Parakou (epo). - Es ist kurz vor acht Uhr abends und bereits dunkel in Parakou, der zweitgrößten Stadt Benins, 430 Kilometer nördlich von der Hauptstadt Cotonou. Vor seiner Cafeteria Thomas Sankara verneigt sich Ibrahim Dieng Richtung Mekka und betet. Jeden Abend legt er dafür eine Matte auf den Sandboden, wäscht sich Hände und Füße auf traditionelle Weise und überlässt seine Gäste für eine Viertelstunde sich selbst. Aus der Cafeteria ertönt das Signal für das Nachrichtenmagazin "Journal". Ehe man es sich versieht, ist die Bude von Zuschauern umringt. Die Bilder zu den Angriffen der USA auf Afghanistan lösen gemurmelte Kommentare und manchmal Laute der Überraschung aus. Die meisten der Fernsehzuschauer konsumieren dabei nichts. Aber nach den Nachrichten verläuft sich die Menge wieder, sofern nicht gerade ein wichtiges Fußballspiel übertragen wird.
Mittlerweile sind auch Dieng's Gebete beendet und seine Arbeit geht weiter. Omelette mit Zwiebeln und Tomaten - das üppigste Gericht, das es bei ihm gibt, kostet 150 Franc-CFA, umgerechnet knapp 50 Pfennige. Auch Baguette mit Margarine für 50 und Milchkaffees für 100 CFA werden gewünscht. Dieng arbeitet schnell und präzise, schlägt die Eier auf, rührt die angedickte, süße Kondensmilch in die Tassen, überbrüht das Geschirr mit kochendem Wasser - eine Hygiene, die selbst in besseren Restaurants keine Selbstverständlichkeit ist. Während er das Wechselgeld der Gäste entgegennimmt, hat er schon die nächsten im Blick. Dennoch hat er für alles seine Zeit, auch für ein paar Worte zwischendurch. Aber an sich ist Herr Dieng ein schweigsamer Mann. Er kam aus Senegal hierher und lebt seit 1986 in Parakou, ist verheiratet und hat drei Kinder. "Die Abenteuerlust hat mich dazu gebracht, Dakar zu verlassen", erzählt er. Fünf Jahre arbeitete er als Koch beim senegalesischen Militär. Letztes Jahr im September eröffnete er seine Cafeteria und benannte sie nach Thomas Sankara, dem er großen Respekt zollt.
Burkina Faso, eines der Nachbarländer von Benin, wurde in den 80er Jahren von einer Reihe Militärputschs gebeutelt, in der auch der Hauptmann Sankara eine Rolle spielte. Dort war er 1982 kurzfristig als Premierminister an die Macht gekommen, wurde aber bereits im Mai 1983 vom Militär wieder abgesetzt. Unter Führung des heutigen Staatspräsidenten Blaise Campaor? formierte sich eine Gruppe linksorientierter Militärs und stürzte die völlig unpopuläre Militärjunta bereits am 4. August 1983. Vier Männer bildeten nu einen "Nationalrat der Revolution", unter ihnen auch der charismatische Thomas Sankara als Präsident des Landes. Die breite Unterstützung in der Bevölkerung führte zu weitreichenden Initiativen für die Entwicklung Burkina Fasos. Sie fanden auch Anklang bei internationalen Organisationen der Entwicklungshilfe. Die sozialen Verhältnisse verbesserten sich - das gab dem Land enormen Auftrieb. Gebremst wurde dieser Aufstieg, als Sankara den Bau der Eisenbahn bis hin zum Niger wieder aufnehmen wollte, worüber es zum Bruch mit der Weltbank kam. Der Zusammenhalt innerhalb der Regierung begann zu bröckeln, da nach dem Bruch mit der Weltbank das Geld fehlte, um soziale Maßnahmen zu finanzieren.
Sein einstiger Freund und Mitstreiter Blaise Campaor? war es, der ihn mit Unterstützung des Militärs absetzte und ermorden ließ. Das Datum seiner Ermordung weiß Herr Dieng genau: es war der 15. Oktober 1987. "Über 14 Jahre ist das nun her", meint Dieng leise und ordnet nachdenklich seinen Abwasch. Die damals gegründete Volksfront regiert immer noch in Burkina Faso. Und Thomas Sankara steht zusammen mit Führern wie Patrice Lumumba aus dem Kongo, dem Ghanaer Kwame Nkrumah oder Julius Nyerere aus Tansania und dem ehemaligen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela noch heute für ein afrikanisches Selbstbewusstsein, das in die eigenen Kräfte vertraut.
Insgesamt ist Ibrahim Dieng mit der Bilanz seiner Cafeteria zufrieden: 60 Gäste kommen an durchschnittlichen Tagen - sie bringen ungefähr 12.000 CFA Umsatz (etwa 40 DM). Im Gegensatz zu anderen Cafeterias gibt es bei ihm keine kalten Getränke und selbstverständlich auch keinen Alkohol. 25.000 CFA beträgt die Pacht, die er für sein Stückchen Land in zwei Jahresraten an den Staat abführt. Noch mehr Geld aber fließt über die Produkte, die er einkauft, zurück nach Europa: Nescafe zum Beispiel oder NIDO, ein Trockenmilchprodukt, dass ebenfalls aus dem Hause der Schweizer Firma Nestl? stammt. Auch Milo, ein Energietrunk, den viele ärmeren Kunden dem viel teureren gebutterten Baguette als Nahrungsersatz vorziehen, wird von Nestle hergestellt. "Bonnet Bleu", die stark gesüßte Milch, ohne die kein Beniner seinen Caf? anrührt, kommt aus dem holländischen Friesland. Und hinter der "Royal Boat Margarine" verbirgt sich die Koepcke Food Export GmbH aus Hamburg - nicht zu vergessen die Calv?-Mayonnaise aus Frankreich. Aber die Produkte aus Europa sind ein teurer Spaß und auch der Besuch von Cafeterien, so improvisiert und preiswert oder ärmlich sie dem westlichen Betrachter erscheinen mögen, ist Luxus in Benin. Denn für 100 CFA, die hier ein Kaffee kostet, bekommt man an den Garküchen im Freien schon einen Berg Reis mit scharf gewürzter Soße.
Das Angebot von Ibrahim Dieng ist auf das Nötigste reduziert. In anderen Cafeterias, die in der Ausstattung stark variieren - ein wackliger Tisch und zwei bis drei Hocker am Straßenrand tun es oft auch - gibt es sogar aus Italien importierte Spaghetti mit einigen Brocken Fleisch. Manche bieten auch marokkanisches Couscous, oder Quaker - sprich Kwakee - ein Porridge, der aus den USA eingeführt wird. Aber bei Herrn Dieng gibt es alles bis Mitternacht, einer Zeit, wo man selbst in Parakou, einer Stadt mit rund 200.000 Einwohnern, eigentlich nur noch ein paar streunenden Hunden begegnet.
Ina Zeuch