Bonn (epo.de). - Der Trend zur Hochrüstung im konventionellen Bereich ist seit Mitte der 1990er Jahre ungebrochen. Rund 1,34 Billionen US-Dollar wurden nach dem jetzt veröffentlichten Jahresbericht 2008/2009 des
Bonn International Center for Conversion (BICC) im Jahr 2007 weltweit für Rüstung ausgegeben, allein 500 Milliarden von den USA. Seit 1998 stiegen die weltweiten Militärausgaben um (inflationsbereinigte) 45 Prozent. Das am meisten militarisierte Land ist Eritrea, das mehr als 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die Streitkräfte aufwendet, aber nur 3,7% für die öffentliche Gesundheitsversorgung. Aber auch die deutschen Rüstungsausgaben und -exporte erreichten einen neuen Höchststand.
Die Experten des Internationalen Konversionszentrums Bonn begrüßen in ihrem Jahresbericht die Abrüstungsinitiativen im atomaren Bereich, weisen jedoch auf die unbebrochene konventionelle Hochrüstung hin. Als Besorgnis erregend bezeichnen die BICC-Forscher, "dass die Schere zwischen Militärausgaben und Aufwendungen für die Entwicklungszusammenarbeit sich dabei immer weiter öffnet".
"Präsident Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt weist in die richtige Richtung. Doch auch die ständig steigenden globalen Militärausgaben gehören dringend auf die abrüstungspolitische Agenda", forderte Peter J. Croll, Direktor des BICC, bei der Vorstellung des Berichts in Bonn.
USA: KEIN 'CHANGE' BEI RÜSTUNG
"Die Militärausgaben der USA bleiben im internationalen Bereich einsame Spitze", sagte Croll. "Die Zahlen verheißen keinen 'Change' in der US-Politik, sondern ganz im Gegenteil." Mit fast 580 Milliarden US-Dollar mache der US-Anteil knapp 45 Prozent der gesamten weltweiten Militärausgaben 2007 aus - dem letzten Jahr, für das verlässliche Daten vorliegen. Der Grundetat des Pentagon für 2009 nach BICC-Angaben inflationsbereinigt "der größte seit Ende des Zweiten Weltkrieges und damit höher als zu jedem Zeitpunkt des Kalten Krieges". Der Haushaltsentwurf der Obama-Regierung für 2010 sehe erneut eine reale Steigerung um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr vor.
Nach den USA sind China mit US$ 140 Milliarden, Russland mit 78,8 Mrd., Indien (72,2), und Großbritannien mit 54,7 Milliarden Dollar die Länder mit den höchsten Militärausgaben. Hohe Zuwachsraten verzeichnen laut BICC auch Schwellenländer im asiatischen Raum wie Indonesien und Malaysia.
DEUTSCHE RÜSTUNG AUF NEUEM HÖCHSTSTAND
Dem BICC-Bericht zufolge legt auch der deutsche Verteidigungshaushalt seit 2006 kontinuierlich zu. Er erreicht 2009 mit 31,2 Milliarden Euro einen neuen Höchststand. 5,3 Mrd. Euro seien für die Beschaffung neuer Waffensysteme vorgesehen, erklärte der Projektleiter Rüstungsdaten beim BICC, Marc von Boemcken. Damit hätten die Investitionen für den Erwerb neuer Waffen gegenüber 2007 um 25 Prozent zugenommen. Nach der im Oktober 2008 vom Bundestag beschlossenen Verstärkung der deutschen Truppen in Afghanistan von 3.500 auf 4.500 Mann sei davon auszugehen, dass auch die Ausgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr, die sich 2007 auf 911 Millionen Euro beliefen, in den kommenden Jahren weiter ansteigen werden.
Laut dem letzten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung belief sich der Gesamtwert der erteilten Ausfuhrgenehmigungen für deutsche Rüstungsgüter 2007 auf 8,7 Milliarden Euro - ein Anstieg um eine Milliarde Euro gegenüber 2006. Der Wert von genehmigten Rüstungslieferungen in Länder, die mindestens vier der EU-Kriterien für Rüstungsexportkontrolle nicht erfüllen, habe im Jahr 2007 zugenommen, nämlich von 157,7 Millionen (2006) auf 203,4 Millionen (2007). "Zu den problematischsten Empfängerländern gehören hier vor allem Oman, Ägypten und Angola", betonte von Boemcken. Er verweist auch auf "bedenkliche Lieferungen" nach Pakistan (163,8 Millionen Euro), Singapur (126,3 Millionen Euro), Indien (89,9 Millionen Euro) und Malaysia (80,4 Millionen Euro).
