Berlin (epo.de). - Die euopäischen Staats- und Regierungschefs, die in der G20 Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer vertreten sind, wollen künftig eine lückenlose Aufsicht und Regulierung der Finanzmärkte. Dazu sollen die internationalen Finanzinstitutionen aufgewertet werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) soll zu diesem Zweck doppelt soviel Mittel erhalten wie bisher. Auch die Weltbank und die regionalen Entwicklungsbanken sollen gestärkt werden, heißt es in einer vom
Bundespresseamt verbreiteten Erklärung vom Sonntag, die das Ergebnis des europäischen G20 Vorbereitungstreffens im Bundeskanzleramt in Berlin zusammenfasst.
Die europäischen G20-Partner wollen nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer "gemeinsamen kraftvollen Position" nach London reisen, wo am 2. April das nächste G20-Krisentreffen stattfindet. Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise könne die Welt schließlich nur gemeinsam lösen. Neben den Staats- und Regierungschefs und den Finanzministern von Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und der Niederlande sowie Tschechiens und Luxemburgs als Vertretern der Europäischen Union und der Eurozone nahmen die Chefs der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Bank of England teil.
Der IWF und das UN-Forum für Finanzstabilität der G7-Staaten sollen über die Fortschritte bei der Umsetzung der 47 Vorschläge des G20-Aktionsplans vom November 2008 wachen. Beide Institutionen sollen darüber hinaus eine zentrale Rolle in einem internationalen Frühwarnsystem vor Krisen spielen. Großbritanniens Premier Gordon Brown sprach von einem weltweiten "New Deal".
Alle Finanzmärkte, -produkte und Marktteilnehmer sollen laut Bundespresseamt "lückenlos und unabhängig davon, wo sie ihren Sitz haben, einer angemessenen Aufsicht oder Regulierung unterstellt werden". Dies gelte vor allem für private Anlagegesellschaften einschließlich Hedgefonds. Rating-Agenturen, die Unternehmen bewerten und damit großen Einfluss auf die Börsen haben, wollen die Europäer ebenfalls registriert und kontrolliert wissen.
Die Ergebnisse des Berliner Treffens sollen auch in die Diskussion des Europäischen Rates einfließen, der am 19. und 20. März in Brüssel stattfindet. Dort beraten noch einmal alle 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union.
Mitte November 2008 hatten die reichsten Industrienationen und Schwellenländer ("G20") in Washington erstmals über eine neue Weltfinanzordnung diskutiert. Seitdem arbeiten die G20-Finanzminister in vier Arbeitsgruppen daran, den beschlossenen 47-Punkte-Plan http://www.tagesspiegel.de/politik/international/G-20;art123,2735565 umzusetzen. Dabei geht es um akutes Krisenmanagement für den Bankensektor und die Wirtschaft, aber auch um langfristige Reformen der internationalen Finanzmärkte. Beim Gipfel Anfang April in London sollen die Fortschritte überprüfte werden.
DOHA-RUNDE WIEDERBELEBEN?
Die europäischen G20-Mitglieder wollen einer drohenden Abschottung nationaler Märkte durch protektionitische Maßnahmen entgegenwirken. Freier Handel und offene internationale Investitionsflüsse seien entscheidend für die wirtschaftliche Stabilisierung in der Welt, heißt es in einer Verlautbarung des Berliner Gipfels. "Dabei setzen die Europäer vor allem auf weitere Verhandlungen unter Regie der Welthandelsorganisation (WTO) in der sogenannten Doha-Runde", so das Bundespresseamt. Die Doha-Runde war allerdings bereits mehrfach für gescheitert erklärt worden.
Die EU-Vertreter wollen offenbar auch die von deutscher Seite mehrfach vorgeschlagene "Charta für nachhaltiges Wirtschaften" unter dem Dach der Vereinten Nationen unterstützen. Sie solle dazu beitragen, "dass sich eine Krise wie die aktuelle nicht wiederholt", so die Bundesregierung. Deutsche Experten hatten in der vergangenen Woche darüber hinaus eine Risikokarte und ein internationales Kreditregister vorgeschlagen. Beides solle die Politik in die Lage versetzen, Risiken der Finanzmärkte und für die gesamte Wirtschaft früher erkennen zu können.
FOLGEN FÜR ENTWICKLUNGSLÄNDER
Das Koordinierungstreffen europäischer Regierungschefs zum bevorstehenden Londoner G20-Gipfel berücksichtigte, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklungsländer hat. Die Delegationen bekräftigten die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu denen u.a. die Halbierung der Armut bis zum Jahr 2015 gehört. "Wir begrüßen diese Zusicherungen, aber wir brauchen konkrete Schritte", sagte dazu der Deutschlanddirektor der
entwicklungspolitischen Organisation ONE, Tobias Kahler.
Kahler erklärte, es sei im Interesse Europas, "jetzt antizyklische Investitionen im Nachbarkontinent Afrika anzustoßen. Den ärmsten Ländern muss Mitspracherecht in den internationalen Finanzinstitutionen gegeben werden und wir brauchen eine greifbare, kohärente Politik für eine gerechtere Welthandelspolitik."
ATTAC: WACHSWEICHE FORMELN
"Regulieren reicht nicht! Schutzschirm für Menschen und Umwelt! Die Reichen müssen zahlen - weltweit!" Diese Forderung erhob das
globalisierungskritische Netzwerk Attac am Sonntag mit einer Aktion vor dem Kanzleramt in Berlin. "Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen sich zurzeit gern verbalradikal geben - die bisher bekannt gewordenen Pläne der G20 lassen nur einen Schluss zu: Mit wachsweichen Reformen wollen sie die internationalen Finanzmärkte gerade so weit regulieren, dass sie ihre bisherige Rolle wieder übernehmen können. Gewinne sollen privatisiert bleiben, Verluste sozialisiert werden", sagte Sabine Leidig, Geschäftsführerin von Attac Deutschland.
"Wir fordern, dass endlich diejenigen für die Krise zahlen, die Jahrzehnte lang von den liberalisierten Finanzmärkten profitiert haben - auf Kosten der großen Mehrheit", betonte Sabine Leidig. Vermögen und Erbschaften müssten angemessen besteuert werden. Zur Refinanzierung der Rettungspakete verlangte Attac eine einmalige Sonderabgabe auf Vermögen.
Attac kritisierte, die ärmeren Länder des Südens müssten weiterhin außen vorbleiben, "obwohl sie unter der Krise am meisten leiden". Notwendig sei eine gemeinsame Finanzaufsicht unter dem Dach der UNO.