Computerausbildung für Mädchen in Guinea. Foto: Ina ZeuchConakry (epo.de). - "Vielleicht will ich einmal Abitur machen oder eine Ausbildung in einer Schneiderei. Auf jeden Fall würde ich gerne einen Job haben. Aber ich will auch heiraten und Kinder bekommen", wünscht sich Aissata Konté, zwölf Jahre alt und in der 5. Klasse der Grundschule von Labé in Zentral-Guinea. Sie sitzt in einer Klasse von 30 Mädchen, die neben dem Schulunterricht Schneidern lernen und ist eine von vier Schülerinnen, die schon an der Nähmaschine arbeiten dürfen. Dass sich ein Mädchen für seine Zukunft noch etwas anderes als Heirat und Familie vorstellen könnte, ist nicht selbstverständlich. Ein Bericht von Ina Zeuch.

Denn genau das ist die Rolle, für die sie in dem traditionellen, stark muslimisch geprägten Kontext in der bergigen Region des Fouta Djalon hauptsächlich vorgesehen sind. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in dem westafrikanischen Land beträgt zwischen 80 und 90 Prozent. In aller Regel werden die Mädchen von ihren Familien hier frühzeitig für die Hausarbeit und oft auch schon zum Broterwerb herangezogen.

Die Konsequenzen spiegeln sich in den Einschulungsraten: Landesweit betrug die Bruttoeinschulungsrate 78 Prozent für den Jahrgang 2005/2006; von den Mädchen wurden aber nur 70 Prozent eingeschult. In der Region Labe sind es sogar nur 65 Prozent der Mädchen von 70 Prozent aller eingeschulten Kinder. Hinzu kommt, dass viele Mädchen die Schule vorzeitig und ohne Abschluss verlassen, denn bei der Vielzahl ihrer Pflichten kommt das Lernen oft zu kurz. Erschwerend kommen noch die in vielen Regionen übliche Zwangsheirat  - oft schon mit 14 Jahren - und frühe Schwangerschaften hinzu.

Mädchenförderung ist in Guinea unerlässlich, um das Millenniumsziel des gleichberechtigten und universellen Zugangs zu Primarschulbildung umzusetzen. Zusammen mit Niger und Tschad gehört das Land zu den Staaten mit den weltweit niedrigsten Einschulungsraten für Mädchen.

GTZ- PROJEKT ZUR FÖRDERUNG VON MÄDCHEN

Seit 1996 arbeitet das Projekt PAPEBMGUI (Projet d’Appui à l’Education de Base en Moyenne Guinée / Förderung zur Grundschulbildung in Zentralguinea) in Labé mit seinen fünf Präfekturen. 2003 wurde die Arbeit auf die etwa 120 Kilometer südlich gelegene Region um die Region Mamou ausgeweitet: Damit ist die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) in zwei sehr unterschiedlichen Regionen Guineas tätig – beide gehören zum ärmsten Teil des Landes.

Was das bedeutet, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass 40 Prozent aller Guineer mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen müssen – auf dem Lande sind es sogar 60 Prozent. Labé ist überwiegend von der Ethnie der Peul bewohnt und einsprachig. Mamou ist wesentlich kleiner, multi-ethnisch und vielsprachig.

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Der staatliche Partner des Bildungsprojektes ist das Bildungsministerium. Die vom Projekt entwickelten Ansätze und Strategien sind Teil des nationalen Bildungssektorprogramms. PAPEBMGUI dient dabei einerseits der Dezentralisierung des guineischen Bildungssektors und der Lehrerfortbildung. Die beiden anderen Schwerpunkte liegen in der gezielten Förderung von Mädchen und der HIV/AIDS-Prävention.

1998 traten die religiösen Führer erstmals über das regionale Radio und als Imame in den Moscheen für die Ausbildung von Mädchen ein. Damit kam man einen entscheidenden Schritt voran: Denn jede gesellschaftliche Veränderung muss im Islam verankert werden, und die Breitenwirkung über das Radio und in den Moscheen trug erheblich dazu bei, die Bevölkerung für Mädchenbildung zu gewinnen. Diese Radiosendungen werden in lokalen Sprachen bis heute fortgeführt.

SPEZIELLES FÖRDERPROGRAMM FÜR DIE SCHWÄCHEREN

Für die Förderung von Mädchen wurde die Maßnahme FIERE (Filles Educées Reusissent / Gebildete Mädchen haben Erfolg) eingerichtet. Das französische Wort fiere bedeutet "Stolz" und steht für das gestärkte Selbstvertrauen gebildeter Mädchen. Zweimal in der Woche erhalten die schwächsten Schülerinnen der 5. und 6. Klassen der Primarschulen Förderunterricht in Mathematik und Französisch, um ihre schulischen Leistungen zu verbessern und den Abschluss zu schaffen. Sie stammen oft aus sozial schwachen Familien.

