Die Memorandumsgruppe entwicklungspolitischer Experten, die schon 1998 vor den Bundestagswahlen eine Stellungnahme veröffentlicht hatte, legt nun auch im Vorfeld der Bundestagswahlen 2002 ihre Forderungen an Bundestag und Bundesregierung vor: Entwicklungspolitik als Teil einer neuen Weltfriedenspolitik.

Präambel

Im Oktober 1994 wurde ein Memorandum "Zur Verankerung der Nord-Süd-Politik in Parlament und Regierung" von einer Gruppe entwicklungspolitischer Fachleute vorgelegt, die in der Folgezeit als die "Memorandumsgruppe" bekannt wurde. Das Memorandum wandte sich an die Fraktionen im neu gewählten Bundestag und forderte sie auf, die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland von Grund auf zu reformieren.

Im April 1998 legte die Gruppe im Vorfeld der Bundestagswahlen erneut ein Memorandum vor, diesmal unter dem Titel "Für eine Politik der Nachhaltigkeit - Entwicklungspolitik als internationale Strukturpolitik". Das Memorandum stieß auf erfreulich große Aufmerksamkeit, wesentliche Elemente der darin erhobenen Forderungen wurden in die Vereinbarung der neuen Koalitionspartner aufgenommen und wurden auch zur Grundlage für die Politik des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die Bundesregierung insgesamt hat die Koalitionsvereinbarung im wesentlichen nur in den kostenneutralen Punkten umgesetzt. So ist das BMZ jetzt zuständig für die Entwicklungspolitik der EU, für wichtige internationale Konferenzen (wie die für Entwicklungsfinanzierung oder für nachhaltige Entwicklung) und ist Mitglied im Bundessicherheitsrat. Entscheidend für die Handlungsfähigkeit des BMZ ist jedoch seine Finanzierung, und in diesem Punkt wurde das Versprechen der Koalitionsvereinbarung, "den Abwärtstrend des Entwicklungshaushaltes um(zu)kehren", nicht eingehalten. Die Mittel des BMZ wurden prozentual noch stärker gekürzt als die anderer Ressorts. Der Mittelansatz entspricht auch nach der inzwischen erfolgten geringen Anhebung nicht der Bedeutung internationaler Entwicklungszusammenarbeit für den Frieden in der Welt.

Die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 haben die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit darauf gelenkt, dass die Welt von einem System fundamentaler Ungleichheit und Ungerechtigkeit beherrscht wird. Diese Strukturen, durch die der größere Teil der Menschheit benachteiligt wird und viele sich anhaltender Demütigung ausgesetzt sehen, bilden einen idealen Nährboden für die Entstehung und das Anwachsen des Terrorismus, der nicht nachhaltig durch militärische Mittel bekämpft werden kann, sondern nur durch Beseitigung der Ungerechtigkeit, die ihn fördert.

Das Zeitalter der Globalisierung braucht - und ermöglicht - eine Weltpolitik (Global Governance), die diese Herausforderung aufnimmt, die zur Wahrung des Friedens, zu sozialem Ausgleich und zu nachhaltiger Entwicklung führt. Es darf für Nord und Süd keine doppelten Standards mehr geben. Die gemeinsamen Interessen der Menschheit müssen über die Partikularinteressen einzelner Gruppen oder Regionen gestellt, und die gemeinsamen Werte müssen gestärkt werden. Die "Allianz gegen den Terrorismus" muss durch eine Allianz gegen Armut und Verelendung ergänzt und langfristig ersetzt werden, der Einsicht folgend, dass politische Sicherheit im Norden nur zu haben ist, wenn es soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Sicherheit im Süden gibt.

Eine neue Weltfriedenspolitik ist ohne Veränderung der Prioritäten nicht zu erreichen. Soziale Gerechtigkeit sowie Umwelt und Entwicklung in globaler Partnerschaft sind nicht länger "weiche Politikfelder" unter Führung von Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die sogenannte Realpolitik hat zu lange diese politischen Werkzeuge mit den eigentlichen Zielen einer menschenorientierten Entwicklungspolitik verwechselt und die gegenwärtigen Gefahren ganz wesentlich mit verursacht.

Für die neue Weltfriedenspolitik gibt es bisher nur Ansätze (als wichtigste die Entschuldungsinitiative und das Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung); diese Ansätze müssen ausgebaut werden. Das Verständnis dafür muss bei den Bürgern und bei den Politikern wachsen. Eine solidarische Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist Vorläufer einer solchen Weltpolitik, aber sie ist nur ein Teil dessen, was notwendig ist: Die gesamte Politik ist gefordert.

Die Bundesregierung hat mit dem Aktionsprogramm 2015 "Der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut" ein Dokument verabschiedet, das diesen Erfordernissen Rechnung trägt; das Finanzministerium zeigt jedoch keine Bereitschaft, die darin definierte Politik über den bisherigen Rahmen hinaus angemessen zu finanzieren. Es reicht nicht, Strategien zu formulieren, man muss auch bereit sein, sie zu verwirklichen. Es ist wichtig, dass auch die Finanzpolitik der Bundesregierung dieser Einsicht folgt.

Die Memorandumsgruppe legt im Vorfeld der Bundestagswahlen 2002 erneut ihre Forderungen an Bundestag und Bundesregierung vor: Entwicklungspolitik als Teil einer neuen Weltfriedenspolitik.

