Greenwashing.
Anderseits ist es aber auch immer noch so, dass alle 4 genannten Standards (inklusive Faitrade) noch weit davon entfernt sind, „ihren“ BäuerInnen ein existenzsicherndes Einkommen (living income) zu garantieren. In Afrika dürfte das von den BaumwollbäuerInnen real erzielte Einkommen je nach Land zwischen 40 und 60 Prozent des Einkommens betragen, dass Bauern erzielen müssten, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Eine neuere Studie von BCI in zwei indischen Bundesstaaten ermittelt in einem Bundesstaat einen „living income gap“ von 50%. In dem anderen Bundesstaat wird das relativ geringe Einkommen aus Baumwolle durch staatliche Einkommenssubventionen aufgefangen.
Bis auf die Bio-Baumwolle (GOTS) werden auch bei den anderen drei genannten Standards noch in großem Umfang synthetische Pestizide eingesetzt, z.T. auch solche, die von dem Pesticide Action Network (PAN) als hoch gefährlich eingestuft werden. Dabei ist allerdings zu sagen, dass Fairtrade Baumwolle zu ca. 80 % bio-zertifiziert ist.
Wie stehen die Baumwollstandards BCI, CmiA, GOTS und Fairtrade Cotton im Vergleich dar
Mit Blick auf die sozialen und ökologischen Produktionskriterien sind BCI, CmiA und Fairtrade Cotton weitgehend vergleichbar, auch was die unabängige und transparente Überprüfung der Einhaltung dieser Kriterien angeht. BCI legt einen stärkeren Akzent auf die Einhaltung von sozialen Mindestbedingungen bei Farmarbeitern (decent work), wobei bezahlte Farmarbeit in Afrika (CmiA) keine so große Rolle spielt, weil ein Großteil der Arbeit im Familien- und Dorfverbund erledigt wird. CMIA lässt im Gegensatz zu BCI keine genmodizierte Baumwolle und auch keine Baumwolle aus Bewässerungsanbau zu. Beides wird in Schwarzafrika im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt allerdings auch nicht praktiziert oder produziert. Und CmiA umfasst auch die Arbeitsbedingungen in den Entkörnungsanlagen nach ILO-Standards, was bei BCI nicht der Fall ist.
Fairtrade sollte den Baumwollfarmern theoretisch höhere Preise als den Weltmarkpreis zahlen. De facto ist dies aber nicht der Fall. Seit vielen Jahren liegt der von Faitrade ermittelte faire Baumwollpreis unter den Weltmarktpreisen. Fairtrade zahlt deshalb an seine Bauern die gleichen Weltmarktpreise wie BCI und CmiA. Allerdings zahlt Fairtrade „seinen“ Bauern noch eine Faitrade Prämie von 0,5 Cents pro kg. Das waren nach Angaben von Faitrade Deutschland 2023 ca. 1 Mio Euro. Demgegenüber hat BCI über den Innovation and Growth Fund 2022/23 Kleinbauernprojekte mit einem Volumen von ca. 13 Mio USD gefördert. CmiA hat 2023 ca. 3,5 Mio zur Förderung der Produktivität und der Lebensbedingungen von Kleinbauern in Afrika ausgegeben. Unterm Strich bewirken BCI und CMIA aufgrund der größeren gehandelten Mengen für die Kleinbauen weltweit deutlich mehr als Fairtrade. Auch deshalb wäre zu überlegen, BCI und CmiA in das Fairtradesiegel einzubeziehen. Mit dem Faitrade Label könnten BCI und CmiA in den schwierigen und hart umkämpften Textilmärkten vermutlich deutlich höhere Lizenzgebühren durchsetzen und damit mehr Mittel generieren, um den Lebensstandard von Baumwoll-Kleinbauern zu verbessern.
Bio-Baumwollbauern (GOTS) erhalten für ihre Baumwolle höhere als die Weltmarktpreise. Die brauchen sie allerdings auch, um die i.d.R. niedrigere Produktivität zu kompensieren. Soweit erkennbar, spielen soziale Kriterien bei der Baumwollproduktion im GOTS Standard keine Rolle. GOTS unterstützt, soweit aus der Webseite erkennbar, auch keine Projekte für Kleinbauern in den Anbaugebieten.
Was bleibt zu tun?
Die zentrale Frage ist das existenzsichernde Einkommen für BaumwollbäuerInnen. Während BCI in ihren Veröffentlichungen deutlich macht, dass sie ein solches „living income“ anstreben und auch Geld in die Hand nehmen, um den „living income“ gap in den von ihnen zertifizierten Baumwollgebieten zu ermitteln, setzen sich CmiA, GOTS aber auch Fairtrade nicht erkennbar und öffentlich mit dieser Frage auseinander. Allen Beteiligten ist klar, dass ein solches „living income“ nur schrittweise und über Jahre erreicht werden kann. Wenn man sich das Ziel aber erst gar nicht setzt, wird in diese Richtung wenig passieren.
