Dr. Peter Wolff. Foto: DIEBonn (epo.de/die). - Die am 2. April vom G20-Gipfel in London vereinbarten finanziellen Hilfen für die Entwicklungsländer sind “nicht wenig, aber sicherlich nicht genug”, meint der Ökonom Dr. Peter Wolff, Leiter der Abteilung “Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung” beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Wolff hat die Ergebnisse des Gipfels analysiert und vermisst eine stärkere Berücksichtigung der kleineren und ärmeren Länder des Südens. Die “Frage nach der Legitimität der G20” ist weiterhin ungeklärt, schreibt er in der DIE-Kolumne. (Red.)

In der Mischung aus symbolischer Politik und substanziellen Vereinbarungen, wie sie für Gipfel-Erklärungen typisch ist, lässt sich nicht leicht erkennen, was tatsächlich in London erreicht wurde. Für die Regierungschefs ist zunächst einmal wichtig, dass sie ihrem heimischen Publikum das als Ergebnis anbieten können, wofür sie in ihrer nationalen Öffentlichkeit stehen. Es war vor allem die Bundeskanzlerin, die im Vorfeld des Gipfels sehr deutlich gemacht hat, dass sie die Aufgabe des G20-Prozesses eher in der Reform der internationalen Finanzarchitektur sieht und nicht in der akuten Krisenbewältigung durch koordinierte internationale Nachfragestimulierung.

Wenn man so will, hat sich die Kanzlerin damit durchgesetzt. Denn trotz der Gordon Brown’schen Zahlenmagie gibt es keine handfesten Vereinbarungen zu einer koordinierten Konjunkturstimulierung, nichts Konkretes zur immer noch ausstehenden Bankensanierung und nur einige gute Worte zur Eindämmung des Protektionismus.

Gegen die versammelte angelsächsische Politiker-, Journalisten- und Ökonomenzunft hat sich damit eine Haltung durchgesetzt, die es letzten Endes akzeptiert, dass nach dem irrationalen Überschwang nun die mageren Zeiten anstehen und dies durch keinen noch so intelligenten ‚Stimulus’ zu verhindern sein wird. (Über die unsägliche deutsche ‚Abwrackprämie’ sei der Mantel des Schweigens gebreitet….).

Was an finanziellen Hilfen für die Entwicklungsländer vereinbart wurde, ist nicht wenig, aber sicherlich nicht genug:
  • Die Aufstockung der Mittel für den IWF, die Weltbank und die Regionalen Entwicklungsbanken um 850 Mrd. US$, um den Rückgang der privaten Kapitalströme in die Entwicklungsländer wenigstens teilweise zu kompensieren, ist notwendig und richtig. Bislang wollte jedoch kein Schwellenland – außer einigen Osteuropäern – auf die Mittel des IWF aus seiner flexiblen, d.h. weitgehend unkonditionierten Fazilität zugreifen. Auf dem Gipfel hat sich Mexiko bereit erklärt, den Anfang zu machen. Ein Signal, das andere ermuntern soll, die vorhandenen Mittel auch in Anspruch zu nehmen. (Es ist nicht bekannt, wie sich die argentinische Präsidentin Kirchner und der indonesische Präsident Yudhoyono in der Runde dazu geäußert haben…)
  • Diese Mittel werden überwiegend aus Krediten der Industrieländer an die internationalen Finanzinstitutionen (auch China ist dem Vernehmen nach mit 40 Mrd. US$ dabei) und von den internationalen Kapitalmärkten mobilisiert sowie durch die Ausgabe von 250 Mrd. US$ an Sonderziehungsrechten durch den IWF.
  • Darüber hinaus werden von den Exportkreditagenturen der Industrieländer 250 Mrd. US$ für Handelskredite, wiederum überwiegend für die Schwellenländer, aufgebracht.
  • Nur 50 Mrd. US$ sind für die armen Entwicklungsländer vorgesehen. Wieviel davon neue Zusagen sind, bleibt unklar. Das Meiste davon soll durch freiwillige Beiträge bilateraler Geber aufgebracht werden, die bereits in der Vergangenheit – vor allem beim G 8-Gipfel in Gleneagles 2005 – zugesagt worden sind. Da diese Zusagen nicht in absoluten Zahlen, sondern als Anteil des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegeben wurden (Deutschland: 0,51 % des BIP bis 2010), dürfte bei sinkendem BIP in 2009 insgesamt wohl weniger zusammenkommen als ursprünglich vorgesehen war.
  • Die einzige neue Zusage für die ärmsten Länder soll aus Goldverkäufen des IWF aufgebracht werden (6 Mrd. US $ in den nächsten 2-3 Jahren).