A) Ziele der Entwicklungspolitik

Für eine solche Politik ist heute ein Handlungsmodell akzeptiert, das nachhaltige Entwicklung mit friedlichen und demokratischen Mitteln durchsetzen will. Das bedeutet:

  • eine politische Entwicklung zum Frieden wo immer möglich ohne militärische Mittel. Die politische Umsetzung nachhaltiger Entwicklung erfordert Demokratie, Beachtung der Menschenrechte, Partizipation und Gleichberechtigung;
  • eine ökonomische Entwicklung, bei der für alle ein menschenwürdiges Maß an wirtschaftlicher Prosperität und Verteilungsgerechtigkeit gewährleistet ist. Dies umfasst die Verpflichtung, Verelendung zu beseitigen und den Zugang aller zu lebenswichtigen Ressourcen und ihrer Kontrolle sicherzustellen;
  • eine soziale Entwicklung, die allen Menschen gerechte Chancen gibt, bei der die kulturelle Identität gewahrt bleibt - solange dies nicht universelle Werte verletzt - und bei der für das Funktionieren einer Gesellschaft wichtige staatliche und nichtstaatliche Institutionen aufgebaut und erhalten werden;
  • eine ökologische Entwicklung, bei der die natürlichen Ressourcen so genutzt werden, dass sie auch zukünftigen Generationen in ausreichender Menge zur Erreichung der sozialen und ökonomischen Ziele zur Verfügung stehen.

Um diese Ziele zu erreichen, müssen klare Strategien verfolgt werden.

B) Strategien der Entwicklungspolitik

1. Nachhaltige Entwicklung als übergreifendes Politikziel

Die Förderung einer menschenwürdigen und friedenssichernden Entwicklung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Entwicklungspolitik hat in der Vergangenheit Vieles erreicht, sie ist aber weder von ihrer politischen Bedeutung noch von ihren Instrumenten oder ihrer Ressourcenausstattung her in der Lage, allein die für dieses übergreifende Politikziel notwendigen Veränderungen der globalen, nationalen und lokalen Rahmenbedingungen herbeizuführen. Das muss vielmehr Aufgabe der gesamten Politik sein.

Auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung hat sich die Völkergemeinschaft 1992 in Rio geeinigt. Der bevorstehende "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung" in Johannesburg wird nicht an der Einsicht vorbeikommen, dass dieses Ziel nur in Ansätzen erreicht wurde, und wird auf seine Durchsetzung erneut und verstärkt drängen müssen.

Wir begrüßen das von der Bundesregierung verabschiedete Aktionsprogramm 2015, das die Forderung einer politischen Gesamtverantwortung aufnimmt und jetzt praktisch umgesetzt werden muss. Die Entwicklungspolitik kann dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie ihre vielfältigen Erfahrungen und Strategien in diesen umfassenden politischen Gestaltungsprozess einbringt und sich für eine entwicklungspolitische Sensibilisierung der anderen Politikbereiche einsetzt.

2. Strukturpolitik

Entwicklung kann nicht allein durch Förderung von Projekten bewirkt werden, sondern bedarf auch der Veränderung entwicklungshemmender Strukturen. Entwicklungspolitik muss deshalb (auf nationaler, regionaler und globaler Ebene) eine Politik struktureller Reformen sein. Einzelprojekte staatlicher wie nichtstaatlicher Träger müssen sich an solchen Reformen orientieren. Das BMZ hat die hier beschriebene Veränderung seines Politikansatzes im Prinzip vollzogen, es versteht seine Politik als "Strukturpolitik für eine kooperative Welt", in der auf politischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene die Entwicklung von Rahmenbedingungen (Normen, Regelsysteme und Standards) gefördert werden soll. Diese Politik muss künftig verstärkt werden.

3. Selbstbestimmung, nicht Fremdpolitik

Entwicklung muss von den betroffenen Menschen selbst verwirklicht werden, Zusammenarbeit von außen kann dabei nur unterstützen und muss sich in die Entwicklungsziele des Landes einordnen. Die Akteure der Entwicklung sind der Staat, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger in ihren Gruppen und Netzwerken. Voraussetzung für Entwicklung ist, dass alle drei entwicklungsorientiert sind und dass sie über die Kapazitäten verfügen, um Entwicklungskonzepte zu entwerfen und ihre Umsetzung zu leiten. Wo dies nicht der Fall ist, muss Zusammenarbeit von außen dazu beitragen, dass die erforderlichen Strukturen sich entwickeln.

4. Koordination

Entwicklung ist da erfolgreich, wo die beteiligten Kräfte und Organisationen sich an der Verwirklichung einheitlicher Konzepte beteiligen und nicht in unterschiedliche, oft entgegengesetzte Richtungen arbeiten. Die Koordination der Entwicklungszusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren verbessert, bleibt aber immer noch hinter den Erfordernissen zurück. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer müssen rascher als bislang die Ausarbeitung einer gemeinsamen europäischen Entwicklungszusammenarbeit sowie verbesserte Koordinationsmechanismen zwischen ihren einzelnen Entwicklungspolitiken vorantreiben. Auch die Koordination innerhalb des multilateralen Systems bedarf erheblicher Verbesserung. Insbesondere bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds können die Europäer ihren Einfluss auf der Basis einer gemeinsamen, koordinierten Entwicklungspolitik verstärken. Die Zusammenarbeit der nationalen Kräfte, der bilateralen und multilateralen Institutionen, der zivilgesellschaftlichen Organisationen und des privaten Sektors wird von Staat und Gesellschaft des betroffenen Landes selbst koordiniert. Dabei brauchen sie Unterstützung von allen anderen Akteuren.

