Drastische Kurseinbrüche an Börsen von Shanghai bis Sao Paulo sind nur ein Zeichen für das Übergreifen der Krise. So sind die Risikoprämien auf Anleihen von Entwicklungsländern auf den höchsten Stand seit sechs Jahren gestiegen. Vielen Ländern fällt es zunehmend schwer, sich extern zu finanzieren, wie z. B. fehlgeschlagene Bond-Auktionen in Philippinen und Indonesien zeigen. Auch stehen die Währungen zahlreicher Entwicklungs- und Schwellenländer unter starkem Abwertungsdruck, und angespannte Geldmärkte führen nun auch dort zu Liquiditätsengpässen von lokalen Finanzinstituten. Der Bank run auf Indiens zweitgrößte Bank ICICI verdeutlicht die wachsende Nervosität in einem Land von dem viele lange dachten, es sei aufgrund von Kapitalverkehrskontrollen und einem stark regulierten heimischen Finanzsektor von den Entwicklungen in den Weltfinanzmärkten isoliert.
Wie schwer die Krise einzelne Entwicklungs- und Schwellenländer wirklich treffen wird, ist derzeit schwer abzusehen und hängt auch von den länderspezifischen Situationen ab. So gibt es einige Länder, beispielsweise Vietnam, die schon seit geraumer Zeit aufgrund hoher Inflationsraten und anhaltender Leistungsbilanzdefizite als Krisenkandidaten gehandelt werden und bei denen sich die Probleme nun weiter verschärfen werden. Pakistan, die Ukraine und Weißrussland sind bereits in Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) getreten und verhandeln über Nothilfen.
Es gibt mehrere Ansteckungskanäle über die sich die Krise weltweit – und nun eben auch in Entwicklungs- und Schwellenländern – ausbreitet. Vermögenseffekte, also Abschreibungen aufgrund eines Werteinbruchs oder Totalausfalls von Anlagen in Krisenprodukte (z. B. Derivate) oder bei Kriseninstituten (z. B. Anleihen von Lehman Brothers), werden für die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer als eher gering eingeschätzt. Obwohl große Summen aus Asien, dem Mittleren Osten und Lateinamerika in den letzten Jahren in die USA geflossen sind, wurden diese größtenteils in sicheren Staatspapieren angelegt.
Deutlich stärker dürften die Ansteckungseffekte über den sogenannten Finanzkanal sein. Die Finanzinstitute in den Industrieländern sind unter Stress und ziehen Investitionen aus Entwicklungs- und Schwellenländern ab um Liquidität zu erlangen. Bereits jetzt kämpfen viele Länder mit den Konsequenzen von ausbleibenden Zuflüssen frischen Kapitals oder gar Kapitalabflüssen, was sich sowohl in Liquiditätsengpässen und steigenden Finanzierungskosten als auch in Abwertungsdruck auf die Währungen zeigt. So fühlten sich beispielsweise die Zentralbanken von Brasilien, Mexiko, Indien, Indonesien, Thailand, Vietnam und vielen anderen Ländern genötigt, in den Devisenmärkten zu intervenieren um die heimische Währung zu stützen. Die Vorstellung, Entwicklungs- und Schwellenländer könnten durch ihr starkes Wachstum die Weltwirtschaft retten ist einer neuen Einschätzung von Emerging market risk gewichen. Als sicherer Hafen wird heute kaum noch ein Entwicklungs- oder Schwellenland gesehen, zumal Anlagen in vielen dieser Länder aufgrund der umfassenden Einlagegarantien welche die USA und europäische Regierungen für ihre Bankensektoren gegeben haben weniger attraktiv geworden sind. Steigende Finanzierungskosten werden zwangsläufig zu einem Rückgang von Investitionen und somit auch zu einem Rückgang des Wachstums in den Entwicklungs- und Schwellenländern führen.