Im normalen Schulbetrieb bestehen die Klassen aus bis zu 60 Schülern und Schülerinnen, doppelt so viele wie in den FIERE-Klassen. Viele Kinder hier folgen dem zumeist autoritär geführten Unterricht apathisch und wirken eingeschüchtert. FIERE zeichnet sich dagegen durch aktive Lehrmethoden wie das Arbeiten in Gruppen, freies Sprechen vor der Klasse und spielerischen Umgang mit dem Lehrmaterial aus.

Das führte zu einem respektablen Erfolg: 72 Prozent der FIERE-Mädchen konnten die Schule abschließen. Um diese für Guinea neuen pädagogischen Ansätze anwenden zu können, mussten zunächst die an FIERE beteiligten Lehrerinnen weitergebildet werden. Alle am Projekt beteiligten Lehrerinnen kommen aus den staatlichen Bildungssektor und werden auch vom guineischen Staat bezahlt. Sie unterrichten weiterhin an den staatlichen Schulen.

"Früher existierte kein Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrern", erläutert Mariama Balde, Grundschullehrerin und eine von insgesamt sieben Ausbilderinnen für Lehrerinnen. "Jetzt stellen wir fest, dass selbst die Mädchen, die vorher schlecht in der Schule waren und vor Schüchternheit kaum zu sprechen wagten, besser lernen, weil sie nicht mehr so viel Angst haben."

Dazu kommt, dass die FIERE-Klassen nur aus Mädchen bestehen und die Lehrerinnen für die spezielle Situation von Mädchen sensibilisiert und geschult werden. Als zweigleisigen Ansatz bietet FIERE außerdem eine einjährige außerschulische Weiterbildung ab der 5.Klasse an, in denen die Mädchen in ihrer Freizeit Stricken, Haushaltsführung, Schneidern und Gartenarbeit lernen können.

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Ganz besonders beliebt sind die Computerkurse im eigenen FIERE-Zentrum in Labé. Denn ein Mädchen in der Schule ist eine fehlende Arbeitskraft zu Hause. Es gilt daher, den Wert von Bildung als Ressource für die ganze Familie sichtbar zu machen. Wenn ein Mädchen zu Hause einen Garten anlegen oder mit dem verdienten Geld die Familie unterstützen kann, - wie Aissata es vielleicht einmal als Schneiderin vorhat -, sind das greifbare Erfolge von Bildung.

FORTBILDUNGEN AUCH FÜR MÜTTER

Um den Verbleib der Mädchen in den Schulen zu fördern, werden auch Mütter in Fortbildungen unterstützt. Denn sie sind traditionell für die Erziehung der Kinder verantwortlich und geben ihre eigene Unterdrückung oft ungewollt an die Töchter weiter. Von zwei Ausbilderinnen werden Mütter als Tutorinnen für jeweils eine Gemeinde oder ein Stadtviertel zur Weiterbildung der anderen Mütter angeleitet.

20 Tutorrinnen führten seither Schulungen für über 600 Mütter durch, die sechs Unterrichtseinheiten enthalten. In ihnen kommen alle wichtigen Themen zur Sprache: Bildungsfragen, die eklatante Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, aber auch die Genitalverstümmelung (FGM) von Mädchen und Zwangsheirat. Sowohl FGM wie die Zwangsheirat sind in Guinea verboten.

Die Fortbildungen für die Mütter finden einmal im Monat statt. In freien Rollenspielen und Dialogen können sie Argumente einüben, die es ihnen ermöglichen, in einem bildungsfernen Umfeld für ihre Entscheidung einzustehen. Zusätzlich können sie auch als Multiplikatorinnen für Mädchenbildung werben.

In den polygamen Familien setzt das eine Kommunikation der Frauen untereinander und zwischen Müttern und Töchtern in Gang. Das Argument von der "unmännlichen" Hausarbeit – eines der wesentlichen Hinderungsgründe für den erfolgreichen Schulbesuch von Mädchen – kommt ebenfalls zur Sprache: Hier dienen die im Ausland erfolgreichen Migranten als Vorbilder, denn sie verrichten ihre Hausarbeit selbst und üben außerdem oft auch noch "unmännliche’ Jobs aus: Als Kellner, Küchenhilfen oder Reinigungskräfte finanzieren sie ihr Studium oder unterstützen ihre Familien zu Hause.