5. Kohärenz

Der Koordination muss eine Kohärenz der Politikbereiche entsprechen, die Abstimmung unterschiedlicher Ressortpolitiken bei jeweils einzelnen Akteuren: beim Entwicklungsland selbst, bei den einzelnen Geberländern, bei der Europäischen Union und dem internationalen System. Die Ziele der Entwicklungspolitik lassen sich nur erreichen, wenn sie von allen Politiken gemeinsam gestaltet werden, von der Wirtschafts- und Außenhandelspolitik, der Agrarpolitik, der Finanzpolitik, der Bildungspolitik, der Umweltpolitik, der Katastrophenhilfe, der Sicherheitspolitik und der klassischen Außenpolitik. Der Beschluss des EU-Entwicklungsministerrats vom 10. November 2000 entspricht diesen Forderungen.

So muss beispielsweise die Subventionierung der europäischen Agrarproduktion und der Agrarexporte so gestaltet werden, dass keine negativen Einflüsse auf die Weltmärkte zu verzeichnen sind, insbesondere aber keine Marktstörungen in Entwicklungsländern hervorgerufen werden. Gleichzeitig sollte der europäische Agrarmarkt in Zukunft stärker geöffnet werden für landwirtschaftliche Produkte aus Entwicklungsländern, insbesondere für weiterverarbeitete Produkte und solche aus nachhaltiger Produktion von Kleinbauern.

C) Unsere Erwartungen an Strukturen und Instrumente der Entwicklungspolitik

Im Hinblick auf Zuständigkeiten, Strukturen und innere Organisation der deutschen Entwicklungspolitik sind in der Vergangenheit Fortschritte gemacht worden. Das gilt auch für die Weiterentwicklung von Konzepten und Strategien. Diese wurden aber zum Teil gar nicht erst wirksam, weil die dem BMZ real zur Verfügung stehenden Mittel in den letzten zwanzig Jahren dramatisch gekürzt worden sind.

Die fehlenden Finanzmittel verhindern Erfolge der Entwicklungs- und damit der langfristigen Sicherheits- und Friedenspolitik in so erheblicher Weise, dass wir unsere Überlegungen und Erwartungen zu den Finanzen hier an den Anfang stellen.

Zum international angestrebten Ziel von 0,7% des Bruttosozialprodukts haben sich seit 1970 alle Bundeskanzler und mit ihnen das Parlament bekannt. Auch vor der Bundestagswahl 2002 haben sich fast alle Parteien, SPD und CDU sogar in Parteitagsbeschlüssen, für dieses Ziel ausgesprochen. Die Realität ist völlig anders.

1. Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit

Die "UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung" in Monterrey hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, für eine umfassende Finanzierung von Entwicklung alle denkbaren Quellen zu erschließen und auszuschöpfen. Dazu zählen die Mobilisierung von mehr Haushaltsmitteln in den Entwicklungsländern selbst, höhere Direktinvestitionen, der internationale Handel als ein Motor für Entwicklung sowie eine Verstärkung der internationalen finanziellen und technischen Zusammenarbeit. Im Hinblick auf die Konferenz hatten sich die Mitgliedsländer der EU auf der vorausgegangenen Ratssitzung in Barcelona Mitte März erstmals zeitlich festgelegt: Sie wollen bis 2006 einen Durchschnittswert von 0,39% des BNE (Bruttonationaleinkommen, seit 1998 international statt Bruttosozialprodukt) erreichen. Länder, die bisher darunter liegen - also auch die Bundesrepublik - verpflichteten sich auf mindestens 0,33%. Bei dieser Festlegung hat sich der Bundeskanzler über Bedenken des Finanzministers hinweggesetzt. Das ist ein Hoffnungsschimmer.

Um diese Verpflichtung richtig einschätzen zu können, muss sie im Zusammenhang mit den drastischen realen Kürzungen der Mittel für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der letzten Jahrzehnte und den dadurch verursachten Einschränkungen ihrer Wirkungsmöglichkeiten gesehen werden.

a) Das 0,7% Ziel: Der Ende der 70er Jahre angewandte Grundsatz einer jährlichen, überproportionalen Steigerung des Entwicklungshaushalts (Einzelplan 23) hatte bis 1983 zu einem Anteil von 0,48% geführt. Seitdem ging es in der Tendenz langsam, seit 1990 steil bergab; bis 1998 war der Anteil auf 0,26% zurückgegangen.

Die Forderung des Memorandums 1998, diesen Trend umzukehren und die Verpflichtungsermächtigungen zu erhöhen, fanden sich fast wörtlich in der Koalitionsvereinbarung von 1998 wieder. In Wirklichkeit jedoch blieb es 1999 bei den beschämenden 0,26%. 2000 gab es eine minimale Steigerung auf 0,27%, 2001 wurden (....) erreicht (wird nachgetragen, sobald die Prozentzahl feststeht).

Berücksichtigt man, dass innerhalb der Gesamtsumme die Mittel für die Nothilfe stark angestiegen sind, so zeigt sich, dass die Gelder für die langfristige Entwicklungszusammenarbeit noch stärker reduziert wurden, als es die Prozentzahlen aussagen.

