Noch vor 200 Jahren galt Zucker als ein Luxusartikel, denn die Zuckerrübe gab es noch nicht und der tropische Rohrzucker musste aus Übersee eingeführt werden. Gesüßt wurde deshalb mit Honig oder mit Pflaumenmus.
Um 1100 entdeckten Europäische Kreuzfahrer in der Nähe von Tripolis das Zuckerrohr. "Weißes Salz" oder nach seinem Ursprungsland "Indisches Salz" nennen sie die neue Substanz. Die Produktion kostete Geld und war arbeitsintensiv: Zucker war also teuer und ein Luxus der dem Adel vorbehalten blieb. Im 13. Jahrhundert entstanden die ersten Apotheken, in denen auch Zucker verkauft wurde - zum Beispiel als Mittel gegen Verstopfung, Blähungen oder Koliken - und natürlich als Luxusgut. An Fürstenhöfen konnte mit Zucker zeitweise sogar bezahlt werden.
Ende des 15. Jahrhunderts brachte Christoph Kolumbus das Zuckerrohr mit in die Karibik. Hier konnte auf Bewässerung verzichtet werden, und das tropische Klima ermöglichte erheblich höhere Erträge. Außerdem gab es dort genügend Brennholz zum Sieden des Zuckers. Neben Spanien drängten daher Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Holland ins Geschäft. Denn im Mittelmeerraum war die Zuckerwirtschaft nicht zuletzt deshalb zum Erliegen gekommen, weil die Böden in kurzer Frist ausgelaugt und die Wälder abgeholzt waren und die Grundwasserspiegel zusammen mit den Erträgen sanken.
Im 17. Jahrhundert verwandelten sich die Inseln der Karibik immer mehr zu Produktionsstätten von Zucker. Grundlage aller Geschäfte war die Sklavenwirtschaft. Denn Zuckerplantagen sind bis heute arbeitsintensiv. Auf Jamaica beispielsweise lebten um 1700 etwa 36.000 Sklaven, bis 1775 war ihre Zahl auf 200.000 angestiegen. Brasilien war bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts der größte Zuckerproduzent der Erde - und gleichzeitig größter Sklavenmarkt - vornehmlich finanziert durch holländisches Kapital. Ende des 18. Jahrhunderts kamen auf jeden Weißen in der Karibik etwa sieben Sklaven, in Brasilien kamen auf einen Weißen zeitweise 2.000 importierte afrikanische Sklaven.
Binnen kurzem bildete Zucker eine der Säulen, auf der der sogenannte "Dreieckshandel" zwischen Europa, Westafrika und der Karibik beruhte. Europa exportierte Fertigprodukte, Waffen und Spirituosen nach Afrika, wo die Schiffe Sklaven aufnahmen um diese in der Karibik zu löschen und vornehmlich mit Zucker beladen wieder nach Europa zurückzukehren. Zwischen 1750 und 1800 waren allein von Liverpool aus 1000 Schiffe im Sklaventransport unterwegs.
Schon Voltaires optimistischer Held "Candide" muss feststellen, dass der Preis für die Kolonialware Zucker absurd hoch ist. Auf seinen Abenteuern nach Surinam geraten, sieht Candide "einen Neger auf dem Boden liegen, der nur noch die Hälfte seiner Kleidung, dass heißt ein Hosenbein aus blauer Leinwand anhatte. Dem armen Mann fehlten das linke Bein und die rechte Hand.
"Mein Gott!", rief Candide. "Was machst du Du hier in diesem fürchterlichen Zustand, mein Freund?"
"Ich warte auf meinen Meister, Herr Vanderdendur, den berühmten Händler", antwortete der Neger.
"Hat dich Herr Vanderdendur so zugerichtet?" erkundigte sich Candide.
"Ja, Herr, das ist hier so Sitte. Zwei Leinwandhosen jährlich - das ist die ganze Kleidung, die man uns gibt. Wir arbeiten in den Zuckerraffinerien und wenn uns das Mühlrad einen Finger abreißt, so schneidet man uns die ganze Hand ab. Machen wir einen Fluchtversuch, hackt man uns das Bein ab: Das habe ich alles durchgemacht. Und das ist der Preis, zu dem Ihr Europäer Zucker esst."
1747 änderte sich die Marktsituation grundlegend. Denn der Apotheker und Chemiker Andreas Sigismund Marggraf entdeckt in Berlin den Zucker in der Rübe. Er stellt fest, dass zwischen dem weißen Rüben- und dem Rohrzucker kein chemischer Unterschied besteht. Doch erst ab 1798 wird - wiederum in Berlin - der erste Rübenzucker produziert. In Niederschlesien entsteht 1801 die erste Rübenzuckerfabrik der Welt.
Die napoleonische "Kontinentalsperre" von 1806 fördert die Anfänge der Rübenzuckergewinnung in Europa in großem Maße, da sie den Kontinent vom britischen Kolonialzucker abschneidet. Mitte des 19. Jahrhunderts boomt der Markt für Rübenzucker. Rübenzüchtern gelingt es, den Zuckergehalt der Rüben deutlich zu steigern. In der Gründerzeit wird Zucker zu einem deutschen Exportschlager. 1874 werden über den Hamburger Hafen 12.000 Tonnen Zucker exportiert; zwölf Jahre später sind es bereits 660.000 Tonnen.
Uwe Kerkow