Damit wird klar, dass die G20-Länder größte Mühe hatten, zusätzliche Haushaltsmittel für Entwicklungsländer zu mobilisieren. Der Vorschlag von Weltbank-Präsident Zoellick, einen kleinen Teil der Konjunkturpakete der OECD-Länder in den armen Entwicklungsländern zu verausgaben, ging also weitgehend ins Leere. Es wurden lediglich die schon vor der Krise gegebenen Zusagen bekräftigt.

Bemerkenswert sind indes die Vereinbarungen zur Reform der internationalen Finanzarchitektur:

Dies betrifft die neue Architektur von Aufsicht und Regulierung, mit dem um die G20-Länder erweiterten Financial Stability Board und dem IWF als den beiden Pfeilern und dem Grundsatz, dass alle Finanzinstitutionen, - instrumente und – märkte in die Überwachung einbezogen werden. Eher heroisch klingt dagegen der Satz: „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber“. Der Kampf gegen Steuerflucht und illegale Kapitaltransfers aus Entwicklungsländern ist damit wohl noch lange nicht entschieden.

Wichtig und neu sind die Vereinbarungen über die Rolle und das Mandat der Internationalen Finanzinstitutionen, IWF, Weltbank und Regionale Entwicklungsbanken. Es war ja keineswegs klar, dass die Schwellenländer einer Stärkung dieser Institutionen zustimmen würden. Sie haben zugestimmt und es ist ihnen gelungen, dafür einen Paradigmenwechsel in Bezug auf Governance und Mandat vor allem des IWF auszuhandeln:
  • Die OECD-Länder haben zugestimmt, dass auch sie die Aufsicht des IWF über ihre Wirtschaftspolitik und ihre Finanzsektoren und deren Wirkung auf die globale Wirtschaft akzeptieren werden. Dass sie dazu bisher nicht bereit waren, war eine wesentliche Ursache des Glaubwürdigkeitsdefizits des IWF.
  • Die nächste Quotenrevision des IWF wird auf Januar 2011 vorgezogen, mit absehbarem größerem Gewicht für die Entwicklungsländer.
  • Zoellick und Strauss-Kahn werden die letzten Leiter der Institutionen sein, die auf Grundlage ihrer Nationalität berufen wurden.
  • Die bei IWF und Weltbank eingesetzten Reformkommissionen unter der Leitung eines Mexikaners (Ernesto Zedillo) und eines Südafrikaners (Trevor Manuel) werden beim nächsten G20-Treffen Ende 2009 weitere Vorschläge machen, wie die Internationalen Finanzinstitutionen an Legitimität und Glaubwürdigkeit gewinnen können.

Schließlich hat sich Kanzlerin Merkel mit ihrem Vorschlag durchgesetzt, eine ‚Charta nachhaltigen Wirtschaftens’ als Grundlage der zukünftigen globalen Wirtschaftsordnung zu entwerfen. Beim nächsten G20-Gipfel soll darüber beraten werden.

Dann werden hoffentlich zwei Aspekte stärker berücksichtigt, welche die Gipfelerklärung von London nur in wenigen dürren Sätzen erwähnt:

Das eine ist die Frage des globalen Systemrisikos „Klimawandel“, die ja offenbar sehr eng mit ‚nachhaltigem Wirtschaften’ verknüpft ist. Das zweite ist die Frage der zukünftigen ‚Global Governance’: Die G20 spricht für 20 große Länder und es saßen einige Vertreter von Regionalorganisationen mit am Tisch ( EU, Afrikanische Union, Asean). 170 Länder waren nicht vertreten und die UN wird in der Erklärung nur am Rande erwähnt. Auf die Frage nach der Legitimität der G20 ist damit noch keine Antwort gefunden.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Bonn.

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