Bei gleichbleibendem BSP würde bei einer jährlichen Steigerung aller öffentlichen Leistungen für die Entwicklungszusammenarbeit (ODA) um 12% der Anteil von 1982 (0,48%) im Jahre 2007 erreicht, im Jahr 2011 - also vier Jahre bevor die Zahl der absolut Armen halbiert sein soll - dann das angestrebte Ziel. Da sich das BSP aber wahrscheinlich erhöhen wird, sind die erforderlichen Steigerungen noch höher.

Die Verpflichtung im Zusammenhang mit Monterrey dagegen beinhaltet für Deutschland eine jährliche Steigerung der Rate von 0,01% des BSP. Wenn diese Verpflichtung über 2006 hinaus verlängert wird, wäre das Ziel 2043 erreicht.

b) Der Anteil des Einzelplans 23 am Gesamthaushalt ist von seinem Höchststand 1985 (2,57%) über 2,06% im Jahr 1991 (außergewöhnlicher Anstieg der im Bundeshaushalt zu bedienenden Bundesschuld seit 1990 wegen der Vereinigungskosten) nicht nur bis zum Regierungswechsel 1998 (1,73%) sondern auch danach weiter zurückgegangen: 1999 auf 1,62%, 2000 auf 1,50%. Die geringen Erhöhungen für 2001 (1,56%) und 2002 (1,57% inkl. der 102 Mio. Euro im Epl. 60) liegen immer noch deutlich unter dem ohnehin geringen Anteil von 1998.

Dass von den für die Terrorismusbekämpfung erwarteten über 1500 Mio. Euro aus der Erhöhung der Tabak- und der Versicherungssteuer noch nicht einmal 7% für die Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen sind, zeigt, wie gering Regierung und Parlament auch weiterhin die Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit für die Friedenssicherung einschätzen.

c) Alle denkbaren Quellen zur Finanzierung von Entwicklung im "Süden" sind zu erschließen. Dazu gehören Eigenmittel der Entwicklungsländer, Handel, Entschuldung, private Kapitaltransfers, die Austrocknung von Steueroasen und öffentliche Mittel der Industrieländer ebenso wie neue innovative Quellen, so die vom französischen Finanzminister Fabius vorgeschlagene Steuer auf Waffenexporte oder eine Steuer auf Spekulationsgewinne an den internationalen Finanzmärkten (wie die Tobin-Tax), die nicht nur zur Stabilisierung dieser Märkte notwendig ist und deren Realisierbarkeit jüngst in einem vom BMZ in Auftrag gegebenen Gutachten dargelegt wurde.

d) Bei der Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer ist demgegenüber anzuerkennen, dass in den letzten Jahren nicht nur in Absichtserklärungen, sondern auch tatsächlich bedeutende Fortschritte gemacht worden sind, und zwar unter Beteiligung aller Gläubiger. In diesem Zusammenhang sind jedoch weitere Anstrengungen nötig wie die Einführung eines Insolvenzrechts für Staaten.

e) Das Eigeninteresse der Industrieländer als Begründung für EZ sollte stärker als bisher hervorgehoben werden. Die Forderung nach mehr Gerechtigkeit und Solidarität in den internationalen Beziehungen bleibt zwar weiterhin gültig; aber der 11. September hat deutlicher als bisher gezeigt, dass die Bekämpfung von Elend auch im Sicherheitsinteresse der Industrieländer und der ganzen Welt liegt. Dieser Wandel in der Wahrnehmung erfordert Taten, auch und zuvörderst im Haushalt. Die wechselseitige Abhängigkeit von armen und reichen Ländern ist eine Herausforderung für unser langfristiges Überleben in Sicherheit und Frieden.

Wir erwarten

zu a)
dass das BMZ die Forderungen nach einer Trendumkehr bei den EZ-Mitteln unbeirrt weiterverfolgt, und dass Parlament und Bundesregierung einen verbindlichen Zeit- und Stufenplan zur Erreichung des 0,7%-Ziels festlegen - mit einer Steigerungsrate von mindestens 12% aller ODA-Mittel pro Jahr,

zu b)
dass der Haushaltsausschuss und der Finanzminister neue Prioritäten setzen, weil Gelder zur Unterstützung der Entwicklung des "Südens" keine mildtätige Gabe, sondern eine Investition in unsere eigene Sicherheit und die der ganzen Erde sind. Diese Erkenntnis muss in steigenden Haushaltszahlen sichtbar werden,

zu c)
dass die Bundesregierung national wie international nach neuen innovativen Quellen zur Entwicklungsfinanzierung sucht und ihre Überlegungen zur Tobin Tax positiv abschließt; und dass das Parlament sich - wie die französische Nationalversammlung - für ihre Einführung ausspricht,

zu d)
dass die künftige Bundesregierung die bisherige Politik eines differenzierten, aber weitgehenden Schuldenerlasses fortsetzt, dass sie sich für die Einführung eines Insolvenzrechts für Staaten einsetzt und dass sie in den bi- wie multilateralen Beziehungen zum "Süden" insgesamt eine Politik verfolgt, die einen erneuten Anstieg nichtproduktiver Schulden verhindert,

zu e)
dass der Bundeskanzler bei seinen Entscheidungen im EZ-Bereich nicht nur die Einspruchsrechte des Bundesministers der Finanzen berücksichtigt, sondern auch vom Artikel 65 GG (Richtlinienkompetenz) Gebrauch macht, um der weltpolitischen Bedeutung der EZ das ihr zukommende Gewicht zu verschaffen, und damit das von ihm auf den Weg gebrachte nationale "Aktionsprogramm 2015" nicht Papier bleibt.