Wichtige Effekte auf die Realwirtschaft dürften sich zudem über die internationalen Handelsverflechtungen ergeben. Ein zu erwartender Produktions- und Konsumrückgang in den USA und Europa – welche nach wie vor über die Hälfte der Weltwirtschaft ausmachen – wird unweigerlich zu Exporteinbrüchen und damit auch Wachstumsabschwächungen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern führen. Wachstumsrückgänge oder gar Rezessionen in den Industrieländern werden zu einem weiteren Absinken der Öl- und Rohstoffpreise führen, was je nach Export- und Importstruktur zu positiven oder negativen Effekten für die einzelnen Länder führen wird. Für viele Rohstoff- und Energieexporteure in Afrika, Asien und Lateinamerika wird dies Verluste von Exporteinnahmen bedeuten, wohingegen Rohstoff- und Energieimporteure entlastet werden.
Die Wachstumseinbrüche in den Industrieländern dürften zudem Auswirkungen auf Finanztransfers aus Industrieländern in arme Länder haben. Es zeigt sich schon jetzt ein Rückgang in den Überweisungen von Migranten an ihre Familien in ihren Heimatländern – für viele ärmere Länder eine wichtige Devisenquelle. So sind die Transfers aus den USA nach Mexiko, El Salvador und Honduras bereits merklich gesunken.
Was ist zu tun, um die Entwicklungsländer vor massiven Einbrüchen zu schützen?
Das Krisenmanagement für die nächsten Monate stützt sich im wesentlichen auf das bestehende Institutionengefüge. Trotz aller Kritik an der asymmetrischen Governance der internationalen Finanzinstitutionen – sie sind einsatzbereit, wenn es darum geht, den Entwicklungsländern beizustehen:
- Der IWF führt bereits Gespräche über Zahlungsbilanzkredite mit einer ganzen Reihe von Ländern. Er wird die Fehler der Asienkrise, wo er mit zweifelhaften Politikempfehlungen Schaden verursacht hat, nicht wiederholen. Die Mittel, die der IWF zur Verfügung hat, werden allerdings nicht ausreichen, wenn sich die Krise in den Schwellenländern weiter verschärft.
- Weltbank-Präsident Zoellick hat bereits angeboten, die Ausleihungen der IBRD kurzfristig zu verdoppeln. Mit schnell abfließenden Policy Loans kann damit den Middle Income Countries geholfen werden.
- Die Regionalen Entwicklungsbanken können ebenfalls ihre Ausleihungen massiv hochfahren und damit antizyklisch zu den privaten Kapitalmärkten vorgehen. Sie brauchen dazu möglicherweise Kapitalerhöhungen, die bei entsprechendem politischen Willen schnell umgesetzt werden können. Die dabei unvermeidlich auftauchende Frage einer Neuverteilung von Stimmrechten muss gegebenenfalls vertagt werden um ein schnelles Handeln sicherzustellen.
- Die Weltbank-Tochter IFC (International Finance Corporation) und ihre bilateralen Schwesterorganisationen können in einer koordinierten Aktion zur Re-Kapitalisierung von Bankensystemen in Entwicklungsländern beitragen.
- Die öffentlichen Entwicklungshilfe-Geber sollten die bevorstehende Entwicklungsfinanzierungs-Konferenz Ende November 2008 in Doha dazu nutzen, ihre bereits gemachten Zusagen zur Erhöhung der Hilfe für die ärmsten Länder zu bekräftigen. Alles andere wäre ein verheerendes Signal.
Die Hauptlast der Krisenbewältigung zugunsten der Entwicklungsländer liegt also noch bei den bestehenden Institutionen. Wenn sich die Staatschefs bei den anstehenden globalen Konferenzen mit dem Grand Design für ein neues System beschäftigen, sollten sie die Chancen der Krisenbewältigung und die Entscheidungen, die dafür kurzfristig zu fällen sind, nicht vergessen.
© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik 2008