Vor fünf Monaten hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) neue Behandlungsrichtlinien für Aidsprogramme veröffentlicht. Bis heute habe die WHO aber keine Strategie vorgelegt, wie die von ihr empfohlenen neuen und erheblich teureren Medikamente in ärmeren Ländern finanziert werden sollen, so Ärzte ohne Grenzen. Die von der WHO empfohlenen Medikamente seien bis zu sechs mal teurer als die herkömmlichen Wirkstoffe.
Besonders dramatisch ist die Situation laut Ärzte ohne Grenzen für Patienten, die aufgrund von Resistenzen mit einer komplett neuen Medikamentenkombination - der sogenannten zweiten Therapielinie - behandelt werden müssen. Ihre Therapie könne um das 50-Fache teurer werden.
"Was wir brauchen, ist eine komplett neue Strategie des Medikamentenzugangs", sagte Tido von Schön-Angerer, Direktor der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. Die Aidsbehandlung in Entwicklungsländern sei heute nur durch kostengünstige Nachahmerpräparate, so genannte Generika, möglich. Wenn die Versorgung mit Generika auch von neueren Medikamenten nicht garantiert wird, würden die Kosten explodieren und die Programme weltweit zusammenbrechen. "Regierungen, Pharmaindustrie und internationale Organisationen tun entschieden zu wenig, um diese Katastrophe aufzuhalten", so von Schön-Angerer.
Der Wettbewerb mit Generikaherstellern hat laut Ärzte ohne Grenzen in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Preise für einige Aidsmedikamente der ersten Therapielinie von rund 10.000 US-Dollar auf 130 US-Dollar pro Patient und Jahr gefallen sind. Da Schlüsselländer der Generikaproduktion wie Indien jedoch seit dem Jahr 2005 Patentschutz auf Medikamente gewähren müssen, werde sich diese Preisentwicklung für viele neuere Wirkstoffe nicht wiederholen lassen.
"Wir brauchen dringend eine Auseinandersetzung mit dem internationalen Patentschutz", forderte von Schön-Angerer. "Es wäre fatal, Entwicklungshilfegelder für künstlich überteuerte Medikamente zu verschwenden. Der deutschen Regierung kommt hier ab Januar 2007 als Vorsitzende der Gruppe der reichsten Industrienationen (G8) eine Schlüsselrolle zu." Die G8-Staaten hatten sich in Glenneagles 2006 vorgenommen, den Zugang zur Aidsbehandlung für alle bedürftigen Menschen bis 2010 zu gewährleisten.