2. Koordination und Konzentration in der Entwicklungspolitik

Zur Verbesserung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit gehört die Konzentration von ausschließlich oder überwiegend entwicklungsrelevanten Aufgaben und Zuständigkeiten in einem Ressort. Darüber hinaus muss ein verbesserter Mechanismus zur Koordination des BMZ mit anderen Ministerien in auch entwicklungsrelevanten Fragen entwickelt werden. Entsprechendes gilt für die Abstimmung mit anderen Ländern, der EU, den UN und den internationalen Finanzierungsorganisationen.

a) Die Verbesserung der Koordination zwischen den Ressorts ist eine unerlässliche Voraussetzung für die effiziente Bündelung von entwicklungspolitischen Strategien und Maßnahmen bei auch entwicklungsrelevanten Entscheidungen (etwa Außenhandel, EU-Agrarpolitik oder Militäreinsätze zur Friedenssicherung), deren Federführung in den verschiedenen Ministerien verbleibt. Ein Anfang ist unter der jetzigen Regierung mit der Vertretung des BMZ im Bundessicherheitsrat sowie der Prüfung von Gesetzesvorhaben auf Entwicklungsverträglichkeit gemacht worden. Die seit Jahren im Bundestag diskutierten Überlegungen zu einem "Entwicklungskabinett" wurden allerdings nicht fortgeführt.

b) Die Konzentration in einem Ressort vereinfacht und verbessert die Planung und Durchführung bei ausschließlich oder überwiegend entwicklungsrelevanten Maßnahmen, z. B. Ernährungssicherung oder entwicklungsorientierte Nothilfe. Diese können besonders dann eine nachhaltige Wirkung erzielen, wenn über sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der langfristigen EZ in einem Ressort entschieden wird. Es ist deswegen nicht zweckmäßig, dass die humanitäre Hilfe weiterhin beim Auswärtigen Amt (AA) ressortiert, dass trotz Verbesserungen die Zuständigkeiten für entwicklungsrelevante internationale Konferenzen weiterhin auf verschiedene Ressorts aufgeteilt sind, dass beim Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) neu 50 Mio. Euro /Jahr zur Ernährungssicherung in Entwicklungsländern bereitgestellt werden und dass es neben dem vom BMZ finanzierten und in seinem Umkreis seit 1999 etablierten Zivilen Friedensdienst (ZFD) parallele Überlegungen gibt in den Ministerien für Inneres, für Verteidigung und - besonders weit fortgeschritten - im AA mit seinem "Zentrum für Internationale Friedenseinsätze" in Berlin.

c) Die organisatorische Eigenständigkeit des BMZ hat der Bundeskanzler beim Festakt zu "40 Jahre deutsche Entwicklungspolitik" am 7. Nov. 2001 in Bonn öffentlich bekräftigt: "Die Ministerin hat ja deutlich gemacht, wie es mit der Eigenständigkeit des Hauses weitergeht. Sie hat gesagt: Das ist so und das bleibt so. Ich könnte noch hinzufügen: Und das ist auch gut so!" Wir würden es für kurzsichtig halten, wenn nach der Wahl andere Überlegungen zum Zuge kämen.

Wir erwarten

zu a)
dass Bundesregierung und Parlament eine deutlich verbesserte Koordination aller auch entwicklungsrelevanten Entscheidungen und Maßnahmen der verschiedenen Ressorts und Ausschüsse sicherstellen und die Überlegungen zu einem "Entwicklungskabinett" wieder aufnehmen,

zu b)
dass sie die begonnene Konzentration aller ausschließlich oder überwiegend entwicklungsrelevanten Entscheidungen in einem Ressort verstärkt fortsetzen,

zu c)
dass nach der Wahl die Bundesregierung die Eigenständigkeit des BMZ weiterhin sicherstellt und seine Kompetenzen ausbaut und stärkt.

3. Konzentration und Reorganisation im Ministerium

Anders als bei manchen unserer Nachbarn (u.a. Frankreich) ist die Durchführung staatlicher EZ in der Bundesrepublik keine unmittelbare Aufgabe des Ministeriums; sie ist "ausgelagert". Aufgabe des BMZ ist demnach die Erarbeitung und die Festlegung von allgemeinen Kriterien für die EZ sowie die Rahmenplanung, die Mittelbereitstellung, die Evaluierung und die finanzielle Endkontrolle von staatlichen und staatlich geförderten EZ-Maßnahmen. Die Umsetzung der entwicklungspolitischen Leitlinien in konkrete Maßnahmen und deren Ausgestaltung im Detail ist Aufgabe von "Durchführungsorganisationen" wie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) und der neu gebildeten InWEnt gGmbH (Internationale Weiterbildung und Entwicklung, Fusion von CDG und DSE) oder sie liegt in der Verantwortung von Nichtregierungsorganisationen (NRO).

a) Die Konzentration aller Akteure auf ihre jeweiligen Aufgaben und Zuständigkeiten ist die Voraussetzung dafür, dass ein solches System funktioniert; dann werden Kräfte frei für die Förderung einer verstärkten internationalen Strukturpolitik, für eine stärkere Einflussnahme auf die internationalen Finanzierungsorganisationen und auch für eine Stärkung der Entwicklungspolitik in der Außenvertretung der Bundesrepublik. Anderenfalls bleibt das Ministerium hoffnungslos überlastet, bleiben der Erfahrungsschatz der Organisationen und ihre komparativen Vorteile ungenutzt (z. B. Basisnähe oder schnellere Reaktionsmöglichkeit auf unerwartete Veränderungen vor Ort).

b) Ihre Verantwortung für die eigene Entwicklung kann die Partnerregierung oder die Gesellschaft des Partnerlandes dann erheblich besser wahrnehmen, wenn sie in ihrem eigenen Land mit einem in seinen Vollmachten gestärkten Vertreter der deutschen Entwicklungspolitik verhandeln kann. Dieser könnte auch vor Ort zu einer besseren Koordination der Entwicklungsvorhaben der Länder des Nordens durch die Partnerregierung beitragen.

c) Die Konzentration der deutschen EZ auf eine geringere Zahl von Ländern ist zu begrüßen. Die auch im Zusammenhang mit dem 11. September 2002 notwendig gewordene Veränderung der Liste ist nachvollziehbar. Darüberhinaus aber hat der 11. September auch gezeigt, dass man die Verbindungen zu verelendeten Staaten (von denen mehrere nicht in der Liste auftauchen) und ihren nachwachsenden Eliten nicht ohne eigene Gefährdung einfach abbrechen kann. Sie melden sich ungebeten zurück. Die Frage nach der Zusammenarbeit mit solchen Ländern muss daher neu gestellt werden.

Bei demokratisch oder zumindest nicht willkürlich regierten Staaten ist die Antwort relativ einfach: Um sie zu stärken und dem Terrorismus damit zumindest einen Teil seines Nährbodens zu entziehen, bedarf es des politischen Willens und der notwendigen finanziellen Mittel. Ungleich schwieriger wird eine Antwort bei Staaten ohne eine handlungsfähige zentrale Macht ("failed states" wie etwa Somalia) oder bei Terrorregimen wie denen im Sudan oder unter den Taliban in Afghanistan. Denn die EZ braucht, wenn sie nachhaltig sein will, handlungsfähige Partner vor Ort. Antworten wie "Konzentration auf die Zivilgesellschaft" oder "Förderung neuer politischer Strukturen" verbieten sich in der Regel in solchen diktatorisch oder von Kriegsherren beherrschten Ländern.

Diese Frage gehört dringend auf die Tagesordnung von Wissenschaft und Politik. Einen Weg zu Teilantworten könnten die fortdauernde Anwesenheit des DED im Sudan oder die Arbeit der Deutschen Welthungerhilfe in Nordkorea weisen. Ein anderer Teil der Antwort könnte in der Unterstützung regionaler suprastaatlicher Organisationen liegen.

Wir erwarten

zu a)
dass das BMZ sich auf seine zentralen Aufgaben konzentriert, den "Durchführungsorganisationen" die notwendigen und vereinbarten Freiräume in der Gestaltung von Programmen und Projekten gibt und die dadurch frei gewordenen Kräfte für eine Verstärkung der Internationalen Strukturpolitik einsetzt,

zu b)
dass Parlament und Bundesregierung die Voraussetzungen für eine gestärkte Repräsentanz der deutschen Entwicklungspolitik in den Partnerländern schaffen und dass diese vornehmlich dazu genutzt wird, die Koordinationskapazität der Partnerregierung insbesondere im Hinblick auf deutsche und andere EZ-Vorhaben des "Nordens" zu stärken,

zu c)
dass die Bundesregierung und insbesondere das AA und das BMZ sich in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit mit der Friedens- und Entwicklungsforschung mit großer Priorität dem künftigen Verhältnis der Bundesrepublik, der EU und ihrer Bündnispartner zu den verelendeten Staaten dieser Erde zuwenden (darunter auch zu Ländern ohne funktionsfähige staatliche Autorität und zu Terrorregimen), und das vorrangig unter entwicklungspolitischen Aspekten, die auch der langfristigen Sicherheit dienen.

4. Die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen

Zivilgesellschaftliche Organisationen haben in einer Demokratie unterschiedliche Funktionen: Zum einen sind sie neben den Medien Sprachrohr von Bürgerinnen und Bürgern und ihrer gesellschaftlichen Gruppen und artikulieren deren politische Vorstellungen mit dem Ziel, sich in der Öffentlichkeit und bei den Politikern Gehör zu verschaffen. Zum anderen nehmen sie Aufgaben wahr, zu deren Lösung sie nach dem Subsidiaritätsprinzip eher qualifiziert sind als der Staat. In beiden Bereichen muss sie der Staat finanziell unterstützen.

a) Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern des "Südens" ist unter mehreren Aspekten wichtig: Ihre unmittelbare Unterstützung ist ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung von Demokratie, Menschenrechten, Gendergerechtigkeit, Dezentralisierung und Bürgerbeteiligung. Dabei muss das Ziel in der Stärkung von gesellschaftlichen Gruppen liegen, damit diese ihren Forderungen Gewicht verschaffen können. Ob die Regierenden in solchen Gruppen Konkurrenten um die Macht sehen oder deren Potenzial anerkennen und fördern, ist wesentlich für die Entwicklung eines Landes.

Bei Planung und Durchführung von kleinteiligen Programmen haben NRO häufig komparative Vorteile gegenüber Regierungen und Behörden. Darüber hinaus ist im Einzelfall die Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen eines Landes aus politischen Gründen nicht angeraten. In solchen Fällen kommt NRO aus Nord wie Süd eine entscheidende Rolle zu.

b) Die wichtige Rolle der Frau im Entwicklungsprozess zeigt sich immer deutlicher. Das ist in den letzten Jahrzehnten nicht nur in den traditionellen Bereichen wie Gesundheit, Ernährung, Erziehung und Familie sichtbar geworden; Frauen haben vielmehr auch wachsende Bedeutung in Friedensprozessen, bei der Demokratisierung und für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Gesellschaften.

c) Die NRO in ihrer Arbeit verstärkt zu unterstützen, diese Absichtserklärung steht weiterhin im Widerstreit zum immer noch nicht verschwundenen Drang nach Kontrolle im Detail. Die Bewilligungsbedingungen des BMZ für die Ko-Finanzierung von EZ-Maßnahmen der NRO sind zu eng. Die Praxis der Globalzuweisungen an die kirchlichen Hilfswerke auf andere NRO auszudehnen, ist seit Jahren überfällig; denn schließlich müssen NRO, die eine Kofinanzierung erhalten wollen, die Rahmenbedingungen deutscher EZ anerkennen und sich zu einer korrekten Rechnungslegung verpflichten.

Wir erwarten

zu a)
dass die Bundesregierung sich bei Verhandlungen, Vereinbarungen und Verträgen mit Entwicklungsländern dafür verwendet, dass die Arbeit von NRO aus Süd wie Nord nicht über das von Koordinationsnotwendigkeiten gesetzte Maß hinaus eingeschränkt und ihre Zusammenarbeit geduldet und möglichst gefördert wird,

zu b)
dass Bundesregierung und Bundestag bei Zielsetzung, Planung und Durchführung der EZ die wichtige Rolle von Frauen weiterhin berücksichtigen, fördern und stärken und so die positiven Ansätze der letzten Jahre weiterentwickeln.

zu c)
dass Legislative und Exekutive auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene die Gestaltungsfreiheit der NRO innerhalb des entwicklungspolitischen Rahmens anerkennen, die Bewilligungsrichtlinien vereinfachen und die Haushaltsmittel in den relevanten Titeln weiter erhöhen; das gilt für die "Programmarbeit" draußen ebenso wie für die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland.

5. Entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit

Hier gibt es drei Akteure oder Gruppen, die in ihrem je eigenen Bereich für eine zutreffende Unterrichtung der Öffentlichkeit und für eine fachlichpolitische Diskussion unverzichtbar sind: Die Bundesregierung, die "Durchführungsorganisationen" und die NRO. Auch Länder und Kommunen haben hier eine wichtige Aufgabe. Es geht erstens darum, die Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit in ihrer Bedeutung, aber auch in ihren begrenzten Wirkungsmöglichkeiten darzustellen, zum zweiten um die Bildung von Einsicht - auf Grund von ethischen Kriterien und aus Eigeninteresse - in die Notwendigkeit von nachhaltiger Entwicklung und dabei von EZ, zum dritten um die Diskussion der Ziele, Strategien und Instrumente der EZ innerhalb der entwicklungspolitischen Community.

Der Einfluss mächtiger Interessengruppen nötigt allerdings Parlament und Regierung oft stärker als das gesellschaftliche Bewusstsein. Wie anders sind jahrzehntelange Subventionen im Agrarbereich oder Bergbau und milliardenschwere Rüstungsentscheidungen zu erklären? Gab es dazu entsprechende Bildungsarbeit und erst danach die Entscheidungen?

Entwicklungspolitische Bildungsarbeit ist von zentraler Bedeutung zur weiteren Sensibilisierung des gesellschaftlichen Bewusstseins für eine nachhaltige Entwicklung in globaler Verantwortung. Sie wird aber zum politischen Alibi, wenn den vermittelten Zusammenhängen, Einsichten und notwendigen Veränderungsvorschlägen keine nachvollziehbaren Taten folgen. Bildung und Mobilisierung erzeugen kenntnisreichen politischen Frust, wenn von Verantwortung oft geredet, aber nur wenig und unzureichend gehandelt wird.

a) Die Art und Weise der öffentlichen Darstellung der EZ, ihrer Möglichkeiten und ihrer Erfolge, hat zu überzogenen Hoffnungen und dann zu tiefen Enttäuschungen geführt: Die Entwicklungspolitik ist in die "Omnipotenzfalle" geraten. Aufgabe einer langfristig tragfähigen Informations- und Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums muss es sein, die Herausforderungen, Möglichkeiten, Grenzen und Nöte bei der Bewältigung der Aufgaben der Entwicklungspolitik (vor dem Hintergrund relativ bescheidener Mittel) darzustellen und eine für die Akzeptanz der Entwicklungspolitik in der Bevölkerung und bei den Entscheidungsträgern positive öffentliche Atmosphäre zu schaffen.

Für alle Entwicklungsländer zusammen stehen im Haushalt des BMZ pro Jahr knapp 4 Mrd. Euro zur Verfügung. Im Vergleich dazu werden für die notwendige Entwicklung der neuen Bundesländer mit ihrer gut ausgebildeten Bevölkerung seit 1990 pro Jahr über 75 Mrd., also fast zwanzig mal so viel, aufgewendet. Und der Erfolg hat sich selbst dort noch nicht im erwünschten Maße eingestellt.