"FIERE hat die Verhältnisse in den Familien verändert", resümiert Fatoumata Souare, eine engagierte Tutorin, die seit Dezember 2005 Mütter ausbildet. Und ihre Kollegin, Rouginata Bah, ergänzt lachend: "Jetzt müssen auch die Jungs einen Teil der Hausarbeit übernehmen. Es gibt nun Väter, die sich für ihre Mädchen interessieren und Jungen, die jetzt auch in eine Klasse von FIERE wollen."

SEXUELLE AUFKLÄRUNG ALS WEITERER SCHWERPUNKT

Neben Einschulung und Lehrerfortbildung kommt als weiterer Schwerpunkt die sexuelle Aufklärung der Mädchen hinzu. Dass Mädchen aufgeklärt in die Ehe gehen sollten, wird auch von den religiösen Führern befürwortet und unterstützt. Den Einsatz von Präservativen lehnen sie allerdings ab, da dies ihrer Meinung nach zur vorehelichen Sexualität verführt, die als promiskuitives Verhalten ("vagabondage sexuelle") verurteilt wird.

Bei diesem sensiblen Thema sind die interaktiven Lehrmethoden besonders hilfreich. In selbstgeschriebenen Gedichten und Sketchen erarbeiten und spielen die Schülerinnen Szenen über die gesundheitlichen Auswirkungen der Beschneidung, sexuelle Belästigung oder zum Thema Aids. Gender und sexuelle Aufklärung bilden jeweils ein eigenes Modul in allen Fortbildungseinheiten.

Daneben werden fünf Broschüren mit vielen Comiczeichnungen und Fotos zur sexuellen Aufklärung verteilt, die die GTZ in Zusammenarbeit mit guineischem Fachpersonal erstellt hat. Der übliche Dreiklang "Treue, Abstinenz, Kondome" wird hier eindeutig zugunsten der Verwendung von Kondomen entschieden. Damit setzen sie sich von der islamischen Lehrmeinung ab, tragen jedoch der Realität junger Menschen Rechnung, die durchaus vorehelichen Sex mit wechselnden Partnern praktizieren.

Auch gegen die Diskriminierung von HIV-Infizierten und Aidspatienten wird geworben. Alle wichtigen Multiplikatoren wie Grundschullehrer, ausgesuchte Weiterbilder, Supervisoren und Studenten als Co-Erzieher, die die Informationen in die Universitäten tragen und mit den regionalen Gesundheitszentren zusammen arbeiten, bilden den Rahmen für das Aufklärungsprogramm, das weit über die Schulen hinaus geht. Alle Beteiligten verfügen über ihre jeweils eigenen Evaluierungsformulare, die eine genaue Datenerhebung und Überwachung der Maßnahmen ermöglichen. Beantwortet werden muss, wann und wo ein Workshop stattgefunden hat, wie viele Frauen und Männer gekommen sind, wie viele Broschüren verteilt wurden bis hin zu Befragungen der Teilnehmer.

DIE SPIRALE DER ARMUT UNTERBRECHEN

"Der Bedarf an Information ist enorm", berichtet Dr. Kadiatou Baldé, seit September 2004 für die HIV/AIDS Aufklärung mitverantwortlich. "Wenn wir eine Fortbildung in einer der Schulen anbieten, die üblicherweise 30 Schüler umfasst, sind die Klassen brechend voll, weil einfach alle kommen, die davon gehört haben. Erstaunlicherweise wird die Aufklärungsarbeit auch von den Eltern gut angenommen. Ihr Bedarf an Information ist groß, weil sie ja oft genug selbst nicht aufgeklärt wurden."

Insgesamt wurden 2007 fast 1.000 Mädchen in schwierigen Situationen von den FIERE-Klassen unterstützt. Vielleicht werden sie einmal zu einer neuen Generation von Frauen heranwachsen: selbstbewusster, ihrer Rechte gewahr und besser ausgebildet.

Diese Frauen werden oft später und auf freiwilliger Basis heiraten. Selbst von FGM verschont, werden sie auch ihren Töchtern die Genitalverstümmelung ersparen. Sie werden weniger Kinder haben, ihnen aber bessere Chancen auf eine solide Ausbildung bieten können. So könnten sie die Spirale der Armut unterbrechen helfen. PAPEBMGUI und FIERE haben damit den Anfang gemacht und gezeigt, dass es trotz starker Traditionen und islamischen Hintergrund möglich ist, Mädchen erfolgreich zu fördern.

Ina Zeuch ist Bildende Künstlerin und freie Journalistin in Königswinter. Sie hat das Projekt in Guinea im Auftrag der GTZ im vergangenen Jahr besucht. Ihr Artikel wurde zuerst in der GTZ-Zeitschrift "akzente" publiziert.