SCHERE ZWISCHEN RÜSTUNGS- UND ENTWICKLUNGSAUSGABEN
Fast 70 Prozent der weltweiten Militärausgaben – rund 920 Mrd. Dollar – entfielen 2007 auf die 30 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Für die Entwicklungszusammenarbeit wendeten diese Staaten nur knapp über 100 Mrd. Dollar auf. "Das Verhältnis zwischen Investitionen in die Rüstung gegenüber denen in die Entwicklung liegt bei 9 zu 1. Diese Schere, die in den letzten Jahren immer weiter auseinander gegangen ist, ist besorgniserregend", kritisierte Peter J. Croll.
GLOBALER MILITARISIERUNGSINDEX (GMI)
Erstmals stellte das BICC mit dem Jahresbericht den Globalen Militarisierungsindex (GMI) vor, der die Bedeutung des Militärs eines Staates ins Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzes setzt. Der GMI vergleicht Militärausgaben mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder den Aufwendungen für die medizinische Versorgung. Er stellt die Gesamtzahl militärischer und paramilitärischer Kräfte eines Landes der Zahl seiner Ärzte gegenüber und untersucht die Menge an schweren Waffen, die den Streitkräften eines Landes zur Verfügung stehen.
"Eine hohe GMI-Einstufung kann auf schwere Unzulänglichkeiten in der Regierungsführung hinweisen", sagte Marc von Boemcken. Ein Beispiel dafür sei Eritrea, das "nach Maßgabe aller Kriterien das am stärksten militarisierte Land der Welt ist" und mehr als 20 Prozent seines BIP für die Streitkräfte aufwendet – im Vergleich zu lediglich 3,7 Prozent für die öffentliche Gesundheitsversorgung. "Angesichts der extremen Armut Eritreas, die sich im geringen Niveau der menschlichen Entwicklung widerspiegelt, ist dieses Missverhältnis zwischen Militär- und Sozialausgaben als höchst problematisch anzusehen", betonte von Boemcken.
Die Friedensforscher hoffen, dass sich der GMI zum Hilfsmittel für Länderbewertungen für die Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik ebenso wie für die weitere Forschung auf dem Gebiet der Regierungsführung im Sicherheitsbereich entwickeln wird.
Das BICC (Bonn International Center for Conversion – Internationales Konversionszentrum Bonn) wurde 1994 mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) als gemeinnützige GmbH gegründet. Es gehört zu den fünf führenden Friedens- und Konfliktforschungsinstituten Deutschlands. Auf Grundlage von anwendungsorientierter Forschung leistet es Beratungstätigkeit, gibt politische Empfehlungen und bildet aus.
BLAMABLE FÜHRUNGSPOSITION
"Die Einschätzung der deutschen Rüstungspolitik durch das BICC bestätigt die Kritik der LINKEN und mahnt die Bundesregierung überdeutlich zur Abrüstung", kommentierte Paul Schäfer, abrüstungspolitischer Sprecher der
Fraktion DIE LINKE, den Jahresbericht 2008/2009 des Friedensforschungsinstituts BICC. "Trotz der Abrüstungsrhetorik des Außenministers und Kanzlerkandidaten Steinmeier gehört Deutschland nicht nur seit Jahren zur Spitzengruppe bei Militärausgaben und Rüstungsexporten - gern auch in Spannungsgebiete -, sondern baut diese blamable Führungsposition noch tatkräftig aus. Auch in der Frage atomarer Abrüstung und der Aufkündigung der nuklearen Teilhabe drückt sich die Bundesregierung davor, ihren Worten durch konkretes Handeln Glaubwürdigkeit zu verleihen."
BICC Jahresbericht 2008/2009 (PDF)
www.bicc.de