Diese Ausgaben für die neuen Bundesländer entsprechen ca. 5% unseres BSP, die Mittel für die EZ 0,26%. Betrachtet man außerdem den geringen Prozentsatz, den EZ-Mittel in den Haushalten der meisten Entwicklungsländer ausmachen, wird klar, dass die Vorstellung, hier würden "Riesensummen" ausgegeben, völlig realitätsfern ist.

b) Die Unterstützung der NRO in ihrer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit ist der deutlichste Indikator für das Vertrauen einer Regierung in deren spezielle Fähigkeiten und Möglichkeiten. Obwohl die Wichtigkeit dieser Arbeit für die Akzeptanz von Entwicklungspolitik immer wieder betont wurde, blieb der entsprechende Haushaltstitel von 1982 bis 1997 mit geringen Schwankungen konstant bei ungefähr 4,7 Mio. DM.

Vor der Wahl 1998 hatten Abgeordnete aus den damaligen Oppositionsparteien ein grundsätzliches Umdenken und eine Verdrei- und sogar Vervierfachung dieses Haushaltstitels gefordert. Die Steigerung von 1999 auf 6 Mio. DM entsprach den Ankündigungen nicht, wenn sie auch prozentual beeindruckend war. Die weiteren Steigerungen (2001 auf 3,58 Mio. Euro und 2002 auf 4,1 Mio.) gehen in die richtige Richtung.

Im internationalen Vergleich notiert Deutschland dennoch weiterhin unter "ferner liefen": Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl vertrauen die Schweiz und Österreich ihren NRO für die entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit acht-, die Niederlande über zehn- und die Norweger sogar zwanzigmal mehr Mittel an, als die offiziell auf Subsidiarität verpflichteten Deutschen. Hier liegt auch weiterhin ein großes Potenzial an nichtstaatlichem Engagement brach, das für die Verankerung eines entwicklungspolitischen Bewusstseins in der Bevölkerung unverzichtbar ist - zumal die NRO wegen ihrer größeren Basisnähe in der Öffentlichkeit nicht selten als glaubwürdiger angesehen werden als "der Staat".

c) Auch Kommunen haben sich seit Rio an der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit für nachhaltige Entwicklung beteiligt. Es gibt inzwischen in Deutschland mehr als 2300 lokale Agenda 21 Prozesse, allerdings mit deutlicher Dominanz von Umweltthemen gegenüber sozialen und ökonomischen Zusammenhängen. Wie intensiv Kommunen sich engagieren, liegt zwar zuerst an den Bürgerinnen und Bürgern, ihren Bürgermeistern und Verwaltungen, ist aber auch abhängig von den durch den Bund und die Länder gesetzten Rahmenbedingungen. Ein gutes Beispiel für das Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist die im Dezember 2001 in Bonn eröffnete "Servicestelle Kommunen in der Einen Welt".

d) Der interkulturelle Dialog ist wesentliches Element auch der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit. Um ihn zu verstärken, benötigt das BMZ höhere Haushaltsmittel zur Förderung der interkulturellen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den Entwicklungsländern. Nicht zuletzt in der Agenda-Diskussion kann durch interkulturellen Dialog und Auseinandersetzung mit Weltbildern anderer Kulturen mehr Bereitschaft und Offenheit geschaffen werden für neue zukunftsfähige Lebensstile und für ein Leben in Verantwortung für die Eine Welt.

Wir erwarten

zu a)
dass Parlament, Bundesregierung, "Durchführungsorganisationen", NRO und andere Akteure auch weiterhin die Erfolge und Misserfolge der EZ in der Öffentlichkeit bekanntmachen, sie aber immer ins richtige Verhältnis setzen zu der wahren Größe der zu bewältigenden Aufgaben,

zu b)
dass das BMZ bei der Aufstellung und das Parlament (insbesondere der Haushaltsausschuss) bei der Bewilligung künftiger Haushalte die Tendenz der letzten Jahre fortsetzen, die Mittel für die entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit überproportional zu erhöhen,

zu c)
dass die vom Bund (wie von den Ländern) gesetzten Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie einem intensiveren Engagement der Kommunen in der entwicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit förderlich sind und der Zusammenarbeit zwischen den drei Ebenen dienen,

zu d)
dass die Bundesregierung und insbesondere das BMZ die Vielzahl und die Vielfalt der Anregungen aus dem "UN-Jahr 2001 - Dialog zwischen den Kulturen" stärker wahrnimmt, fördert und weiterentwickelt.

Schlussappell

Die Memorandumsgruppe appelliert eindringlich an die Wählerinnen und Wähler, zur Bundestagswahl im September 2002 den Ursachen der weltweit wachsenden Sicherheitsrisiken größte Aufmerksamkeit zu schenken, insbesondere den nachlassenden Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung. Investitionen in Entwicklung sind Investitionen für den Frieden.

Jahrzehnte deutscher Entwicklungspolitik haben ein weltweites Netz von Kontakten und Erfahrungen aufgebaut, deren Erfolge oft durch gegenläufige andere Politiken unterlaufen werden. Verelendung fördert Gewalt, zerstört die Umwelt und verhindert nachhaltige Entwicklung. Der aktuelle Reflex einer weltweit dramatischen Erhöhung von Militärausgaben bei gleichzeitiger Vernachlässigung der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit verschärft - zum Prinzip erhoben - die Spannungen, erhöht die Ressourcenverschwendung und eröffnet keine Perspektiven für die Zukunft. Wir fordern den im September 2002 neu gewählten Bundestag und die dann neu gebildete Bundesregierung auf, die Chancen, welche die Entwicklungspolitik für eine neue Weltfriedenspolitik bietet, konsequent zu nutzen.

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