Bayreuth (epo.de). - Die Afrikaforschung an der Universität Bayreuth arbeitet gemeinsam mit internationalen Partnern bereits seit mehreren Jahren daran, die Funktionen und Wirkungen von einflussreichen außerstaatlichen Organisationen, Autoritäten und Machtgruppierungen genauer zu verstehen. Eine jetzt erschienene Aufsatzsammlung zu dieser Thematik vereinigt unter dem Titel "Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa" neue Forschungsarbeiten, die sich mit der Herausbildung neuer Machtfaktoren in verschiedenen afrikanischen Ländern befassen. Die erstmals publizierten Fallstudien untersuchen politische und soziale Prozesse in Kenia, Somalia, Kongo, Tschad, Gambia, Ghana und Mosambik.
Die Aufsatzsammlung "Beside the State. Emergent Powers in Contemporary Africa" will Entwicklungen wie Regionalkonflikte und Bürgerkriege, Friedens- und Demokratisierungsprozesse verstehen, die neue politische und gesellschaftliche Konstellationen hervorbringen. Akteure sind dabei auch nichtstaatliche Milizen, Oberhäupter von ethnischen Gruppen, religiöse Autoritäten oder zivile Organisationen, die in Fragen der ökonomischen und sozialen Entwicklung erfolgreich als Vertreter lokaler Interessen agieren.
Herausgeber sind Georg Klute, Professor für Ethnologie Afrikas an der Universität Bayreuth, und seine italienische Kollegin Alice Bellagamba, die in den Jahren 2004/2005 als Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bayreuth forschte hat und jetzt an der Universität Mailand lehrt.
Allen Beiträgen liegt ein Forschungsansatz zugrunde, den die Herausgeber als "analytischen Empirismus" charakterisieren. Ausgehend von der Feldforschung werden Entwicklungen und Strukturen in ausgewählten Regionen Afrikas mit einer Begrifflichkeit untersucht, die sich auf die komplexen lokalen Gegebenheiten einlässt und sich daher von traditionellen Stereotypen der europäischen Afrikaforschung löst.
Dabei wird nach Darstellung der Autoren deutlich, "dass eine einseitige Orientierung an hierarchischen Strukturen des europäischen Territorialstaats ein angemessenes wissenschaftliches Verständnis behindert". Es handele sich nicht notwendigerweise um Defizite oder Verfallserscheinungen staatlicher Ordnung, wenn nicht-staatliche Akteure sich zu gewichtigen politischen Machtfaktoren entwickeln. Wenn es darum geht, die Rolle dieser Akteure in Afrika zu beschreiben und zu bewerten, scheine vielmehr das Konzept der "Heterarchie" geeignet. Es geht von einer Pluralität staatlicher und nicht-staatlicher Machtfaktoren aus, die sich wechselseitig ergänzen und stärken, aber auch bekämpfen und zurückdrängen können.
Von diesem konzeptionellen Ansatz aus bietet die Aufsatzsammlung ein durch Feldforschungen fundiertes Bild von der Vielfalt postkolonialer Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent. Nichtstaatliche lokale Organisationen in Kenia, die sich aufgrund demokratischer Entwicklungen in den 90er Jahren entfalten konnten, werden ebenso thematisiert wie beispielsweise die sozialen und rechtspolitischen Funktionen von "Häuptlingen" in Mosambik und Ghana, die Wirkungsmöglichkeiten geistlicher Autoritäten in Gambia, die militanten Aufstände der Tuareg im nördlichen Mali oder die Einflüsse, die Stammesälteste auf die autonome Regierung in Somaliland ausüben.
Die Fallstudien zeigen, wie rasch sich derartige Konstellationen in Afrika ändern können: "Außerstaatliche Kräfte, die heute einen wesentlichen Beitrag zur lokalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten, können schon morgen gesamtstaatlich organisierten Modernisierungsprozessen im Weg stehen." Zugleich lasse sich in einigen Regionen Afrikas aber auch beobachten, dass rechtsstaatlich orientierte Reformprozesse und die Organisation demokratischer Willensbildungsprozesse durchaus verbunden sein können mit einem verstärkten Einfluss "traditioneller Autoritäten" und lokaler kultureller Wertvorstellungen. Diese wiederum könnten raschen Modifikationen unterworfen sein.
Alice Bellagamba and Georg Klute (eds.)
Beside the State. Emergent Powers in Contemporary AfricaReihe: Topics in African Studies, Band 10
Rüdiger Köppe Verlag, Köln 2008
234 Seiten, € 34,80 - ISBN 978-3-89645-254-2
Quelle: Universität Bayreuth
www.ethnologie.uni-bayreuth.de