Das Ziel der UN-Biodiversitätskonferenz, den Einsatz chemischer Pestizide bis 2030 um 50% zu reduzieren, wird von BCI übernommen, wenn auch ohne zeitliche Zielvorgabe. Bei CmiA gibt es diesbezüglich keine öffentlichen Festlegungen. Für Fairtrade Cotton spielt diese Vorgabe keine so große Rolle, da eh ca. 80 Prozent der Fairtrade Baumwolle Bio zertifiziert sind.
Im Zusammenhang mit der Diskussion über das Lieferkettengesetz und der Entbürokratisierungsdiskussion gibt es Überlegungen, Unternehmen, die Ware vertreiben, die nach glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstandards zertifiziert sind, von Berichtspflichten zu befreien. Dies ist in Artikel 52 der entsprechenden EU-Richtlinie angelegt. Eine Umsetzung solcher Vorschläge erfordert aber, dass die entsprechenden Standards konform mit den Sorgfaltspflichten in den vom Gesetz genannten Risikobereichen sind. Dies ist bei den vier nachhaltigen Baumwollstandards grosso modo der Fall. Allerdings haben nur BCI und GOTS transparente Beschwerdemechanismen installiert, die es z.B. Bauern oder Arbeitern erlauben, auch anonym Beschwerde einzureichen, wenn z.B. festgelegte Standards in der Realität grob missachtet werden. Bei CMIA und Fairtrade fehlt dies, wobei Faitrade ggf. argumentieren wird, dass die Vertreter der Produzenten organisch in das System eingebunden sind. Aber auch auf Fairtrade Farmen gibt es eben auch FarmarbeiterInnen, die in den Gremien von Fairtrade nicht repräsentiert sind.
Für Verbraucher und Produzenten ist auch wichtig, dass die existierenden Standards untereinander weitgehend vergleichbar und kompatibel sind. Bio-Fairtrade Baumwolle oder auch CmiA Organic (Die Baumwolle ist GOTS und CmiA zertifiziert) sind Schritte in diese Richtung. Bezogen auf die Masse der nachhaltigen Baumwolle ist wichtiger, dass CmiA-Baumwolle weiterhin als BCI-Baumwolle anerkannt bleibt. Das war bis vor kurzem der Fall, und hat es CmiA ermöglicht CmiA zertifizierte Baumwolle über BCI Kanäle zu verkaufen. Dieses Benchmarkging wurde aber zunächst von beiden Seiten aus für Außenstehende schwer nachvollziehbaren Gründen Ende 2023 aufgekündigt. Die Folgen sind deutlich höherer Bürokratieaufwand und Mehrkosten für Partner-Baumwollgesellschaften in Afrika und die Baumwollhändler. Und die Folgen sind auch – wie im Geschäftsbericht von CmiA für 2023 nachzulesen – deutlich geringere Lizenzeinahmen für CmiA. Damit fehlt Geld, das für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Bauern in Afrika investiert werden könnte.
Nicht zuletzt gibt es in der Transparenz der Berichterstattung aller 4 Standards Defizite. So sollten alle Standards neben einer Gewinn- und Verlustrechnung auch eine Bilanz veröffentlichen. Nur so kann sich die Leserin, der Leser ein Bild machen, wieviel von den Lizenzeinahmen wieder für Kleinbauernförderung ausgegeben wird, und wieviel Geld „gehortet“ wird. Bei CmiA sucht man eine solche Bilanz vergeblich. Alle Standards sollten klar ausweisen, wieviel zertifizierte Baumwolle sie produzieren und wieviel sie davon verkaufen.
Standards haben Kosten, um die Umsetzung ihrer Standards vor Ort sicherzustellen. Das umfasst die Zertifizierung, die Berichterstattung, die Organisation der Bauerngruppen in einer Form, die sie überhaupt zertifizierungsfähig machen etc. CmiA und BCI sollten in ihren Jahresberichten deutlicher herausarbeiten, welche Ausgaben vor Ort in den Projektgebieten durch die Standardimplementierung verursacht werden, und in welcher Höhe Ausgaben der Förderung der Verbesserung der Produktions- und Lebensbedingungen der Kleinbauern zu Gute kommen. Das ist in der Realität nicht immer trennscharf auseinanderzuhalten, der Versuch sollte aber trotzdem unternommen werden. Der Transparenz wäre damit gedient.
Roger Peltzer berät Unternehmen und Nichregierungsorganisationen, die in Afrika tätig sind. Er ist Mitglied des Vorstandes der Christlichen Initiative Romero und war in seiner aktiven Zeit zuletzt Abteilungsleiter bei der DEG-Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft.